JudikaturJustiz15Os8/22y

15Os8/22y – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. April 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des OKontr. Bodinger als Schriftführer in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 15. September 2021, GZ 22 Hv 64/20g 46, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der vom Schuldspruch I./ erfassten Taten auch unter § 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm Abs 1 erster Fall) StGB, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Ausspruch nach § 21 Abs 2 StGB aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Linz verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs 1 Z 1 und Z 3, 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm Abs 1 erster Fall) und 15 StGB (I./), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (II./3./) sowie der Vergehen des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und Abs 2 StGB (II./1./), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II./2./ und 4./) und der Tierquälerei nach § 222 Abs 3 StGB (III./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

I./ gemeinsam mit * T* als Beteiligter (§ 12 StGB) zwischen 11. und 12. August 2020 in * anderen fremde bewegliche Sachen durch Einbruch mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei sie die Einbruchsdiebstähle gewerbsmäßig begingen, und zwar,

1./ * K* einen E Scooter im Wert von 300 Euro sowie ein Mountainbike der Marke REX durch Aufbrechen der Fahrradschlösser, wobei die Tat in Ansehung des Mountainbikes beim Versuch blieb;

2./ * H* ein Fahrrad der Marke KTM im Wert von 450 EUR durch Aufbrechen des Fahrradschlosses;

3./ * P* zwei Fahrräder der Marken SCOTT Boulder und FUJI Tahoe im Gesamtwert von 2.150 Euro und diverse Werkzeuge im Gesamtwert von 1.088 Euro durch Aufbrechen mehrerer Schlösser von Kellerabteilen mit einem Hammer und Aufschneiden von zwei Fahrradschlössern mit einer Metallsäge;

4./ * V* einen Reisekoffer im Wert von 30 EUR durch Aufbrechen eines Kellerabteils;

II./ am 13. April 2020 in * und *

1./ ein Fahrzeug, das zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtet ist, ohne Einwilligung der Berechtigten in Gebrauch genommen, wobei er die Tat beging, indem er sich die Gewalt über das Fahrzeug durch eine der in den §§ 129 bis 131 StGB geschilderten Handlungen verschaffte, indem er den PKW der * Hi* unter Verwendung eines widerrechtlich erlangten Schlüssels in Betrieb nahm;

2./ im Anschluss an die unter Punkt II./1./ angeführte Tat * L* durch gefährliche Drohungen ( US 8 : mit einer Verletzung ihres Eigentums) zu Handlungen genötigt, nämlich dazu, ihren Hund heimzubringen und mit ihm mitzufahren, indem er ankündigte, andernfalls ihren Hund zu verletzen und ihr Haus anzuzünden;

3./ im Anschluss an die unter Punkt II./2./ angeführte Tat * L* mit Gewalt sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung des Beischlafs und einer dem Beischlaf gleichzusetzenden strafbaren Handlung genötigt, nämlich zur Duldung von Vaginal und Analverkehr, indem er ihr Schläge versetzte, ankündigte, ihr so weh zu tun, dass sie ihn nie wieder vergessen werde, ankündigte, ihr Heroin zu spritzen, sie abhängig zu machen und auf den Straßenstrich zu schicken, sie aufforderte, zu weinen aufzuhören, sonst werde er sie weiter schlagen, ankündigte, ihren Hund zu vergiften, wenn sie versuche wegzulaufen und wenn sie sich nicht auf die Rückbank setze, ihr Hose und Unterhose herunterriss, ihre Gegenwehr durch die Androhung weiterer Schläge unterband, sie an den Haaren packte und gegen ihren Willen zunächst einen Vaginalverkehr, dann einen Analverkehr und zuletzt neuerlich einen Vaginalverkehr an ihr vollzog, wobei die Tat eine Schwangerschaft der * L* zur Folge hatte;

4./ im Anschluss an die unter Punkt II./3./ angeführte Tat * L* mit Gewalt sowie durch gefährliche Drohung mit der Zufügung zumindest von Verletzungen am Körper zu Unterlassungen genötigt, und zwar

a./ dazu, es zu unterlassen, ihre Mutter anzurufen bzw dieser zu schreiben, indem er ihr das Handy unter Anwendung von Körperkraft aus der Hand riss und wegsteckte;

b./ dazu, es zu unterlassen, jemandem von der Vergewaltigung zu erzählen, indem er sinngemäß ankündigte, sie andernfalls zu schlagen;

III./ zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem 7. August 2020 in * ein Tier mutwillig getötet, indem er eine Katze der * Sch* gegen die Wand schlug, sodass sie starb.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] D ie Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) und die Rechtsrüge (Z 9 lit a, dSn Z 9 lit b) sprechen hinsichtlich der konstatierten versuchten Wegnahme eines Mountainbikes der Marke REX (I./1./; US 5 f) keine entscheidende Tatsache an, weil der Wegfall oder das Hinzutreten von Beutestücken im Zuge eines diebischen Angriffs ohne Einfluss auf die Lösung der Schuld oder Subsumtionsfrage ist (RIS Justiz RS0118720, RS0117261).

[5] Unvollständig ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt lässt (RIS Justiz RS0098646).

[6] Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) verweist auf isoliert herausgegriffene Angaben des Tatopfers * L* anlässlich deren kontradiktorischer Vernehmung, wonach sie am Tag nach der Tat einen Sexualkontakt mit dem Angeklagten gehabt (ON 23a S 22 f), diesen jedoch bei ihrer Vernehmung durch die Kriminalpolizei am 9. Oktober 2020 (ON 16) verschwiegen habe, und überdies wenige Tage nach dem Vorfall zu einem anderen Mann gezogen sei (ON 23a S 41 f; vgl dazu die Erwägungen des Erstgerichts US 17), sowie versucht mit der Behauptung, dass sich das Tatopfer bei seiner kriminalpolizeilichen Zeugenvernehmung hinsichtlich der Ursächlichkeit der Vergewaltigung für die in der Folge eingetretene Schwangerschaft nicht sicher gewesen sei (ON 16 S 7), dessen Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Damit wird jedoch kein Begründungsdefizit aufgezeigt, sondern bloß unzulässig nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen Schuld die Beweiswürdigung der Tatrichter bekämpft.

[7] Ebenso verhält es sich in Ansehung der weiteren Kritik (Z 5 zweiter Fall), wonach L* zu den zu II./2./ angelasteten Tathandlungen anlässlich ihrer kriminalpolizeilichen Zeugenvernehmung (ON 16) noch keine Angaben gemacht habe, weiters ihrer Mutter nach der mit ihr geführten WhatsApp Korrespondenz das Treffen mit dem Angeklagten bewusst verschwiegen habe (ON 23a S 29), der Angeklagte die zum Schuldspruch II./2./ inkriminierten Drohungen ganz generell, bei Streitigkeiten mit dem Tatopfer, geäußert habe (ON 23a S 33), überdies – mit bloß teilweiser Zustimmung des Tatopfers – der Angeklagte auch mit dem Hund gehen habe wollen (ON 23a S 34) und das Tatopfer nach dessen (aus dem Gesamtzusammenhang gelöst und solcherart verzerrt dargestellten) Angaben in Ansehung der angelasteten Vergewaltigung (II./3./) „mitgemacht“ habe (vgl aber ON 16 S 6: „… weil ich solche Angst hatte“ und ON 23a S 50 ff: „… dass er mich nicht noch mehr schlägt“).

[8] Denn dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe folgend (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) sind die Tatrichter nicht gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt sämtliche Verfahrensergebnisse im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen und sich mit den Beweisergebnissen in Richtung aller denkbaren Schlussfolgerungen auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0106642, RS0098377).

[9] In diesem Sinne haben die Tatrichter die als „sehr glaubhaft“ (US 15) beurteilten Angaben des Tatopfers vor der Kriminalpolizei und anlässlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung – ebenso wie die Frage einer (jedoch verneinten) Falschbelastung – eingehend erwogen und dabei auch das ambivalente Verhältnis des Tatopfers zum Angeklagten und dessen (auch zu Folgetreffen mit dem Angeklagten führende) Abhängigkeit zu diesem explizit erörtert (US 15 ff [17 f und 19 erster Absatz]).

[10] Soweit die Rüge eine Auseinandersetzung mit dem „Umstand“ vermisst, dass L* „vielfache Möglichkeiten gehabt hätte, nach der behaupteten Vergewaltigung Schutz zu suchen“, wird von Neuem lediglich die Beweiswürdigung der Tatrichter kritisiert. Dass sie nach den Tathandlungen zu II./2./, 3./ und 4./ noch einen Joint mit dem Angeklagten rauchte, haben die Tatrichter überdies ausdrücklich berücksichtigt (US 11).

[11] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) auf das Vorbringen zur Mängelrüge verweist, vernachlässigt sie, dass die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind (RIS Justiz RS0115902). Aber auch mit ihren Erwägungen zur Glaubwürdigkeit der Zeugin L*, Bewertungen deren Aussage unter dem Aspekt „allgemein gültiger Lebenserfahrung“ und Spekulationen darüber, wie sich das Tatopfer hätte verhalten können und sollen, gelingt es der Beschwerde nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (zu II./2./, 3./ und 4./) zu erwecken. Der Umstand, dass aus den von den Tatrichtern angeführten Prämissen allenfalls auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen hätten gezogen werden können, ist für sich allein nicht geeignet, jene erheblichen Bedenken darzutun, auf die der Nichtigkeitsgrund abstellt (RIS Justiz RS0099674).

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).

[13] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon, dass d ie Subsumtion der zu I./ angelasteten Taten (auch) unter § 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm Abs 1 erster Fall) StGB mit nicht geltend gemachter Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 10 StPO behaftet ist.

[14] Denn der bloß auf die verba legalia des § 70 Abs 1 StGB beschränkten Konstatierung, wonach „der Angeklagte […] dabei in der Absicht [handelte], sich durch die wiederkehrende Begehung von Einbruchsdiebstählen längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges Einkommen von mehr als 400 Euro monatlich zu verschaffen“ (US 6 letzter Absatz, vgl auch US 22), mangelt es auch angesichts der Tatbegehung (nur) in einer Nacht an einem hinreichenden Sachverhaltsbezug (RIS Justiz RS0119090 [T8, T11 und T14], RS0107402) hinsichtlich der erforderlichen zeitlichen Komponente solcherart intendierter künftiger Delinquenz (vgl Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 70 Rz 7).

[15] Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erforderte die Aufhebung der rechtlichen Unterstellung der angelasteten Taten (auch) unter die Qualifikation des § 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm Abs 1 erster Fall) StGB.

[16] Demgemäß waren auch der Strafausspruch und – zur Ermöglichung der neuerlichen Beurteilung der gesamten Sanktionsfrage (§ 289 StPO) – der Ausspruch nach § 21 Abs 2 StGB aufzuheben.

[17] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.

[18] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO, wobei sich die Ersatzpflicht nicht auf die mit dem amtswegigen Vorgehen verbundenen Kosten erstreckt ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12).