JudikaturJustiz1Ob16/22t

1Ob16/22t – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Februar 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Parzmayr und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Mag. Patrycja Gamsjäger, LL.M., Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17–19, wegen 150.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. Dezember 2021, GZ 14 R 124/21i 76, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. Mai 2021, GZ 32 Cg 26/18f 70, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger wurde am 12. 10. 2015 festgenommen und am 14. 10. 2015 in eine Justizanstalt eingeliefert. Er erlitt nach seiner Einlieferung in der Zeit bis zum 20. 10. 2015 einen Herzinfarkt.

[2] Mit seiner Klage begehrt er aus dem Titel der Amtshaftung 150.000 EUR Schmerzgeld und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden, die er in dritter Instanz nur noch aus einer Fehlbehandlung der Anstaltsärzte ableitet.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, mit der es das Klagebegehren zur Gänze abw ies. D en Anstaltsä rzten könne weder ein Diagnose- noch ein Behandlungsfehler angelastet werden , weil sie nach den Feststellungen bis zum Ergebnis des EKGs und der Blutuntersuchung vom 20. 10. 2015 keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Herzinfarkts gehabt hätten. Weitergehende Untersuchungen könnten von einem Arzt nicht verlangt werden, wenn nach den Umständen keine Verdachtsmomente für eine dadurch feststellbare Erkrankung oder Verletzung vorlägen.

[4] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, in der keine Rechtsfragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO angesprochen werden.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1.1 Zwar trifft es zu, dass es einen Mangel des Berufungsverfahrens begründen kann, wenn sich das Berufungsgericht mit der Mängelrüge des Berufungswerbers nicht oder nur unzureichend befasst (vgl nur RIS Justiz RS0043144 ). Der Kläger hat in seiner Berufung aber lediglich gerügt, dass das Erstgericht kein Gutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin eingeholt und sich mit dem bereits vorliegenden Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Inneren Medizin begnügt habe. Damit ist aber keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens zweiter Instanz angesprochen.

[6] 1.2 Ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die in dritter Instanz nicht mehr bekämpft werden kann (RS0043320). Mit seinen Ausführungen zur unterbliebenen Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens spricht der Kläger daher nicht den Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO an . D ie Gutachtensergebnisse wären (unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung) nur bekämpfbar, wenn dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze oder (sonstige) Erfahrungssätze unterlaufen wäre (RS0043168; RS0043404). Solche Gründe macht der Kläger aber nicht geltend , wenn er meint, der vom Gericht herangezogene Sachverständige selbst hätte darauf verwiesen, die an ihn gerichteten Fragen nicht beantworten zu können, weil er keine allgemeinmedizinische Ausbildung habe . Dieser Hinweis des Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten bezog sich ausschließlich auf Fragen nach der Ausbildungsbeschreibung und den Wissensstand eines Arztes für den Bereich der Allgemeinmedizin, deren Relevanz für das vorliegende Verfahren nicht erkennbar ist. Welchen Einfluss die Beantwortung dieser Fragen auf den Ausgang des Verfahrens haben könnte, versucht der Kläger auch gar nicht darzustellen.

[7] 2.1 Der Vorwurf des Klägers lässt sich dahin zusammenfassen, dass die Anstaltsärzte nicht (rechtzeitig) erkannt hätten , dass er einen Herzinfarkt erlitten hatte. Richtig ist, dass der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst schuldet (vgl RS0123136 [T1]). Die Unterlassung einer ( weiteren) Diagnostik kann haftungsbegründend sein, wenn sie indiziert gewesen wäre (vgl 1 Ob 244/16p ua). W eitergehende Untersuchungen können aber dort nicht verlangt werden, wo nach den Umständen des konkreten Falls keine Anhaltspunkte oder konkreten Verdachtsmomente für eine durch eine solche Untersuchung feststellbare Erkrankung oder Verletzung vorliegen (10 Ob 23/15b; 6 Ob 233/17h).

[8] 2.2 Im vorliegenden Fall steht fest, dass die behandelnden Ärzte bis zum Ergebnis des EKGs und der Blutuntersuchung vom 20. 10. 2015 keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Herzinfarkts hatten. Das schließt ein, dass keine für die Ärzte erkennbaren Symptome vorlagen, die auf einen – allenfalls „stummen“ – Herzinfarkt hingewiesen hätten. Damit begründet es auch keinen Feststellungsmangel, we nn sich – so der Kläger – die Vorinstanzen nicht mit den „unspezifischen Symptomen eines – nicht symptomatischen – Herzinfarkts“ auseinandergesetzt haben. Liegen zu einem bestimmten Thema aber ohnedies Feststellungen vor, mögen sie auch nicht den Vorstellungen des Revisionswerbers entsprechen, geht auch der Vorwurf eine s Feststellungsmangels ins Leere (RS0043320 [T16; T18]).

[9] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtssätze
3
  • RS0123136OGH Rechtssatz

    21. November 2023·3 Entscheidungen

    a) Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Die pränatale Diagnostik dient nicht zuletzt der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes und soll damit auch der Mutter (den Eltern) im Falle, dass dabei drohende schwerwiegende Behinderungen des Kindes erkannt werden, die sachgerechte Entscheidung über einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch ermöglichen. Dass in einem solchen Fall die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen kann, ist objektiv voraussehbar, weshalb auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst sind. b) Wird beim Organscreening im Rahmen pränataler Diagnostik ein Hinweis auf einen beginnenden Wasserkopf als Folge einer Meningomyelozele nicht entdeckt und unterbleibt eine Wiederbestellung der Schwangeren, obwohl diagnoserelevante Strukturen nicht einsehbar waren, dann liegt ein ärztlicher Kunstfehler vor. Hätten sich die Eltern bei fachgerechter Aufklärung über die zu erwartende schwere Behinderung des Kindes und einen deshalb gesetzlich zulässigen Schwangerschaftsabbruch gemäß § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB zu Letzterem entschlossen, haftet der Arzt (der Rechtsträger) für den gesamten Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind. In einem solchen Fall stünden sowohl die Ablehnung eines Schadenersatzanspruchs mit der Behauptung, es liege kein Schaden im Rechtssinn vor, als auch der bloße Zuspruch nur des behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwands mit den Grundsätzen des österreichischen Schadenersatzrechts nicht im Einklang.