JudikaturJustiz1Ob187/19k

1Ob187/19k – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. November 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Mag. Korn und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragstellerin J***** a.d., *****, Serbien, vertreten durch Dr. Hannes Lattenmayer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Abänderung des Zwischenbeschlusses vom 24. Februar 2014, GZ 61 Nc 1/08v 20, des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien (wegen Kostenersatz nach § 31, § 117 Abs 4 WRG), über die außerordentlichen Revisionsrekurse der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 2. September 2019, GZ 12 R 36/19f 6, 12 R 37/19b 13, 12 R 38/19z 11, 12 R 39/19x 11, 12 R 40/19v 11, mit dem die Beschlüsse des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 26. Februar 2019, GZ 61 Nc 3/16z 9 (1 Ob 187/19k), 61 Nc 4/16x 7 (1 Ob 188/19g), 61 Nc 5/16v 7 (1 Ob 189/19d), 61 Nc 6/16s 7 (1 Ob 190/19a) und 61 Nc 1/17g 2 (1 Ob 191/19y), bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die Anträge der Antragstellerin auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zurückgewiesen.

II. Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin ist ein serbisches Schifffahrtsunternehmen.

Mit Zwischenbeschluss vom 24. 2. 2014 sprach das Erstgericht aus, dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin dem Grunde nach zum Ersatz der Kosten zur Beseitigung einer bestimmten Gewässerverunreinigung verpflichtet sei. Der im Instanzenzug angerufene Oberste Gerichtshof wies den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin zu 1 Ob 208/14s zurück.

Mit ihren im Zeitraum 2. 11. 2015 bis 30. 9. 2016 eingebrachten fünf Abänderungsanträgen nach § 73 AußStrG begehrt die Antragstellerin jeweils die Aufhebung des im Hauptverfahren ergangenen Zwischenbeschlusses des Erstgerichts vom 24. 2. 2014, wobei sie sich im Wesentlichen darauf stützt, nunmehr könne sie beweisen, dass sie die Ölverschmutzung nicht verursacht habe und gar nicht verursacht haben könne und ein – der behördlichen Amtshandlung vom 21. 6. 2005 zugrunde gelegtes – Gutachten unrichtig sei. Die Weiterverfolgung der Ansprüche durch die Antragsgegnerin, die um die Unmöglichkeit der Verursachung und die Unrichtigkeit dieses Gutachtens wisse, erfülle den Tatbestand des Betrugs.

Das Erstgericht wies mit getrennten Beschlüssen die Abänderungsanträge ab. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidungen und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs jeweils nicht zulässig sei.

Dagegen richten sich die außerordentlichen Revisionsrekurse der Antragstellerin.

Rechtliche Beurteilung

I. Zu den Anträgen auf Einholung von Vorabentscheidungen:

1. Eine Verfahrenspartei hat keinen verfahrensrechtlichen Anspruch darauf, die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu beantragen. Ein solcher (gesetzlich) nicht vorgesehener Antrag ist daher zurückzuweisen (RIS Justiz RS0058452 [T1, T5, T16, T21]).

2. Die für die Erlassung des abzuändernden Zwischenbeschlusses maßgebliche Anordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 21. 6. 2005, mit der gegenüber einem Mitarbeiter der Antragstellerin konkrete Aufträge zur Behebung der Verunreinigung eines Gewässers unter Angabe eines bestimmten Sanierungszielwerts binnen 14 Tagen erteilt wurden, erging in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt. Die von der Antragstellerin dagegen erhobene Maßnahmenbeschwerde wurde rechtskräftig zurückgewiesen.

Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteile Kühne Heitz , C 453/00, ECLI:EU:C:2004:17, Rn 24; jüngst Glencore Agriculture Hungary , C 189/18, ECLI:EU:C:2019:861, Rn 45) gehört die Rechtssicherheit zu den im Gemeinschaftsrecht anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Die Bestandskraft einer Verwaltungsentscheidung, die nach Ablauf angemessener Klagefristen oder Erschöpfung des Rechtswegs eingetreten ist, trägt zur Rechtssicherheit bei. Daher verlangt das Unionsrecht nicht, dass eine Behörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine bestandskräftige Entscheidung zurückzunehmen. Das Gemeinschaftsrecht gebietet es einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine Gerichtsentscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren nationalen Situation abgeholfen werden könnte (Urteile Eco Swiss , C 126/97, ECLI:EU:C:1999:269, Rn 46 und 47; zuletzt Impresa Pizzarotti , C 213/13, ECLI:EU:C:2014:2067, Rn 59). In Bezug auf die Rechtskraft von Bescheiden räumt der EuGH nach Ablauf von Rechtsmittelfristen der Rechtssicherheit Vorrang vor der Rechtsrichtigkeit ein (10 ObS 172/04y mwN zur Rechtsprechung des EuGH = SZ 2005/29 = RS0119739). Wie schon das Rekursgericht zutreffend darlegte, besteht im Hinblick auf die durch diese Entscheidungen des EuGH geklärte Rechtslage keine Notwendigkeit zur Einleitung der von der Revisionsrekurswerberin beantragten Vorabentscheidungsverfahren.

3. Wenn die Revisionsrekurswerberin mit der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 4. 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (Umwelthaftungs-Richtlinie; ABl 30. 4. 2004, L 143/56 ff) argumentiert, ist ihr entgegenzuhalten, dass diese gemäß Art 17 iVm Art 19 Abs 1 für die im Jahr 2005 aufgetretenen Schäden, die Grundlage des abzuändernden Verfahrens über den Kostenersatz sind, nicht gilt. Inwiefern ihr im Maßnahmenbeschwerdeverfahren kein, dem nunmehr geltenden Art 47 Abs 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entsprechender wirksamer Rechtsbehelf zugestanden oder dieses vor keinem unparteiischen Gericht verhandelt worden wäre, zeigt sie nicht auf. Wenn sie ohne nähere Darlegungen auf Art 41 Abs 1 und 2 GRC Bezug nimmt, ist ihr entgegenzuhalten, dass diese Bestimmung gerade nicht die Mitgliedstaaten, auch nicht bei der Durchführung von Unionsrecht, verpflichtet, weil darin lediglich der direkte Vollzug des Unionsrechts angesprochen wird und insoweit die grundsätzliche Erstreckung der Geltung der GRC auch auf die Mitgliedstaaten gemäß Art 51 Abs 1 GRC eingeschränkt wird ( Voet van Vormizeele in Schwarze , EU Kommentar 4 [2019] Art 41 GRC Rn 5 mwN zur Rechtsprechung des EuGH).

II. In den Revisionsrekursen wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG angesprochen.

4. Die Bindung an rechtskräftige Entscheidungen zählt zu den Grundwerten des Zivilverfahrensrechts. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte leitet den Bestandschutz rechtskräftiger Entscheidungen aus Art 6 EMRK ab. Endgültige Rechtsentscheidungen müssen bindend sein und dürfen nicht oder nur unter strikten Voraussetzungen aufgehoben werden (EGMR 28342/95, Brumarescu gegen Rumänien , Rn 61; EGMR 52854/99, Ryabykh gegen Russland , Rn 51 f; Grabenwarter/Pabel , Europäische Menschenrechts-konvention 6 , 515 Rz 79).

Eine Durchbrechung der Rechtskraft sieht das österreichische Recht nur in seltenen Ausnahmefällen vor. Nach völlig herrschender Auffassung kann die Rechtskraft, weil diese prozessualen Ursprungs ist, nur mit den durch die Prozessordnung gewährten Mitteln beseitigt werden. Hiezu zählen etwa die Nichtigkeits und Wiederaufnahmsklage (und im Außerstreitverfahren der Abänderungsantrag). Hingegen bildet die – von der Revisionsrekurswerberin behauptete – Unrichtigkeit der Entscheidung (hier: im abzuändernden Verfahren) keinen Grund für eine Durchbrechung der Rechtskraft, könnte diese doch dann ihre streitbereinigende Wirkung nicht entfalten (6 Ob 3/19p mwN = EvBl 2019/107, 735 [ Klicka ]; vgl RS0041361).

5. Eine – auf einer (behaupteten) unrichtigen rechtlichen Beurteilung des im Vorverfahren festgestellten Sachverhalts beruhende – (angebliche) Unrichtigkeit dieser Entscheidung rechtfertigt weder eine Wiederaufnahme noch eine Abänderung nach § 73 AußStrG. Die rechtliche Beurteilung durch die Gerichte im Hauptverfahren kann somit nicht mit einem Abänderungsantrag bekämpft werden (vgl RS0044631 [T9]).

Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die Ausführungen in den Abänderungsanträgen auf eine Erschütterung der Entscheidungsgrundlage des verwaltungsbehördlichen Verfahrens zur Erlassung des Sanierungsauftrags abzielten und in keinem rechtlich beachtlichen Zusammenhang mit dem Zwischenbeschluss im (gerichtlichen) Hauptverfahren stünden, in dem die Frage der Verursachung der Gewässerverschmutzung sowie der Richtigkeit und Rechtmäßigkeit des verwaltungsbehördlichen Sanierungsauftrags aufgrund der bestehenden Bindungswirkung nicht zu prüfen war, wird von der Revisionsrekurswerberin nicht konkret bekämpft, sodass sie keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen vermag. Mit ihren Ausführungen zur „Rechtskraftdurchbrechung bei sittenwidriger Rechtsausübung“ zeigt sie keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung auf (vgl dazu auch RS0016737). Einen konkreten gesetzlichen Grund für die Abänderung des Zwischenbeschlusses im vorangegangenen Kostenfestsetzungsverfahren vermag sie nicht schlüssig aufzuzeigen.

6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).