JudikaturJustiz15Os185/93

15Os185/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Februar 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Februar 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Straßegger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter F***** und Roswitha F***** wegen des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs. 2 und Abs. 3, zweiter Fall, StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen wegen Schuld und Strafe der Angeklagten 1.) Peter F***** und 2.) Roswitha F***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 22.September 1993, GZ 7 Vr 798/91-104, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Presslauer, der Angeklagten und des Verteidigers Dr.Leutgeb zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Die Berufungen wegen Schuld werden zurückgewiesen.

Den Berufungen wegen Strafe wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Peter F***** und Roswitha F***** des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs. 2 und Abs. 3, zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Darnach haben sie in der Zeit von zumindest 19.Oktober 1991 bis zum 23. Oktober 1991 in Limbach bei Kukmirn ihre Verpflichtung zur Fürsorge gegenüber ihrem ehelichen Sohn Manfred F*****, geboren am 27. November 1989, durch mangelnde Zuwendung und unzureichende Ernährung und Pflege sowie dadurch, daß sie es unterlassen haben, die Begutachtung und Untersuchung des Kindes durch einen Arzt zu veranlassen, obwohl dessen äußerst bedrohlicher Gesundheitszustand für sie wie für jedermann leicht erkennbar war, gröblich vernachlässigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, dessen Gesundheit und körperliche sowie geistige Entwicklung beträchtlich geschädigt, wobei die Tat den Tod des Geschädigten zur Folge hatte.

Diese Schuldsprüche bekämpfen die Angeklagten mit einer gemeinsam ausgeführten, auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 5 a und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, weiters jeweils mit Berufung wegen Schuld, die Strafaussprüche überdies mit Berufung.

Die (bloß) angemeldeten (S 206/II), weder ausgeführten noch zurückgezogenen, in den Prozeßgesetzen über das Rechtsmittelverfahren gegen kollegialgerichtliche Urteile keine Deckung findenden Berufungen wegen Schuld waren zurückzuweisen.

Den Nichtigkeitsbeschwerden kommt keine Berechtigung zu.

In der Mängelrüge (Z 5) machen die Angeklagten zunächst Unvollständigkeit der erstgerichtlichen Entscheidungsgründe geltend, indem sie einwenden, daß das Schöffengericht verschiedene Umstände "festzustellen" gehabt hätte, womit inhaltlich die Erörterung von Sachverhalten gefordert wird, die dem Beschwerdestandpunkt zufolge entscheidungswesentlich gewesen wären. Das Vorbringen entbehrt schon deshalb der deutlichen und bestimmten Bezeichnung der Tatumstände, welche die Nichtigkeit begründen sollen (§§ 285 Abs. 1, 285 a Z 2 StPO), weil offen bleibt, gegen welche konkreten Urteilsfeststellungen angekämpft und aus welchen Verfahrensergebnissen die Argumentation überhaupt abgeleitet wird. Soweit die Beschwerdeführer hier allenfalls auch von Details ihrer Verantwortungen ausgehen, genügt der Hinweis, daß das Erstgericht diesen Darstellungen durchwegs die Glaubwürdigkeit abgesprochen hat und demgemäß nicht gehalten war, noch zusätzlich auf einzelne Einlassungen über Nebenumstände einzugehen. Bei den anderen unpräzisen Hinweisen auf Sachverhaltsmodalitäten wird eine Erheblichkeit der Beschwerdeausführungen nicht erkennbar: Die Schuldsprüche beruhen keineswegs auf der Annahme, die Angeklagten hätten wegen einer vom Durchschnitt abweichenden körperlichen Beschaffenheit des Kleinkindes speziell besorgt sein müssen und Vorkehrungen zu treffen gehabt. Mit der Behauptung, daß das Kind eine gleichartige körperliche Entwicklung genommen habe wie seine unterdurchschnittlich kleine Mutter, wird daher keine entscheidungswesentliche Tatsache angesprochen. Maßgeblich für die Schuldsprüche ist vielmehr, in welchem Umfang das Kleinkind ernährt sowie gesundheitlich betreut wurde, wobei es der Beschwerdemeinung zuwider nicht darauf ankommt, ob sonstige Bereiche der Haushaltsführung vernachlässigt wurden oder nicht. Keine Relevanz kommt ferner der Frage zu, ob der am 19.Oktober 1991 vom Angeklagten Peter F***** telefonisch befragte Arzt Dr.W*****, welcher damals von der schon bedrohlichen Unterernährung des Kindes überhaupt keine Kenntnis hatte, anders reagiert hätte, wenn ihm mitgeteilt worden wäre, daß das Kind nicht einmal sondern zweimal erbrochen hatte. Die Verfahrensergebnisse schließlich, wonach die bei der Obduktion der Kindesleiche festgestellte Ablösung der (schon zu Lebzeiten des Kindes geschädigten) Haut in der Leistengegend eine postmortale Erscheinung war (S 195 f, 205/II), deuten keineswegs darauf hin, daß die sonstige für die Ermittlung der Todesursache herangezogene Beschaffenheit des Leichnams auf Veränderungen beruhte, die nach dem Tode eingetreten sind. Alle diesbezüglich von den Beschwerdeführern zu jedem der drei in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgründe ins Treffen geführten Überlegungen entbehren jeglicher Grundlage.

Unbegründet ist auch der in der Mängelrüge erhobene Vorwurf einer Aktenwidrigkeit bezüglich der Feststellung über die Erkrankung des Kindes Manfred F***** an einer gastrointestinalen Infektion, welche die Beschwerdeführer darin erblicken, daß sie ohne Deckung durch Beweisergebnisse getroffen worden sei. Damit wird jedoch keine Aktenwidrigkeit im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes dargetan, weil eine solche nur darin bestehen könnte, daß im Urteil der Inhalt einer Urkunde oder einer Aussage unrichtig wiedergegeben wird (Mayerhofer-Rieder StPO3 § 281 Z 5 E 185), was indes von der Beschwerde gar nicht behauptet wird. Weiters wird aber auch kein sonstiger formaler Begründungsmangel in der Bedeutung des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO zur Darstellung gebracht, da sich die Feststellung auf das Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof.Dr.W***** (S 391/I) stützt und abgesehen davon der Umstand, ob das Kleinkind Durchfall hatte, keine für die rechtliche Beurteilung entscheidende Tatsache im Sinn des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO darstellt.

Entgegen den Beschwerdeausführungen kommt in den Urteilsfeststellungen, wonach das Kind spätestens ab Mitte Oktober 1991 (mit großer Wahrscheinlichkeit bereits früher) nicht mehr ausreichend mit Nahrung versorgt wurde und wonach zumindest am 22. und 23.Oktober 1991 die Angeklagte Roswitha F***** kaum noch flüssige und überhaupt keine feste Nahrung verabreichte, kein Widerspruch, sondern eine kontinuierliche Entwicklung zum Ausdruck. Keinesfalls ist damit festgestellt, daß das Kleinkind nur an den beiden letztgenannten Tagen vernachlässigt wurde. Die von einem anderen inhaltlichen Verständnis ausgehenden Rechtsmitteleinwände versagen daher.

Soweit sich die Angeklagten mit ihrer Tatsachenrüge (Z 5 a) gegen die Feststellung des Verhungerns und Verdurstens des Kleinkindes nach tagelanger Unterversorgung wenden, bemühen sie sich ausschließlich nach Art einer im Rechtsmittelverfahren über kollegialgerichtliche Urteile (nach wie vor) unzulässigen Schuldberufung eine (ihrer Meinung nach) irrige Beweiswürdigung des Schöffengerichtes zu belegen, indem sie den Beweiswert der Befunde und Begutachtungen von medizinischen Sachverständigen bestreiten, bedeutsame Beweisergebnisse übergehen und aus mehreren Nebensächlichkeiten gewonnenen und spekulativen Überlegungen auf die Unrichtigkeit der Sachverständigenbeweise oder Zeugenaussagen geschlossen wissen wollen. Damit wird aber nicht dargelegt, daß auf Grund von (in den Akten niedergelegten) Verfahrensergebnissen bei einer lebensnahen, an der allgemeinen menschlichen Erfahrung orientierten Beurteilung erhebliche Zweifel gegen die Feststellung der Todesursache bestehen. Der Wirkungsbereich der Z 5 a beginnt nämlich erst dort, wo die Grenze der freien Beweiswürdigung überschritten wird, wo objektiv vernünftige Zweifel offen bleiben. Bedenken können demnach nur erheblich im Sinn dieses Nichtigkeitsgrundes sein, wenn Zweifel auf der Ebene der intersubjektiven Überzeugungskraft hervorgerufen werden. Dies ist aber vorliegend nach der gesamten Aktenlage nicht der Fall, sodaß die geltend gemachte Nichtigkeit nicht vorliegt.

Letztlich bleibt auch die auf Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Rechtsrüge erfolglos, mit welcher die Beschwerdeführer Verurteilungen wegen fahrlässiger Körperverletzung anstreben, dabei aber weder von den angefochtenen Schuldsprüchen, noch vom gesamten Urteilssachverhalt ausgehen und solcherart die Grundbedingung für die prozeßordnungsgemäße Geltendmachung materiellrechtlicher Nichtigkeitsgründe verfehlen. Den Angeklagten liegt weder zur Last, daß sie ihr Kind vorsätzlich verhungern und verdursten ließen (der konstatierte Vorsatz bezieht sich auf die gröbliche Vernachlässigung des Kindes), noch beschränkt sich das zu beurteilende Tatsachensubstrat auf die Vorgangsweise der Eltern gegenüber einer am 19. Oktober 1991 durch Erbrechen indizierten Erkrankung des Kindes. Alle Beschwerdeausführungen, welche von diesen Prämissen ausgehen, bringen den angerufenen Nichtigkeitsgrund schon mangels Anknüpfung an den vollständigen Urteilsinhalt nicht zur gesetzmäßigen Darstellung, ganz abgesehen davon, daß überwiegend Sachverhaltselemente bestritten sowie Beweisfragen erörtert werden und daher insoweit gar keine rechtliche Auseinandersetzung zum Ausdruck kommt (Mayerhofer-Rieder StPO3 § 281 E 30).

Auch die von den Beschwerdeführern behauptete Kausalitätsproblematik erblicken sie in Wahrheit nicht in der Anwendung von Rechtsnormen auf den Urteilssachverhalt, sondern in dem Umstand, daß sie einen Zusammenhang zwischen ihrem Verhalten und dem Ableben des Kleinkindes als ungeklärt ansehen. Damit weichen die Angeklagten abermals von den festgestellten Tatsachen ab, weil das Erstgericht davon ausging, daß die Todesursache in der mangelhaften Versorgung des Kleinkindes durch die Eltern lag (S 217/II).

Soweit die Angeklagten aber prozeßordnungsgemäße Rechtsausführungen erstatten, ist ihnen zu erwidern, daß eine gröbliche Vernachlässigung der Verpflichtung zur Fürsorge oder Obhut im Sinne des § 92 Abs. 2 StGB dann vorliegt, wenn zwischen jenem Vorgehen, welches unter den gegebenen Umständen allgemein erwartet wird, und dem pflichtwidrigen Verhalten ein krasses Mißverhältnis besteht (Kienapfel BT I3 § 92 RN 21, Leukauf-Steininger Komm.3 § 92 RN 10). Das Tatbestandserfordernis der Gröblichkeit der Pflichtverletzung zielt auf die Erfassung beträchtlicher Vernachlässigung ab, zu deren Umschreibung sich die Judikatur der Wendung bediente, daß die Abweichung geradezu auf einen Charaktermangel des Täters hinweisen muß. Damit wurde für den Sachverhalt eine Indiztauglichkeit gefordert und solcherart der vorausgesetzte auffällige Niveauunterschied zwischen Pflichterfüllung und tatbestandsmäßiger Pflichtverletzung verdeutlicht, aber nicht die Auffassung entwickelt, daß das Tatbestandsmerkmal der gröblichen Pflichtverletzung nur dann erfüllt sei, wenn sich darin wirklich ein ganz bestimmter Charaktermangel des Täters manifestiert hat. Die von den Beschwerdeführern vermißten Feststellungen über Art und Gewicht allfälliger Charakterfehler, insbesondere über "eigensüchtige Motive, wie Vergnügungssucht oder Geiz" waren daher nicht geboten, um die tagelange erhebliche Unterversorgung des Kleinkindes mit Nahrung verläßlich als eine dem § 92 Abs. 2 StGB unterliegende gröbliche Vernachlässigung der Fürsorgepflicht beurteilen zu können.

Aus den angeführten Gründen waren daher die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über die Angeklagten nach dem zweiten Strafsatz des § 92 Abs. 3 StGB jeweils sechs Jahre Freiheitsstrafe, wobei es als erschwerend bei beiden den länger andauernden qualvollen Zustand, in dem sich das Kleinkind vor dem Tode befunden hat, als mildernd bei Roswitha F***** deren bisherige Unbescholtenheit, bei Peter F***** keinen besonderen Grund als gegeben ansah.

Dagegen richtet sich die Berufung der Angeklagten, mit der beide eine schuldangemessene Herabsetzung des Strafausmaßes anstreben.

Auch dieses Begehren ist unbegründet, denn in Wahrheit beschränken sich die Berufungswerber in Wiederholung ihrer Ausführungen zur Nichtigkeitsbeschwerde darauf, eine Obhutsverpflichtung gegenüber dem Kind sowie die mangelnde Zuwendung und unzureichende Ernährung und Pflege, somit die Tat als solche zu bestreiten, was im Rahmen einer Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe unzulässig ist (§ 295 Abs. 1 StPO). Umstände, die geeignet wären, ihr schuldspruchmäßiges Verhalten in einem milderen Lichte erscheinen zu lassen, werden nicht aufgezeigt. Daß es sich bei Manfred F***** um ein Wunschkind gehandelt hat und daß bereits Weihnachtsgeschenke für ihn gekauft worden sind, vermag angesichts der emotionalen Gleichgültigkeit des Angeklagten Peter F***** und der Gefühlskälte der Angeklagten Roswitha F***** dem Kind gegenüber (Sachverständigengutachten ON 25 und 26) keinen ins Gewicht fallenden Milderungsgrund abzugeben. Auch hat das Erstgericht zu Recht als erschwerend angenommen, daß die Angeklagten über das tatbestandsmäßige Maß hinaus das Kleinkind in einen längerdauernden qualvollen Zustand versetzt haben (§ 33 Z 6 StGB), der bei einem notwendig über einen längeren Zeitraum währenden Verhungern zweifellos gegeben ist, auch wenn das Kind in der Endphase dieses Zustandes (aus Schwäche) apathisch schien.

Die nicht einschlägige Vorstrafe des Angeklagten Peter F***** wurde vom Schöffengericht ohnedies nicht als erschwerend gewertet, sie hindert allerdings die Annahme eines ordentlichen Lebenswandels iSd § 34 Z 2 StGB.

Der in den Vorträgen im Gerichtstag angestellte Vergleich mit den Strafsätzen für fahrlässige Tötung scheitert daran, daß es sich beim Verbrechen nach § 92 Abs. 2 und 3 StGB um ein Vorsatzdelikt (in bezug auf die gröbliche Vernachlässigung) handelt und der Gesetzgeber des StRÄG 1987 durch die Angleichung der Strafdrohungen des § 92 StGB an jene der §§ 85 und 86 StGB deutlich den unterschiedlichen Unwert herausstellte.

Innerhalb des hier anzuwendenden Strafrahmens von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe entsprechen die vom Schöffensenat ausgemessenen Freiheitsstrafen der unrechtsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) der Angeklagten und sind keinesfalls überhöht.

Demnach war auch den Berufungen ein Erfolg zu versagen.

Rechtssätze
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