JudikaturJustiz1Ob284/71

1Ob284/71 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Oktober 1971

Kopf

SZ 44/167

Spruch

Erhebt der Vorleistungspflichtige die ihm gemäß § 1052 Satz 2 ABGB zustehende Unsicherheitseinrede, wandelt sich dadurch das Kreditgeschäft nicht in ein Geschäft um, aus dem der Vorleistungspflichtige die Gegenleistung oder auch nur die Sicherstellung Zug um Zug gegen Bewirkung seiner Leistung zu fordern berechtigt wäre

OGH 28. 10. 1971, 1 Ob 284/71 (OLG Wien 2 R 103/71; KG St Pölten 2 a Cg 105/71)

Text

Mit Kaufvertrag vom 31. 1. 1969 bestellte die beklagte Partei beim Kläger 6 Tonnen Kakaobutter; 2 Tonnen sollten ab 20. 2. 1969, der Rest für August/September 1969 abgerufen werden, die Zahlung prompt netto Kassa oder mit Akzept 90 Tage erfolgen; im letzteren Fall sollten Zinsen und Spesen zu Lasten der beklagten Partei gehen. Die erste Lieferung (2 t) erfolgte vereinbarungsgemäß Anfang März 1969 und wurde mit einem Wechselakzept (Laufzeit 90 Tage) beglichen. Da am 15. 3. 1969 ein Brand die Fabrik der beklagten Partei vernichtete, wurde vereinbarungsgemäß die Lieferung der restlichen 4 t mehrfach hinausgeschoben. Zuletzt schrieb der Kläger am 30. 11. 1970 der beklagten Partei, daß er den Kontrakt vom 31. 1. 1969 auf Grund der von der beklagten Partei geschilderten Umstände für Lieferung erstes Quartal 1971 verschiebe. Mit Schreiben vom 28. 1. 1971 bot der Kläger zirka 4 t reine Kakaopreßbutter ab Lager W für sofortige Übernahme und prompte Bezahlung an und legte eine Faktura vom 28. 1. 1971 über S 296.000.- bei. Als Zahlungsbedingung ist in der Rechnung prompte netto Kassa, fünf Tage dato Faktura, angeführt. Im Fernschreiben vom 1. 2. 1971 verwies der Kläger darauf, daß seinerzeit telefonisch vereinbart worden sei, die Partie wegen der laufenden Verschiebungen nur gegen prompte netto Kassa bei Übernahme der Ware abzuwickeln. Die beklagte Partei, die nicht bereit war, die Ware gegen Barzahlung zu übernehmen, holte diese nicht ab.

Der Kläger begehrt die Verurteilung der beklagten Partei zur Bezahlung von S 296.000.- sA, da sie in Abnahmeverzug sei. Es sei vereinbart worden, daß die Zahlung netto Kassa zu erfolgen habe. Da sich die finanziellen Verhältnisse der beklagten Partei, die von Exekutionen verfolgt werde, in letzter Zeit erschreckend verschlechtert hätten, sei er auch gemäß § 1052 ABGB berechtigt, die Zahlung des vereinbarten Kaufpreises zu begehren,

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es sei nicht erwiesen, daß im Sommer 1969 zwischen dem Kläger und der beklagten Partei in Abänderung der ursprünglichen vertraglichen Zahlungskonditionen vereinbart worden wäre, daß die Ware nur gegen Barzahlung bei Übernahme ausgefolgt werde. Auch stehe nicht fest, daß der Kläger dem Geschäftsführer der beklagten Partei Dkfm Erich F telefonisch gesagt habe: "Sie wissen ja, nur gegen Zahlung prompt netto Kassa."

Eine Abänderung der Zahlungskonditionen des Kontrakts vom 31. 1. 1969 sei nicht erwiesen. Rechtlich führte das Erstgericht aus, der Kläger habe nicht vereinbarungsgemäß geliefert, da er die Ware nur gegen Barzahlung bereitgestellt habe. Ein Annahmeverzug der beklagten Partei liege nicht vor, sodaß der Kaufpreis zur Zahlung noch nicht fällig sei. Auch aus der Bestimmung des § 1052 ABGB sei für den Kläger nichts zu gewinnen, da nach dieser Gesetzesstelle lediglich der zur Vorleistung Verpflichtete seine Leistung bis zur Bewirkung oder Sicherstellung der Gegenleistung verweigern könne.

Das Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen, trat auch der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei und bestätigte dessen Entscheidung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Rechtlich vertritt die Revision die Auffassung, das Berufungsgericht habe die Bestimmung des § 1052 Satz 2 ABGB unrichtig angewendet. Nach dieser Gesetzesbestimmung kann der zur Vorausleistung Verpflichtete seine Leistung bis zur Bewirkung oder Sicherstellung der Gegenleistung verweigern, wenn diese durch schlechte Vermögensverhältnisse des anderen Teiles gefährdet ist, die ihm zur Zeit des Vertragsabschlusses nicht bekannt sein mußten. Diese Gesetzesbestimmung bedeutet, daß der Vorleistungspflichtige, dem grundsätzlich die Einrede des nicht erfüllten Vertrages nicht zusteht, die sogenannte Unsicherheitseinrede (Gschnitzer, Schuldrecht Allgemeiner Teil 57; Ehrenzweig II/1[2] 213) erheben kann, wenn nach dem Vertragsabschluß eine Verschlechterung in den Vermögensverhältnissen des Nachleistungspflichtigen eingetreten ist, die den Anspruch auf Gegenleistung gefährdet (Wahle in Klang[2] IV/2, 98 f). Welche Folge die Erhebung einer solchen Einrede hat, ergibt sich bereits aus dem Gesetzestext: Der Vorleistungspflichtige kann die von ihm geforderte vertragliche Leistung verweigern, wenn der Nachleistungspflichtige nicht Zug um Zug bezahlt oder Sicherstellung (§§ 1374, 1375 ABGB) leistet. Dem Vorleistungspflichtigen steht also bis zur Erbringung der Gegenleistung oder deren Sicherstellung ein Zurückbehaltungsrecht zu (SZ 26/99; Ehrenzweig aaO 214); die Vorausleistungspflicht wird in diesem Sinne eingeschränkt (EvBl 1963/46). Mit der bloßen Ausübung eines Zurückbehaltungsrechtes ist allerdings dem Vorleistungspflichtigen, der so völlig in die Hand des Nachleistungspflichtigen gegeben zu sein scheint (vgl hiezu Wahle aaO 102), vielfach nicht gedient. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus der Bestimmung des § 1052 Satz 2 ABGB aber dennoch keineswegs, daß bei Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Käufers auch die Vertragsbedingungen geändert werden. Dem vorleistungspflichtigen Verkäufer steht also keineswegs das Recht zu, nunmehr etwa, wie es der Kläger durchsetzen will, Erfüllung durch den Käufer Zug um Zug mit der Erbringung seiner eigenen Leistung zu verlangen. Die Fälligkeit des Gegenanspruchs ist vielmehr nach wie vor von der Leistung des Vorleistungspflichtigen abhängig. Ein Kreditgeschäft wie das des vorliegenden Falles wandelt sich also nicht in ein Geschäft um, aus dem der Vorleistungspflichtige die Gegenleistung oder auch nur die Sicherstellung Zug um Zug gegen Bewirkung seiner Leistung zu fordern berechtigt wäre. (Wahle aaO 102; 1 Ob 503/51; Rspr 1933/196; dagegen ohne nähere Begründung und von Wahle ausdrücklich abgelehnt Bartsch - Pollak[3] II 228). Dem Vorleistungspflichtigen bleibt vielmehr, will er wenigstens über die Ware anderweitig verfügen dürfen, nur die Möglichkeit, vom Vertrag zurückzutreten. In analoger Anwendung des § 918 ABGB wird nämlich auch dem Verkäufer das Recht eingeräumt, Gegenleistung oder Sicherstellung in angemessener Frist bei sonstigem Rücktritt zu begehren (Gschnitzer aaO; Ehrenzweig aaO 214, in diesem Sinne auch Wahle aaO 102; Bettelheim in Klang[1] II/2, 964; JBl 1953, 630; anders noch 2 Ob 466/52).

Der im dargestellten Sinne vertretenen Auffassung der Untergerichte ist damit beizutreten, zumal die Revision nicht in der Lage ist, dagegen überzeugende Gründe vorzutragen. Es wäre auch nicht zu vertreten, in Abweichung vom Wortlaut des § 1052 ABGB bei Verschlechterung der Vermögenslage des Nachleistungspflichtigen dem ursprünglich Vorleistungspflichtigen deswegen das Recht einzuräumen, nunmehr die Gegenleistung Zug um Zug zu verlangen. In der Regel wird ja die Gewährung einer längeren Zahlungsfrist vereinbart, weil der Käufer zu einer sofortigen Zahlung nicht bereit und wohl auch nicht in der Lage ist und sich die Zahlungsmittel wenigstens zum Teil erst durch Weiterverkauf der gelieferten Ware (ohne oder nach Verarbeitung) beschaffen will. Es wäre wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen, den schon unter günstigeren Vermögensverhältnissen nicht barzahlungspflichtigen oder -fähigen Käufer gerade bei Verschlechterung der Vermögensverhältnisse nun dazu zu verhalten, die Ware dennoch und nunmehr gegen Barzahlung zu übernehmen. Es entspricht vielmehr viel eher vernünftigen wirtschaftlichen Erwägungen, im Sinne der herrschenden Rechtsauffassung dem Verkäufer unter diesen Umständen Rücktritt vom Vertrag mit den sich eventuell daraus ergebenden Ersatzansprüchen gegen den Käufer einzuräumen. Da der Kläger der beklagten Partei die bezahlte Ware nicht zu den vereinbarten Lieferungsbedingungen anbot, haben die Untergerichte also mit Recht das Klagebegehren abgewiesen.

Rechtssätze
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