JudikaturJustiz1Ob566/93

1Ob566/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Juni 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Graf, Dr. Schiemer und Dr. Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bank *****, vertreten durch Dr. Walter Rinner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1. Dr.Hugo Michael S*****, 2. Friedrich S*****, 3. Walter S*****, alle vertreten durch Dr. Peter Kisler und DDr. Karl Pistotnik, Rechtsanwälte in Wien, wegen zu 1. S 1,000.000, zu 2. und 3. je S 500.000 je sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 10. September 1992, GZ 6 R 73/92 14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 31. (wohl: 30.) November 1991, GZ 3 Cg 42/91 8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die Hälfte, die zweit und die drittbeklagte Partei sind schuldig, der klagenden Partei je ein Viertel der mit S 26.587,08 (darin S 4.431,18 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Sommer 1985 vermietete die G***** GmbH (im folgenden: GmbH) der S***** AG (im folgenden: AG) eine Anlage, die im April 1986 in Betrieb ging. Im Mietvertrag garantierte die GmbH die technische Funktion(sfähigkeit) der Anlage. Mit Vertrag vom 10.10.1986 bzw 28.11.1986 räumte die klagende Bank der GmbH einen Haftungskredit in der Höhe von S 2,000.000 mit einer Laufzeit bis 31.12.1988 ein. Im Rahmen des Haftungskredites gab die klagende Bank gegenüber der AG eine (Deckungsrücklaß )Garantie in der Höhe von S 2,000.000 mit einer Laufzeit bis 31.12.1988 ab. Die Beklagten, damals Gesellschafter der GmbH, sollten zur Kreditbesicherung „Bürge und Zahlerhaftungen“ übergeben und fertigten am 28.11.1986 als Bürgen die Krediturkunde (Beilage 1) mit. Demgemäß übernahmen sie in gesonderten schriftlichen Bürgschaftserklärungen vom 28.11.1986 die Haftung als Bürgen und Zahler, der Erstbeklagte bis zum Betrag von S 1,000.000, der Zweit und der Drittbeklagte je bis zum Betrag von S 500.000 je samt Nebengebühren (Beilagen 2, 3 und 4). Diese Bürgschaftserklärungen wurden nicht mit der Laufzeit des Haftungskredites (bis 31.12.1988) befristet. Im Punkt 6 heißt es: „Sie sind berechtigt, dem Kreditnehmer für alle Ihnen wider denselben zustehenden Forderungen nach Ihrem Ermessen ohne Verständigung an mich (uns) Zahlungsfristen, Kreditverlängerungen und wiederausnützungen sowie weitere Kredite ... zu gewähren, ohne daß mir (uns) hieraus gegen Ihre wider mich (uns) zu erhebenden Ansprüche eine Einwendung zusteht ...“

Da die Anlage die im Mietvertrag garantierten Leistungen nicht dauerhaft erbrachte, kürzte die AG die Jahresmiete. Als die Anlage auch bis (gegen) Ende 1988 nicht einwandfrei funktionierte, drohte die AG der GmbH für den Fall der Nichtverlängerung der Garantie mit deren Inanspruchnahme. Der Geschäftsführer der GmbH (Dipl. Ing. Volker G*****) erwirkte bei der klagenden Bank am 27.12.1986 eine Verlängerung des Haftungskredits bis 31.7.1989 und der Bankgarantie bis 30.6.1989. Der Zweitbeklagte wurde dazu ausdrücklich befragt und stimmte dieser Verlängerung zu, über eine Verlängerung der Bürgschaften wurde dabei nicht ausdrücklich gesprochen. Ohne Zustimmung (Verständigung) der Beklagten erfolgten sodann weitere Kreditverlängerungen am 25.7.1989 bis 31.10.1989, am 26.9.1989 bis 31.12.1989 und am 20.12.1989 bis 30.6.1990. Im Herbst 1989 bot die GmbH der AG die Anlage zum (Ver )Kauf an. Es wurde vereinbart, daß seitens der GmbH die für die einwandfreie Funktion der Anlage erforderliche technische Nachrüstung erfolgen sollte. Die Gesellschafter der GmbH verweigerten im Jänner 1990 die Finanzierung dieser Nachrüstung. Daraufhin wurde die Anlage stillgelegt. Über das Vermögen der GmbH wurde (vom Kreisgericht Leoben) am 8.2.1990 der Ausgleich eröffnet. Am 15.2.1990 nahm die AG die Bankgarantie der klagenden Bank in Anspruch. Am 30.10.1990 wurde über das Vermögen der GmbH der Anschlußkonkurs eröffnet.

Die klagende Bank begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der verbürgten Beträge und brachte vor: Gemäß Punkt 6 der jeweiligen Bürgschaftsverträge sei den Beklagten die Einwendung verwehrt, daß der Haftungskredit der GmbH ohne ihre Beiziehung mehrfach verlängert worden sei; diese Klausel sei Vertragsgegenstand geworden, weil sie weder an unübersichtlicher Stelle angebracht, noch den in der österreichischen Volkswirtschaft in höchsten Stellungen tätigen Beklagten unverständlich gewesen sei und daher erklärt hätte werden müssen. Die jeweiligen Haftungskredit und Bankgarantieverlängerungen hätten auch den Beklagten zum Vorteil gereicht, weil vor den jeweiligen Verlängerungen die Abrufung der Bankgarantie durch die AG und damit die sofortige Haftung der Beklagten als Bürgen gedroht hätte. Die Berufung der Beklagten auf eine sachliche Einschränkung oder zeitliche Befristung ihrer Bürgschaften und auf die Ungültigkeit des Punktes 6 der Bürgschaftsverträge aus dem Grunde des § 864a ABGB sei geradezu sittenwidrig.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wandten ein: Ihre Bürgenhaftung sei schon wegen der Verbindung des Haftungskredites mit ihren zu dessen Besicherung gegebenen Bürgenhaftungen mit der (ersten) Haftungszeit „bis 31.12.1988“ begrenzt gewesen und mit (von den beiden anderen Beklagten anerkannter) Zustimmung des Zweitbeklagten bis 30.6.1989 verlängert worden; innerhalb dieser Haftungszeit sei der Haftungskredit (die Bankgarantie) nicht in Anspruch genommen worden; den weiteren Haftungsverlängerungen seien sie nicht zugezogen worden und hätten sie auch nicht zugestimmt. Punkt 6 der Bürgschaftsverträge sei gemäß § 864a ABGB nicht Vertragsgegenstand geworden, weil es sich dabei um eine für die Beklagten eindeutig nachteilige Bestimmung ungewöhnlichen Inhalts in Vertragsformblättern der klagenden Bank handle, mit der die Beklagten nach den Umständen und dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunden und dem Zweck der Bürgschaftserklärungen nicht hätten rechnen können und auf die sie auch nicht besonders hingewiesen worden seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, der Bürge hafte im Sinne des § 1353 ABGB im Zweifel nur so weit, als ein erkennbarer Parteiwille reiche. Dieser sei im vorliegenden Fall darauf gerichtet gewesen, daß die Beklagten für den der GmbH gewährten Haftungskredit in der Höhe von S 2,000.000 mit einer Laufzeit bis 31.12.1988, mit dem durch eine Bankgarantie der klagenden Partei die AG bis zum einwandfreien Funktionieren der Anlage abgesichert werden sollte, die betraglich begrenzten Bürgenhaftungen übernähmen. Weil die GmbH die Funktionsfähigkeit der Anlage bis Ende 1988 nicht bewerkstelligen habe können, seien Verlängerungen des Haftungskredits und der Bankgarantie erforderlich gewesen. Selbst wenn (offenbar dafür) ein übereinstimmender Parteiwille nicht erkennbar wäre, führe die Auslegungsregel des § 915 ABGB zu dem (gleichen) Ergebnis, wonach im Zweifel anzunehmen sei, daß sich der Bürge die geringere Belastung habe auferlegen wollen. Darauf, ob Punkt 6 der Bürgschaftsverträge gemäß § 864a ABGB nicht Vertragsgegenstand geworden sei, komme es nicht an.

Das Gericht zweiter Instanz gab in Abänderung des Ersturteils dem Klagebegehren statt und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es legte seiner Entscheidung folgende rechtliche Beurteilung zugrunde:

Zwar seien der Haftungskredit und die Bankgarantie ursprünglich bis 31.12.1988 befristet gewesen, nicht jedoch die Bürgschaftserklärungen der Beklagten. Diese hätten vielmehr in Punkt 6 der schriftlichen Bürgschaftsverträge ausdrücklich (im Sinne von: deutlich erkennbar) einer Verlängerung und Wiederausnützung des ursprünglich bis 31.12.1988 befristeten Haftungskredites samt Bankgarantie zugestimmt. Mangels einer behaupteten und erwiesenen, vom Wortlaut der Urkunden abweichenden Parteienabsicht scheide eine Auslegung der Kreditverträge nach § 914 ABGB aus und sei der Bürgschaftsumfang im Wege der rechtlichen Beurteilung durch Urkundenauslegung zu ermitteln, wobei sich die Grundsätze dieser Auslegung aus § 1353 iVm § 915 ABGB ergäben. Danach hätten sich die Beklagten in ihren Bürgschaftserklärungen nicht nur auf bestimmte Zeit verpflichtet, ihre Bürgenhaftung sei daher nicht durch Zeitablauf (der ersten Befristung bis 31.12.1988 oder der ersten mit ihrer Zustimmung erfolgten Fristverlängerung bis 30.6.1989) erloschen. Punkt 6 der Bürgschaftserklärungen halte einer Überprüfung im Sinne des § 864a ABGB stand: Diese Vertragsbestimmung steche nämlich in der Druckgröße aus der Urkunde geradezu hervor; ihr wohne auch weder ein Überrumpelungs , noch ein Übertölpelungseffekt inne; zudem nehme Punkt 1 der Bürgschaftserklärung nicht ausdrücklich nur auf den Haftungskredit vom 10.10./28.11.1986 Bezug. Insoferne unterscheide sich daher der vorliegende Sachverhalt von jenem des der Entscheidung ÖBA 1990/207 zugrundegelegenen Falles, in welchem sich die Bürgschaft(en) nach dem maschinschriftlich ergänzten und damit auffälligen Text der Bürgschaftserklärungen (dort nach dem Parteiwillen) eindeutig auf einen gleichzeitig eingeräumten, befristeten (dort Kontokorrent )Kredit bezogen, während sich im umfangreichen, kleingeschriebenen Vordruck die Klausel befunden habe, daß sich die Bürgschaft nicht nur auf den erwähnten Kredit, sondern auf alle weiteren mit der Kreditnehmerin und deren Rechtsnachfolgern abgeschlossenen oder erst abzuschließenden Kredit oder Darlehensverträge erstrecken solle.

Da die Bürgenhaftung der Beklagten nicht auf eine bestimmte Zeit beschränkt worden sei und die Beklagten mit der Unterfertigung der Bürgschaftserklärungen (in deren Punkt 6) einer Verlängerung bzw Wiederausnützung des Haftungskredites ausdrücklich zugestimmt hätten, seien sie zur Zahlung entsprechend ihren Bürgschaftserklärungen verpflichtet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig, weil zur Frage der Gültigkeit einer Klausel in Bürgschaftsverträgen, wonach dem Bürgen aus der ohne seine Beiziehung erfolgten Verlängerung oder Wiederausnützung des besicherten Kredites keine Einwendung zustehe, höchstgerichtliche Rechtsprechung soweit ersichtlich fehlt; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Zunächst sind die Beklagten mit ihrem Revisionsvortrag, die Absicht der Parteien (der Bürgschaftsverträge) sei auf eine zeitlich begrenzte Bürgenhaftung bis 31.12.1988, allenfalls noch bis 30.6.1989 gerichtet gewesen, auf die dem unangreifbaren Tatsachenbereich zuzuordnenden Ausführungen der Vorinstanz zu verweisen, wonach eine vom Wortlaut der Urkunden (Beilagen 1 bis 4) abweichende Parteienabsicht weder behauptet noch erwiesen wurde, so daß hier (schon im Sachverhalt in Abweichung zu der für den Revisionsstandpunkt zitierten Entscheidung SZ 62/99 = ÖBA 1990/207, S.217 = EvBl 1989/149 = RdW 1989,302 tatsächlich der Urkundenwortlaut für die Auslegung der Bürgschaftsverpflichtungen der Beklagten heranzuziehen ist. Gleiches gilt für die allein dem Tatsachenbereich zuzuordnende und daher unzulässige Bekämpfung der Feststellungen über das Erscheinungsbild des Punktes 6 in den Bürgschaftsurkunden Beilagen 2 bis 4.

Gemäß § 864a ABGB werden Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts in allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern, die ein Vertragsteil verwendet, nicht Vertragsbestandteil, wenn sie dem anderen nachteilig sind und er mit ihnen auch nach den Umständen, vor allem nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde, nicht zu rechnen brauchte; es sei denn, der eine Vertragsteil hat den anderen besonders darauf hingewiesen. Als objektiv ungewöhnlich ist eine Klausel dann zu beurteilen, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, so daß er nach den Umständen mit ihr vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte. Einer solchen Klausel muß somit in gewissem Sinn ein Überrumpelungs oder Übertölpelungseffekt innewohnen (SZ 62/99 mwN; SZ 60/52; ÖBA 1991, 757 uam). Von einem solchen Überraschungseffekt kann im vorliegenden Fall gerade in Anbetracht der hohen Funktionen der drei Beklagten im österreichischen Wirtschaftsleben nicht die Rede sein, weil die allein hier zu beurteilende Verlängerung des Haftungskredites, mit dem die GmbH eine der AG zugesagte Deckungsrücklaßgarantie anläßlich des festgestellten konkreten Geschäftsfalles „finanzierte“, nicht außerhalb jeder normalen wirtschaftlichen Erwartung lag. Außerdem mußten sich die Beklagten schon bei einer Übernahme der Bürgschaft vor Augen gehalten haben, daß ihre Bürgschaft für die Haftungskreditsumme eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Kreditgewährung an die GmbH, deren Gesellschafter sie waren, gewesen ist und sich die klagende Bank im Wege der beanstandeten Klausel 6 der Bürgschaftsverträge der Haftung der Bürgen auch für die (erwartete oder unvermeidbare) Laufzeitverlängerung vergewissern wollte. Es wäre wohl auch nicht im Interesse der Beklagten gelegen, hätte die klagende Bank anstelle der jeweiligen Verlängerungen des Haftungskredites und der gegebenen Bankgarantie die von der AG für den anderen Fall angedrohte Abrufung der Bankgarantie abgewartet und die Beklagten allenfalls sofort als Bürgen und Zahler in Anspruch genommen. Dazu kommt aber noch, daß der Bürge bei einer auf unbestimmte Zeit übernommenen Kreditbürgschaft das Bürgschaftsverhältnis ohnehin nach angemessener Dauer aufkündigen kann (JBl 1971, 257; EvBl 1964/180; 1 Ob 538/93; Gamerith in Rummel ABGB 2 Rz 3 zu § 1353). Es wäre Sache der Beklagten gewesen, auf eine konkrete endgültige zeitliche Begrenzung ihrer Bürgenhaftung (mit den ihnen daraus unmittelbar drohenden Nachteilen) zu dringen, sollten sie diesen Wunsch bei Vertragsabschluß gehabt haben (vgl 1 Ob 538/93).

Die von den Beklagten bekämpfte Klausel des Punktes 6 der Bürgschaftsverträge ist aber auch nicht deshalb zu beanstanden, weil nach den damit getroffenen Abmachungen die Verständigung der Bürgen von Kreditverlängerungen abbedungen wurde. Da es den Bürgen (immerhin seinerzeit Gesellschafter der kreditnehmenden GmbH) zugemutet werden kann, sich beim Hauptschuldner (der GmbH) die notwendigen Auskünfte über den jeweiligen Stand der Hauptschuld zu verschaffen, ist es unbedenklich, wenn die Pflicht des Gläubigers, den Bürgen von Laufzeitverlängerungen zu informieren, wirksam abbedungen wird.

Da die von den Beklagten bekämpften Vertragsbestimmungen (über deren Bürgenhaftung auch für die Verlängerung des Haftungskredites) der im § 864a ABGB verankerten Geltungskontrolle standhalten, haben diese als Bürgen und Zahler für die von ihnen zugesagten Haftungsbeträge einzustehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.

Rechtssätze
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