JudikaturJustiz1Ob2151/96x

1Ob2151/96x – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. Juni 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Franz R*****, und 2. Dr.Franz R*****, beide ***** vertreten durch Dr.Hans Günther Medwed und Mag.Heinz Kupferschmid, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagten Parteien 1. Harald S*****, und 2. Margit Sch*****, beide vertreten durch Dr.Gerhard Hackenberger und Dr.Sonja Hackenberger Krutzler, Rechtsanwälte in Graz, wegen Herausgabe (Streitwert S 30.000, ), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichts vom 5.April 1995, GZ 3 R 33/95 14, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31.Oktober 1994, GZ 5 C 283/94 8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig sind, den klagenden Parteien eine Fotokopie des zwischen den beklagten Parteien über das bisherige Unternehmen der erstbeklagten Partei mit Sitz in G*****, am 1.April 1994 abgeschlossenen Unternehmenskaufvertrags binnen 14 Tagen auszufolgen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit S 28.377,41 (darin enthalten S 4.049,57 USt und S 4.080, - Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer eines Hauses mit der im Urteilsspruch genannten Anschrift. Im Jahre 1965 mietete der Erstbeklagte ein in diesem Haus befindliches Geschäftslokal samt Kellerabteil. Das Mietobjekt sollte als Parfumeriegeschäft verwendet werden, doch wurde dem Erstbeklagten das Recht eingeräumt, die Mietrechte an dritte Personen zu übertragen, falls sich der Standort als zur Führung eines Parfumeriegeschäfts „ungeeignet oder unwirtschaftlich“ erweisen sollte. Im Jahre 1988 räumten die Kläger dem Erstbeklagten das Recht ein, neben dem Parfumeriegeschäft ein Cafe zu betreiben. Dem Erstbeklagten wurde die Änderung des Vertragszwecks gestattet, lediglich die Verwendung der Mieträumlichkeiten zur Führung einer Diskothek, Tierhandlung, eines Spielautomatensalons, Soundstudios, einer Antiquitätenhandlung, Trafik oder eines Optikergeschäfts wurde ihm untersagt. Wörtlich vereinbarten die Mietvertragsparteien noch:

„Sollte der Mieter die Absicht haben, seine Mietrechte an andere zu übertragen, verpflichtet er sich, bei Vorliegen eines ernsthaften Angebots eines Dritten, diese Rechte zu denselben Bedingungen vorerst dem Vermieter anzubieten. Der Vermieter verpflichtet sich, auf ein solches Angebot binnen 14 Tagen schriftlich zu antworten.“

Im Februar 1994 wurde den Klägern ein schriftliches Anbot der Zweitbeklagten übermittelt, in dem sich diese gegenüber dem Erstbeklagten für den Fall, daß die Hausbesitzer ihr „Vormietrecht“ nicht ausübten, verpflichtete, die im Geschäftslokal getätigten Investitionen um einen Betrag von S 600.000, - zuzüglich Umsatzsteuer abzulösen.

Die Kläger begehrten die Ausfolgung einer Ablichtung des näher bezeichneten Unternehmenskaufvertrags und brachten vor, Zweifel an der Ernsthaftigkeit des zuletzt genannten Anbots der Zweitbeklagten gehabt zu haben. Deshalb hätten sie einen entsprechenden Nachweis der Unwirtschaftlichkeit des vom Erstbeklagten betriebenen Unternehmens begehrt. Daraufhin habe der Erstbeklagte eine entsprechende Bestätigung vorgelegt und weiters mitgeteilt, er habe sein Unternehmen und die Hauptmietrechte mit Wirkung vom 1.4.1994 an die Zweitbeklagte verkauft. Dabei sei auf § 12 Abs.3 MRG aF (Übergang der Hauptmietrechte auf die Unternehmenserwerberin) hingewiesen worden. Die Kläger hätten das Recht auf Übersendung einer Kopie des Unternehmenskaufvertrags vom 1.4.1994, weil ihnen bewiesen werden müsse, daß tatsächlich eine Unternehmensveräußerung stattgefunden habe. Für den Fall, daß das Unternehmen nicht veräußert worden sei, stünde den Klägern das vertraglich vereinbarte „Vormietrecht“ zu; es bestehe der dringende Verdacht, daß es sich beim Anbot der Zweitbeklagten, die Mietrechte unter Bezahlung einer Investitionsablöse von S 600.000, - zu übernehmen, um ein Scheinangebot gehandelt habe, um das vertragliche „Vormietrecht“ der Kläger auszuschalten. Der von den Beklagten angeblich abgeschlossene Unternehmenskaufvertrag stelle eine gemeinschaftliche Urkunde dar.

Die Beklagten wendeten ein, dem Erstbeklagten sei jegliche Änderung des Verwendungszwecks des Mietobjekts mit den oben angeführten Ausnahmen gestattet worden, sodaß der Erstbeklagte den Nachweis für die mangelnde Eignung des Standorts zur Führung eines Parfumeriegeschäfts bzw dessen Unwirtschaftlichkeit nicht erbringen müsse. Es sei zwar das Eintrittsrecht der Vermieter vereinbart worden, doch bestehe bei einer Unternehmensveräußerung nur die Verpflichtung zu deren Anzeige an die Vermieter, nicht aber zur Ausfolgung (einer Fotokopie) einer Vertragsurkunde. Es handle sich beim Unternehmenskaufvertrag nicht um eine gemeinschaftliche Urkunde im Sinne des Art XLIII EGZPO.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das zwischen den Klägern und dem Erstbeklagten vereinbarte „Vormietrecht“ bedeute, daß bei Ausübung dieses Rechts die Mietrechte an die Hauseigentümer „zurückfielen“, also erlöschten, um den Klägern selbst eine Verwertung des Objekts zu ermöglichen. Der Erstbeklagte habe die Verpflichtung übernommen, den Klägern ein „gehöriges Einlösungsanbot“ zu übermitteln, das alle Einzelheiten des von der Zweitbeklagten gestellten Anbots unter Einschluß allfälliger Nebenbedingungen enthalten müsse. Ein unrichtiges Anbot löse den Lauf der Frist zur Ausübung des „Vormietrechts“ nicht aus. Beim Übergang der Mietrechte gemäß § 12 Abs 3 MRG aF (nunmehr § 12a MRG) sei dessen verläßliche Kenntnisnahme durch den Vermieter zwecks Stellung eines allfälligen Erhöhungsbegehrens erforderlich. Der Inhalt des von den Beklagten geschlossenen Vertrags (Unternehmenskauf) müsse den Klägern nur soweit bekanntgegeben werden, als er sie betreffe. Es stünde den Klägern frei, diesen Vertrag anzufechten bzw. eine Klage auf Einlösung des „Vormietrechts“ einzubringen. Zwar könne die Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde gemäß Art XLIII EGZPO auch außerhalb eines anhängigen Rechtsstreits im Klageweg gefordert werden, doch handle es sich beim Unternehmenskaufvertrag nicht um eine den Streitteilen gemeinschaftliche Urkunde. Maßgeblich sei nämlich der Errichtungszweck, nicht der Urkundeninhalt. Zweck des zwischen den Beklagten geschlossenen Vertrags sei aber nicht die Herausgabe desselben an die Kläger gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil erster Instanz und sprach aus, daß zwar der Wert des Entscheidungsgegenstands S 50.000, - übersteige, daß aber die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Auf Vormietrechte seien analog die Regeln des Vorkaufsrechts anzuwenden. Der zur Anbietung Verpflichtete habe dem Berechtigten die Kenntnis über alle für die Ausübung des Vormietrechts bedeutsamen Tatsachen zu verschaffen. Es müsse dem Berechtigten der wesentliche Inhalt des beabsichtigten Vertrags mitgeteilt werden, die Übersendung desselben sei aber nicht nötig. Es ergebe sich aus dem Gesetz keine Verpflichtung, dem Vormiet (Vorkaufs )Berechtigten die Vertragsurkunde zu überlassen. Die nachträgliche Beseitigung des Kaufs (der Übertragung der Mietrechte unter Bezahlung einer Investitionsablöse) könne im Verhältnis zum Berechtigten (den Klägern) den bereits eingetretenen Vorkaufsfall („Vormietfall“) nicht mehr berühren. Demnach könnten die Kläger unter dem Aspekt eines Eintrittsrechtes die Herausgabe des Unternehmenskaufvertrags vom 1.4.1994 von den Beklagten selbst dann nicht begehren, wenn man zum Ergebnis gelangte, daß dieser Vertrag gegenüber der ursprünglich zwischen den Beklagten geschlossenen Vereinbarung eine Verbesserung ihrer Position darstellte. Gemäß § 12a MRG seien Veräußerer und Erwerber eines Unternehmens nur zur Anzeige der Unternehmensveräußerung an den Vermieter verpflichtet. Daraus könne nicht die Verpflichtung abgeleitet werden, dem Vermieter auch den Unternehmenskaufvertrag auszufolgen. Gemäß Art XLIII EGZPO könne nur die Vorlage einer Urkunde gefordert werden, nicht aber deren Ausfolgung. Es mangle aber an der Gemeinschaftlichkeit der Urkunde, weil der Unternehmenskaufvertrag nur die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Beklagten betreffe, ein Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen darin aber nicht beurkundet sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger ist zulässig und berechtigt.

Gemäß Art XLIII EGZPO kann die Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde (§ 304 ZPO) auch außerhalb eines anhängigen Rechtsstreits im Wege der Klage gefordert werden. Die Kläger begehren nicht die Herausgabe des am 1.4.1994 zwischen den Beklagten abgeschlossenen Unternehmenskaufvertrags, sondern die Ausfolgung einer Fotokopie dieser Urkunde, also die Einsichtnahme (= Vorlage) in eine Urkunde. Sie erheben demnach ein dem Art XLIII EGZPO zu unterstellendes Begehren (vgl 7 Ob 19/83; 3 Ob 545/80; Gitschthaler in RZ 1984, 4 [5]). Der in dieser Gesetzesstelle genannte Verpflichtungsgrund besteht ausschließlich in der Gemeinschaftlichkeit des Urkundeninhalts. Als gemeinschaftlich gilt eine Urkunde insbesondere für Personen, in deren Interesse sie errichtet ist oder deren gegenseitige Rechtsverhältnisse darin beurkundet sind . Maßgebend für die Gemeinschaftlichkeit einer Urkunde ist nicht deren Inhalt, sondern der Errichtungszweck (NZ 1995, 103; 6 Ob 552/95; RZ 1984/70, SZ 56/117 uva; Gamerith in Rummel , ABGB 2 , Rz 4 zu § 844). Nun mag es zutreffen, daß der Unternehmenskaufvertrag nicht im Interesse der Kläger errichtet wurde; die Urkunde darüber wurde gewiß nicht angefertigt, um diesen als Beweismittel zu dienen oder die rechtlichen Beziehungen zwischen den Streitteilen zu fördern (vgl NZ 1995, 103; RZ 1984/70; SZ 56/117 uva). Mit dem Unternehmenskaufvertrag wurde aber auch nach dem Vorbringen der Beklagten ein Übergang der Mietrechte gemäß § 12a MRG (§ 12 Abs 3 MRG aF) vom Erstbeklagten auf die Zweitbeklagte bewirkt. Es ist also in dem von den Beklagten ihrer Behauptung nach abgeschlossenen Unternehmenskaufvertrag das Entstehen eines Mietrechtsverhältnisses zwischen den Klägern und der Zweitbeklagten bzw andererseits das Erlöschen des Mietrechtsverhältnisses zwischen den Klägern und dem Erstbeklagten beurkundet. Der Urkundeninhalt betrifft damit (auch) die „gegenseitigen Rechtsverhältnisse“ der Streitteile, der beurkundete Vorgang (Unternehmenskauf samt Mietrechtsübergang) steht mit dem fraglichen Rechtsverhältnis (aufrechter Mietvertrag mit dem Erstbeklagten bzw. von der Zweitbeklagten übernommenes Mietrechtsverhältnis) in unmittelbarer rechtlicher Beziehung. Für die Gemeinschaftlichkeit einer Urkunde reicht es aber aus, daß eine objektive und unmittelbare Beziehung mit dem Rechtsverhältnis besteht, an dem der die Vorlegung Begehrende beteiligt ist (SZ 61/208; SZ 38/218; vgl SZ 23/363).

Der Unternehmenskaufvertrag vom 1.4.1994 stellt demnach eine den Streitteilen gemeinschaftliche Urkunde dar, weil darin für mehrere Personen (Kläger und Beklagte) deren gegenseitige Rechtsverhältnisse beurkundet sind (JBl 1979, 376), aber auch weil sich die Vertragsurkunde rechtlich auf das fragliche Rechtsverhältnis (mit welchem Beklagten das Mietverhältnis nun aufrecht ist bzw ob in weiterer Folge vom vereinbarten „Vormietrecht“ Gebrauch gemacht werden kann) bezieht (6 Ob 552/95; SZ 61/208; Gitschthaler aaO). Das rechtliche Interesse der Kläger an der Vorlage der Urkunde ist gegeben, weil die Einsichtnahme zur Erhaltung und Verteidigung der rechtlich geschützten Interessen der die Einsicht begehrenden Kläger (deren Einlösungsrecht) benötigt wird (6 Ob 552/95 mwN).

Der Revision ist im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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