JudikaturJustiz1Ob56/23a

1Ob56/23a – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Dr. Ewald Jenewein, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Mag. G*, vertreten durch Dr. Markus Moser, Rechtsanwalt in Imst, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 1. Februar 2023, GZ 10 R 76/22k 76, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 8. November 2022, GZ 41 Cg 115/21m 69, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,08 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen untersagten der Beklagten unter anderem, auf einem Grundstück des Klägers zu Gehen, zu Fahren und Grabungsarbeiten durchzuführen, wobei von dieser Unterlassungsverpflichtung das bestehende Recht des Anschlusses und der Erhaltung einer Wasserleitung ausgenommen wurde. Strittig war, ob umfangreiche Grabungsarbeiten der Beklagten über dieses Recht hinausgegangen waren.

[2] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil – soweit überblickbar – keine gesicherte Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob über mehrere Jahre andauernde bzw wiederholte, gegen den Willen des Eigentümers der dienenden Liegenschaft durchgeführte Arbeiten im Sinne des § 483 ABGB rechtswidrig seien, wenn nicht versucht werde, ein Einvernehmen darüber herzustellen und nicht der Rechtsweg zur Rechtfertigung dieser Maßnahmen beschritten werde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig . Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[4] 1. Mit einer Servitut belastete Grundstückseigentümer haben die am Servitutsgegenstand (hier: Wasserversorgungsleitung) erforderlichen Instandsetzungsarbeiten jedenfalls zu dulden (RS0107735 [T1]). Grundsätzlich ist es dem Servitutsberechtigten überlassen, durch welche Maßnahmen er seiner Verpflichtung zur Erhaltung nachkommt. Der Eigentümer des dienenden Grundstücks darf aber dadurch in seinem Eigentumsrecht nicht beeinträchtigt werden. Die Maßnahme muss zur Ausübung des Rechts nach Art und Umfang notwendig sein (RS0011680). Erfolgt die Erhaltung der dienenden Sache durch den Servitutsberechtigten auf eine Art und Weise, dass der Eigentümer dadurch in seinem Recht an der Liegenschaft beeinträchtigt wird, hat dieser das Recht, gegen diesen Eingriff mit einer Klage nach § 523 ABGB vorzugehen (7 Ob 132/55 = JBl 1955, 403). Generell gilt, dass der Widerstreit zwischen den Interessen des Berechtigten und jenen des Belasteten einer Dienstbarkeit eine Interessenabwägung erfordert (RS0011733). Entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls (RS0011806 [T2]; RS0011733 [T11]).

[5] 2. Nach den Feststellungen führte die Beklagte, nachdem der Kläger 2017 eine der beiden ihr Grundstück vorsorgenden Wasserleitungen abgetrennt hatte, weil er davon ausging, dass diese Leitung undicht war, und die Beklagte eine Sanierung abgelehnt hatte, regelmäßig, und zwar zwischen Dezember 2018 und Jänner 2022 Grabungsarbeiten auf dem Grundstück 2618/1 des Klägers durch. Dabei wurden bis zumindest 70 cm tiefe Gräben ausgehoben und Aushubmaterial am Grundstück des Klägers deponiert. Obwohl die Beklagte wusste, dass der Kläger allfälligen Grabungsarbeiten nur gegen Voranmeldung zustimmt, fragte sie vorher nie um Erlaubnis. Außerdem hatte der Kläger ihr seit 2018 wiederholt angeboten, die (bereits 1971 verlegte) Leitung zu erneuern, ohne dass die Beklagte darauf einging. Das Erstgericht fasste die Vorgangsweise der Beklagten so zusammen, dass sie, ohne den Kläger um seine Zustimmung zu fragen, in der „Ansicht, dazu im beliebigen Umfang und jeder Zeit berechtigt zu sein, jahrelange Grabungsarbeiten“ durchführte, obgleich ihr der Verlauf der Wasserleitung leicht erkennbar war bzw aufgrund eines vorangegangenen Verfahrens bekannt gewesen sein musste.

[6] 3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Grabungsarbeiten eine massive Beeinträchtigung des dienenden Grundstücks bildeten und deren Ausmaß und Dauer zeigten, dass sie in dieser Form nicht erforderlich gewesen seien und daher nicht mit dem Gebot der schonenden Servitutsausübung in Einklang stünden, ist im Einzelfall nicht korrekturbedürftig.

[7] 4. Daran vermögen auch die Ausführungen der Beklagten keine Zweifel zu wecken. Sie versucht gar nicht erst darzustellen, aus welchen Gründen die Grabungen im festgestellten Ausmaß und Umfang zur Wiederherstellung der Wasserversorgung entgegen der Einschätzung der Vorinstanzen doch notwendig gewesen sein sollten und weshalb sie sich nicht um ein Einvernehmen mit dem Kläger bemühte, der immerhin die Erneuerung der Leitung mehrfach anbot. Vielmehr wirft sie dem Kläger, ohne dabei von den erstinstanzlichen Feststellungen auszugehen, „reine Schikane“ vor. Ihr Einwand, die Arbeiten hätten den Kläger nicht wesentlich gestört, lässt die mit den zumindest 70 cm tiefen Gräben und der Lagerung des Aushubmaterials auf dem Grundstück des Klägers verbundenen Beeinträchtigungen außer Acht. Auf die Frage, ob die Beklagte zur Rechtfertigung der Maßnahmen den Rechtsweg hätte beschreiten müssen, kommt es nicht an, weil deren Art und Umfang nach der nicht zu beanstandenden Ansicht der Vorinstanzen nicht (mehr) von ihrem Servitutsrecht gedeckt war. Die zur Instandhaltung und Wiederherstellung der Wasserleitung tatsächlich erforderlichen und daher im Sinn des § 483 ABGB zulässigen Maßnahmen sind von der Unterlassungsverpflichtung ohnehin ausgenommen.

[8] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Der Kläger hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16]).