JudikaturJustiz15Os27/14f

15Os27/14f – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. März 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. März 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Marian B***** wegen der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1 und Abs 3 Z 1 FPG, AZ 35 Hv 146/13k des Landesgerichts Innsbruck, über dessen Grundrechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 3. Dezember 2013, AZ 11 Bs 358/13d, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Marian B***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 9. November 2013 verhängte der Einzelrichter des Landesgerichts Innsbruck im Verfahren AZ 31 HR 477/13m (ON 7), über Marian B***** die Untersuchungshaft wegen des Verdachts (richtig:) der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1 und Abs 3 Z 1 FPG aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 2 und 3 lit a und b StPO. Demnach stand der Genannte in dringendem Verdacht, in drei Angriffen gewerbsmäßig die rechtswidrige Ein- und Durchreise von zumindest 13 Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, nämlich von Italien über den Brenner nach Österreich und zum Teil weiter nach Deutschland mit dem Vorsatz gefördert zu haben, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern.

Nach Verkündung des Beschlusses samt Rechtsmittelbelehrung gab Marian B***** zu Protokoll, dagegen Beschwerde zu erheben (ON 6 S 11). Nach der Belehrung durch den Einzelrichter darüber, dass aufgrund der Beschwerde gegen den Beschluss auf Verhängung der Untersuchungshaft gemäß § 174 Abs 4 StPO die neue Haftfrist von einem Monat (sohin bis 9. Dezember 2013) ausgelöst werde, erklärte der Genannte, die Beschwerde zurückzuziehen (ON 6 S 11).

Mit Eingabe vom 26. November 2013 (ON 19) stellte Marian B***** einen Enthaftungsantrag, in dem er ausführte, dass die Beschwerde nach Verkündung des (bis 25. November 2013 wirksamen) Beschlusses auf Verhängung der Untersuchungshaft unmittelbar nach Belehrung über die Rechtsfolgen einer Beschwerde bezüglich der Dauer der Haftfrist noch vor Ausfertigung des Haftbeschlusses unverzüglich zurückgenommen worden sei, weshalb keine die Haftfrist des § 175 Abs 2 Z 2 StPO auslösende Beschwerde iSd § 174 Abs 4 StPO vorliege. Die Haftfrist sei daher am 25. November 2013 abgelaufen; seit diesem Zeitpunkt befinde er sich ohne rechtliche Grundlage in Untersuchungshaft.

Mit Strafantrag vom 28. November 2013 (ON 22, ON 1 letztes Blatt) legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck Marian B***** als Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1 und Abs 3 Z 1 FPG beurteiltes Verhalten zur Last (ON 22).

Der Einzelrichter des Landesgerichts Innsbruck gab in der nach ablehnender Stellungnahme der Staatsanwaltschaft (ON 19 S 3) am 3. Dezember 2013 durchgeführten Haftverhandlung (ON 25), dem Enthaftungsantrag des Angeklagten vom 26. November 2013 Folge und ordnete dessen Enthaftung an (ON 26 S 2; ON 27).

Begründend führte er aus, dass im Hinblick auf die unmittelbar nach ihrer Anmeldung nach Belehrung über die durch die Beschwerde ausgelöste Haftfrist - erfolgte Rückziehung der Beschwerde davon auszugehen sei, dass die Haftfrist 14 Tage betrage. Eine Verlängerung der Haftfrist wäre nur dann bewirkt, wenn die Rechtsmittelzurückziehung „nicht unmittelbar, sondern zeitlich verzögert“ erfolgt wäre (ON 27 S 3).

Der von der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde (ON 31) gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit dem angefochtenen Beschluss (ON 37) teilweise Folge und änderte ihn dahingehend ab, dass es den Enthaftungsantrag des Marian B***** abwies und die Fortsetzung der über den Genannten verhängten Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO anordnete.

Zur Begründung führte das Oberlandesgericht aus, dass durch die vom Angeklagten nach Verkündung des Beschlusses und der Rechtsmittelbelehrung „unmissverständlich und wirksam“ erhobene Beschwerde die Haftfrist des § 174 Abs 4 erster Satz StPO iVm § 175 Abs 2 Z 2 StPO ausgelöst worden sei. Die vom Erstgericht vertretene Ansicht nur „eine zeitlich verzögerte“ Zurückziehung der Beschwerde sei ohne Einfluss auf die Haftfrist des § 174 Abs 4 erster Satz StPO iVm § 175 Abs 2 Z 2 StPO finde im Gesetz keine Deckung (BS 9).

Zur Annahme des qualifizierten Tatverdachts führte das Beschwerdegericht aus, dass der Angeklagte der ihm mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft vom 28. November 2013 angelasteten, als Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1 und Abs 3 Z 1 FPG beurteilten Taten dringend verdächtig sei (BS 10) und legte dar, warum es entgegen der Verantwortung des Angeklagten auch vom Vorliegen der subjektiven Tatseite ausging (BS 11 erster und zweiter Absatz).

Die Tatbegehungsgefahr gründete das Oberlandesgericht auf die professionelle Abwicklung der Taten, die gewerbsmäßige Verwirklichung der wiederholt verübten Schlepperei, den aus den durchwegs schlechten Vermögensverhältnissen resultierenden Anreiz zur Begehung derartiger lukrativer Straftaten sowie letztlich auf den nach wie vor bestehenden Kontakt des Angeklagten zu dem in Deutschland auf freiem Fuß befindlichen Auftraggeber der Taten. Die Verhältnisse, unter denen die dem Angeklagten angelasteten Taten begangen worden seien, hätten sich nach dem Akteninhalt nicht geändert. Die vom Angeklagten als Motiv angegebene genannte triste finanzielle Situation sei nach wie vor gegeben, der Anreiz zu neuerlicher Delinquenz bestehe daher weiterhin, weshalb der Haftgrund von einer solchen Intensität sei, dass ihm durch gelindere Mittel nicht wirksam entgegengetreten werden könne (BS 12 ff).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die zulässige (zur Grundrechtsrelevanz einer solchen Entscheidung des Oberlandesgerichts RIS-Justiz RS0124827) und rechtzeitige Grundrechtsbeschwerde des Marian B*****.

Die in § 174 Abs 4 erster Satz StPO getroffene Regelgung („Eine Beschwerde des Beschuldigten gegen die Verhängung der Untersuchungshaft löst die Haftfrist nach § 175 Abs 2 Z 2 aus“, wobei jene Bestimmung „einen Monat ab erstmaliger Fortsetzung der Untersuchungshaft“ nennt) bedeutet, dass die Frist bis zur ersten Haftverhandlung (von 14 Tagen ab Verhängung der Untersuchungshaft, § 175 Abs 2 Z 1 StPO) um einen Monat ab Erhebung der Beschwerde verlängert wird (RIS Justiz RS0124942; Kirchbacher , Das neue Haftrecht, ÖJZ 2008/30, 268 [272]). Die Zurückziehung einer zuvor wirksam erhobenen Beschwerde des Beschuldigten gegen die Verhängung der Untersuchungshaft lässt mangels gegenteiliger Anordnung des Gesetzes die solcherart ausgelöste Haftfrist von einem Monat ab Erhebung der Beschwerde unberührt. In welchem zeitlichen Abstand die Zurückziehung der Beschwerde zu deren Einbringung erfolgte, ist demgemäß unbeachtlich. Eine wirksam erhobene Beschwerde kann vielmehr (bis zur Entscheidung über sie) jederzeit, damit auch unmittelbar nach Einbringung wirksam zurückgezogen werden.

Im Übrigen steht es dem Beschuldigten frei, innerhalb der ausgelösten Frist des § 174 Abs 4 erster Satz StPO jederzeit einen Enthaftungsantrag zu stellen. Ein solcher Antrag löst nicht bloß die Verpflichtung aus, ohne Verzug eine Haftverhandlung anzuberaumen, sondern wie sich nicht zuletzt aus § 175 Abs 5 StPO ergibt innerhalb dieser zeitlichen Vorgaben auch über den Antrag zu entscheiden (RIS Justiz RS0120790 [T21]), wobei „oberste Maxime tunlichst rasches Handeln und möglichst kurze Untersuchungshaft sein muss“ (RIS Justiz RS0112353; Kirchbacher/Rami , WK-StPO § 174 Rz 25). Demgemäß ist der Beschuldigte entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers bei gegebener Sachlage mit Blick auf den Grundrechtsschutz  nicht schlechter gestellt als im Fall eines Rechtsmittelverzichts.

Entgegen dem weiteren Beschwerdevorbringen hat sich das Oberlandesgericht wie dargelegt mit der Frage der seit der Enthaftung bis zur Beschlussfassung geänderten Verhältnisse bezüglich der Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 3 letzter Satz StPO) auseinandergesetzt und ist ohne Verstoß gegen das Willkürverbot unter Bezugnahme auf den Akteninhalt vom Weiterbestehen des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 1 und Abs 2 Z 3 lit a und b StPO) ausgegangen (BS 12).

Weil somit in der angefochtenen Entscheidung eine Grundrechtsverletzung nicht zu erblicken ist, war die Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Rechtssätze
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