JudikaturJustiz15Os80/17d

15Os80/17d – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. August 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. August 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Limberger, LL.M., als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Thomas T***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. April 2017, GZ 51 Hv 12/17g 42, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani und des Verteidigers Dr. Stranzinger zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Anlasstaten I./A./-C./, (ersatzlos) in der Subsumtionseinheit nach § 84 Abs 3 StGB sowie weiters im Ausspruch der Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB aufgehoben und im Umfang der Aufhebung betreffend I./A./-C./ in der Sache selbst erkannt:

Der Antrag der Staatsanwaltschaft, Thomas T***** auch deshalb in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB unterzubringen, weil er unter dem Einfluss eines seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden, auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhenden Zustands (paranoide Schizophrenie)

I./ nachgenannte Personen am Körper verletzt habe, wobei er mindestens drei selbständige Taten ohne begreiflichen Anlass und unter Anwendung erheblicher Gewalt begangen habe, und zwar

A./ am 5. November 2016 Eugen K*****, indem er ihm zumindest zwei Faustschläge gegen den Hinterkopf versetzte, wodurch dieser eine starke Schwellung am Hinterkopf erlitt;

B./ am 9. November 2016 Heinz Ka*****, indem er ihm von hinten einen wuchtigen Stoß gegen den Rücken versetzte, wodurch dieser auf die Straße stürzte und eine Schädel und Nasenprellung erlitt;

C./ am 9. November 2016 Mag. Cornelia Kn*****, indem er ihr mit der Hand auf den Hinterkopf schlug, wodurch diese Kopfschmerzen erlitt;

wird abgewiesen.

Im Umfang der Aufhebung der Unterbringungsanordnung betreffend die unter I./D./ und II./ bezeichneten Anlasstaten wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Betroffene auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch eine in Rechtskraft erwachsene Abweisung des Unterbringungsantrags der Staatsanwaltschaft hinsichtlich einer weiteren dem Betroffenen angelasteten Tat enthält, wurde die Unterbringung des Thomas T***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.

Demnach hat der Genannte in Wien unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, beruht

I./ nachgenannte Personen am Körper verletzt, wobei er mindestens drei selbstständige Taten ohne begreiflichen Anlass und unter Anwendung erheblicher Gewalt beging, und zwar

A./ am 5. November 2016 Eugen K*****, indem er ihm zumindest zwei Faustschläge gegen den Hinterkopf versetzte, wodurch dieser eine starke Schwellung am Hinterkopf erlitt;

B./ am 9. November 2016 Heinz Ka*****, indem er ihm von hinten einen wuchtigen Stoß gegen den Rücken versetzte, wodurch dieser auf die Straße stürzte und eine Schädel und Nasenprellung erlitt;

C./ am 9. November 2016 Mag. Cornelia Kn*****, indem er ihr mit der Hand auf den Hinterkopf schlug, wodurch diese Kopfschmerzen erlitt;

D./ am 9. November 2016 Friedrich R*****, indem er ihm mehrere wuchtige Faustschläge auf den Hinterkopf und ins Gesicht versetzte, wodurch dieser ins Wanken geriet und gegen einen Vorsprung einer Betonsäule prallte, und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung des Genannten herbeigeführt, nämlich Prellungen des Kopfes und der linken Hand, Hämatome im rechten Stirnbereich und am rechten Unterschenkel, eine leichte Schwellung am linken Kieferwinkel, eine Rötung am linken Ohrläppchen sowie eine Blutung unter der harten Hirnhaut (Subduralhämatom);

II./ am 5. November 2016 Rene D***** absichtlich schwer am Körper zu verletzen versucht, indem er mit einer „Eisenstange“ eine Ausholbewegung in Richtung des bereits am Boden Liegenden machte, wobei es beim Versuch blieb, weil ihn ein Passant anschrie und er daraufhin die Örtlichkeit verließ.

Ungeachtet des Fehlens der Benennung der durch die genannten Taten verwirklichten strafbaren Handlungen im Urteilstenor (s § 430 Abs 2 iVm § 260 Abs 1 Z 2 StPO; RIS Justiz RS0098515) ist aus dem Wortlaut des Urteilsspruchs in Zusammenhalt mit den Entscheidungsgründen (US 13 ff) unmissverständlich zu erkenn,, dass das Schöffengericht in rechtlicher Hinsicht annahm, die Taten wären einem Zurechnungsfähigen als ein (mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohtes) Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 3 StGB (I./A./-D./), zu I./D./ überdies auch nach § 84 Abs 4 StGB, und das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (II./) zuzurechnen gewesen.

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen, der keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen:

Die Verfahrensrüge (Z 4) bemängelt die Abweisung der Anträge auf „Einholung eines zweiten fachärztlichen Gutachtens zur Frage, ob eine Therapie in einer eng strukturierten Umgebung für den Betroffenen in Frage käme“ (ON 41 S 25), und auf zeugenschaftliche Vernehmung des Neurologen Dr. Walter N***** „zum Beweis dafür, dass er die Krankengeschichte des Betroffenen sehr gut kannte, und zur Frage, warum er ihn von den Neuroleptika abgesetzt hat“ (ON 41 S 26).

Da die Beweisanträge weder (deutlich und bestimmt) auf die Klärung von Tatsachen in Bezug auf die Begehung oder die Subsumtion der Anlasstaten (Z 4) noch auf solche in Bezug auf Sanktionsbefugnisgrenzen (Z 11 erster Fall iVm Z 4) abzielten, wurden durch ihre Abweisung Verteidigungsrechte des Betroffenen nicht verletzt (RIS Justiz RS0099430; RS0099473 [insb T16, T17 und T18]).

Die in der Beschwerde und der Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur nachgetragenen Argumente sind aufgrund des Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS Justiz RS0099618 [T16 und T24]; RS0099117 [T17 und T18]).

Soweit das Beweisbegehren bloß die Gefährlichkeitsprognose nach § 21 Abs 1 StGB ansprechen sollte, wird kein als Nichtigkeitsgrund beachtlicher Verfahrensmangel geltend gemacht, sondern bloß ein Berufungsvorbringen zur Darstellung gebracht (RIS Justiz RS0114964).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.

Zur amtswegigen Maßnahme:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon, dass dem Einweisungserkenntnis der von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Als Anlasstat iSd § 21 Abs 1 StGB kommt nämlich nur eine Handlung in Betracht, die (für sich gesehen) mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Da das Gesetz auf eine Tat abstellt, kommt eine rechtliche Zusammenfassung mehrerer selbständiger Taten (etwa bei einer Zusammenrechnung nach § 29 StGB) weder für die Beurteilung des Vorliegens einer die Voraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB erfüllenden Strafdrohung (vgl RIS Justiz RS0090156) noch bei der Einstufung der Prognosetat (vgl RIS Justiz RS0119762, RS0090398) in Betracht. Ebensowenig bildet die Qualifikation einer Subsumtionseinheit nach § 84 Abs 3 StGB (vgl dazu RIS Justiz RS0121142) eine taugliche Grundlage für eine Einweisung (vgl 12 Os 65/05h).

Da die dem Betroffenen zu I./A./-C/. zur Last gelegten Anlasstaten nicht jeweils (für sich) mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind, kann das Einweisungserkenntnis auf diese nicht gestützt werden. Insoweit hat das Erstgericht – obgleich dem Betroffenen darüber hinaus auch einweisungsrelevante Taten zur Last liegen – seine Einweisungsbefugnis überschritten (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO; RIS Justiz RS0090390).

Folglich war das Ersturteil im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang aufzuheben und – weil insoweit eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache zu treffen war (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO) – der Unterbringungsantrag der Staatsanwaltschaft (ON 29) hinsichtlich der zu I./A./-C/. bezeichneten Anlasstaten abzuweisen. Überdies war die Subsumtionseinheit nach § 84 Abs 3 StGB aufzuheben.

Der Anregung des Betroffenen in seiner Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur, auch die Aussprüche über die Anlasstaten zu I./D./ und II./ aufzuheben, war hingegen nicht näherzutreten. Der Urteilssachverhalt bietet im Hinblick auf die Flucht des Opfers während einer bloßen Unterbrechung der Ausholbewegung des Betroffenen nach Zurufen eines Passanten keinen Raum für die Annahme eines (freiwilligen) Rücktritts vom Versuch (§ 16 StGB) zu II./ (US 6, 10). Ebensowenig fehlen Annahmen, die eine objektive und subjektive Zurechnung der schweren Verletzung des 91 jährigen Opfers zu I./D./ an die Tätlichkeiten der Betroffenen tragen (US 7, 14; vgl auch RIS Justiz RS0089230, RS0088955).

Da Grundlage der Prognoseentscheidung des Erstgerichts beim Zusammentreffen mehrerer Anlasstaten stets deren historisches Geschehen in seiner Gesamtheit ist, hat nach Wegfall eines Teils dieser Grundlage jedenfalls eine neue Prognoseentscheidung zu ergehen (vgl RIS Justiz RS0120576; zur Möglichkeit von bloß kassatorischen Entscheidungen des – zur Entscheidung in der Sache selbst berechtigten – Obersten Gerichtshofs in der Sanktionsfrage vgl auch Ratz , WK StPO § 285i Rz 4 f und § 288 Rz 20 und 28 ff).

Im Umfang der Aufhebung der Unterbringungsanordnung betreffend die unter I./D./ und II./ bezeichneten Anlasstaten war die Sache daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen.

Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch der (unbedingten) Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB war der Betroffene auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Rechtssätze
6
  • RS0090390OGH Rechtssatz

    29. Februar 2024·3 Entscheidungen

    Liegen dem Betroffenen mehrere Taten zur Last, von denen nur eine den Voraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB entspricht, während die anderen zufolge der für sie maßgebenden Strafdrohung nicht einweisungsrelevant sein können, so hat das Gericht den Einweisungsantrag, soweit er auch diese Taten betrifft, abzuweisen; stützt es jedoch (rechtsirrig) sein Einweisungserkenntnis spruchgemäß auch auf diese Taten, dann hat es insoweit seine Einweisungsbefugnis überschritten, womit das Erkenntnis in diesem Punkt nichtig im Sinn der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO ist, uzw unbeschadet dessen, dass dem Betroffenen daneben auch eine einweisungsrelevante Anlasstat zur Last liegt. Denn der im Urteilstenor dekretierte Tatvorwurf kann von der darauf gestützten Sanktion nicht getrennt werden; diese basiert damit aber auch auf Taten, die die Einweisung nicht zu tragen vermögen, wobei die darin gelegene Urteilsnichtigkeit den Betroffenen beschwert, weil nicht gesagt werden kann, dass die nicht einweisungsrelevanten Taten bloß überflüssigerweise und ohne irgendwelche nachteiligen Wirkungen für ihn in den Urteilsspruch aufgenommen worden seien. Daher kann eine Unanfechtbarkeit des Ausspruchs über die Anstaltseinweisung nicht daraus abgeleitet werden, dass die Einweisung ohnedies bereits durch eine andere, diese recte tragende Tat gedeckt ist (Ablehnung der gegenteiligen Auffassung in 10 Os 162/79 = EvBl 1980/203).