JudikaturJustiz15Os98/11t

15Os98/11t – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. August 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. August 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Böhm als Schriftführer in der Strafsache gegen Werner H***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 23. März 2011, GZ 22 Hv 115/10t 49, und die Beschwerde des Angeklagten gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß § 494 Abs 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II./ und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) ebenso wie der Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Linz verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft werden mit ihren Berufungen, ersterer auch mit seiner Beschwerde, auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Werner H***** dreier Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./1./ bis 3./) sowie zweier Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er

I./ nachgenannte Personen mit Gewalt, indem er ihnen mit hochprozentigem Alkohol manipulierte Getränke verabreichte, wodurch die Opfer in einen Zustand der Bewusstlosigkeit versetzt wurden, zur Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung genötigt, und zwar

1./ am 5. August 2010 in A***** Susanne M*****, indem er an ihr den Vaginalverkehr vollzog;

2./ am 9. oder am 10. August 2010 in K***** Yvonne S*****, indem er an ihr den Vaginal und Analverkehr vollzog;

3./ Ende August 2010 in A***** Martina Hu*****, indem er an ihr den Vaginalverkehr vollzog;

II./ Mitte August 2010 in A***** und in H***** Andrea Sc***** in zwei Angriffen vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr mit hochprozentigem Alkohol manipulierte Getränke verabreichte, wodurch diese in einen bewusstlosen Zustand versetzt wurde und „danach an Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen“ litt.

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5, 8, 10 und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welche sich als teilweise berechtigt erweist.

Rechtliche Beurteilung

Zu Recht wendet die Mängelrüge betreffend Punkt II./ des Schuldspruchs Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) ein, weil das angefochtene Urteil den Inhalt der Aussage des Nichtigkeitswerbers in der Hauptverhandlung unrichtig wiedergibt (RIS Justiz RS0099492; Ratz , WK StPO § 281 Rz 467): Das Erstgericht führt beweiswürdigend aus, der Angeklagte habe betreffend den „ersten“ und den „zweiten Vorfall“ zugegeben, Andrea Sc***** ein präpariertes Getränk verabreicht zu haben (US 14). Tatsächlich hat er jedoch das Verabreichen eines präparierten Getränks an die Genannte lediglich in einem Fall zugestanden (ON 41a, S 19 ff, insb S 23).

Die Aufhebung des gesamten Punkts II./ des Schuldspruchs war erforderlich, weil nicht zuordenbar ist, auf welches der beiden dort enthaltenen Fakten sich die mangelhafte Begründung bezieht.

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde Punkt I./ des Schuldspruchs betrifft, verfehlt sie hingegen ihr Ziel.

Warum die Urteilspassage, wonach die manipulierten Getränke „zur sehr schnellen Bewusstlosigkeit der Opfer“ führten mit der erstgerichtlichen Konstatierung, Susanne M***** sei zuerst schwindelig geworden, sie sei aufs WC gegangen, habe über den Grund ihres Zustands nachgedacht, sich auf eine Couch gelegt und danach das Bewusstsein verloren, in Widerspruch (Z 5 dritter Fall) stehen sollte, bleibt offen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wirft dem Schöffengericht Überschreiten der Anklage (Z 8) vor, weil laut Begründung der Anklageschrift der Angeklagte durch das Verabreichen der heimlich präparierten Getränke die Opfer lediglich „lockerer, von sich aus aktiver und zügelloser“ machen wollte, womit betreffend Punkt I./ des Schuldspruchs nur von Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB auszugehen wäre. Ein „Vorsatz in Richtung § 201 Abs 1 StGB“ sei nicht angeklagt.

Dabei verkennt der Nichtigkeitswerber, dass es bei dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund darum geht, ob Anklage und Urteil denselben Lebenssachverhalt meinen, welcher Gegenstand vom Ankläger der tatsächlichen Klärung und rechtlichen Beurteilung durch das erkennende Gericht anheim gestellt wurde ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 502, 509). Der Anklagetenor legte dem Angeklagten im Übrigen ohnehin fünf Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB zur Last, sodass auch mit Blick auf § 262 StPO keine Nichtigkeit aus Z 8 vorliegt (vgl WK StPO Rz 545). Ob Tenor (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) oder Begründung der Anklageschrift (§ 211 Abs 2 StPO) auf ein als Prozessgegenstand in Betracht kommendes Geschehen verweisen, ist ohne Bedeutung sie werden als Einheit betrachtet (RIS Justiz RS0097672, Fabrizy , StPO 10 § 281 Rz 53; WK StPO Rz 503).

Warum angesichts der bei den Opfern vom Angeklagten durch das Verabreichen der mit hochprozentigem Alkohol manipulierten Getränke herbeigeführten Bewusstlosigkeit der deliktspezifische Gewaltbegriff des § 201 Abs 1 StGB (vgl 13 Os 102/05g, EvBl 2006/48, 253; Philipp in WK 2 § 201 Rz 13) nicht erfüllt sein soll, leitet die eine rechtliche Beurteilung des Urteilssachverhalts als Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) nicht prozessordnungskonform aus dem Gesetz ab, sondern behauptet dies lediglich.

Die zu Punkt II./ erforderliche Kassation des Schuldspruchs hat die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge, sodass sich ein Eingehen auf die Sanktionsrüge (Z 11) erübrigt.

Demnach war das angefochtene Urteil wie aus dem Spruch ersichtlich teilweise aufzuheben und insoweit die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§§ 285e, 288 Abs 2 Z 1 StPO).

Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Mit den übrigen Rechtsmitteln waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die teilweise Aufhebung des Urteils zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
3
  • RS0120379OGH Rechtssatz

    14. Januar 2021·3 Entscheidungen

    Der Einsatz betäubender Mittel ist als Gewalt (auch iSd § 201 Abs 1 StGB idgF) anzusehen. Dieser erweiterte, auf die Beeinträchtigung der Willensfreiheit abstellende Gewaltbegriff setzt allerdings voraus, dass dem Tatopfer ein betäubendes (berauschendes) Mittel ohne seinen Willen verabreicht wird, welches in seiner Wirkung dazu führt, dass eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung hervorgerufen wird, in der dem Opfer eine eigenständige Willensentfaltung unmöglich gemacht wird. Nur dann entspricht das Hervorrufen dieses Zustands der Anwendung von umfassender Gewalt, die mit der völligen Ausschaltung der Willensbildung beim Opfer einhergeht. Das heimliche Verabreichen eines Betäubungsmittels in einer Dosis, welche diese Fähigkeit zur eigenständigen Willensbildung noch nicht ausschaltet, kann hingegen die strafrechtlich geschützte freie Willensbetätigung des Opfers -anders als bei der sonstigen Gewalteinwirkung - weder umlenken noch fremdsteuern, weil dem Tatobjekt mangels Kenntnis eines auf ihn wirkenden Mittels nicht bewusst wird, dass von ihm eine (vom Täter bezweckte) Verhaltensänderung erreicht werden soll. Dass das Opfer durch die Verabreichung eines berauschenden Mittels leichter beeinflussbar wird, kann aber selbst bei extensiver Auslegung des Gewaltbegriffes noch nicht als das Rechtsgut der Freiheit beeinträchtigende und vom Betroffenen als auf ihn einwirkend wahrnehmbare Willenssteuerung angesehen werden.