JudikaturJustiz15Os158/14w

15Os158/14w – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Februar 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Februar 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Humer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Liridon A***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 20. August 2014, GZ 18 Hv 42/14k 61, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Liridon A***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 8. Mai 2014 in G***** Dalila P***** mit Gewalt, „indem er sie auf die Couch stieß und mit seinem Oberkörper ihren Oberkörper fixierte“, zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, „nämlich des wiederholten Eindringens mit zumindest einem Finger in ihre Scheide über einen Zeitraum von ca 30 Sekunden“, genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 3, 4, 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie schlägt fehl.

Aus Z 3 macht die Beschwerde geltend, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verlesung der Protokolle über die Vernehmungen der Zeugin Dalila P***** im Ermittlungsverfahren sowie für die Vorführung der Videoaufzeichnung ihrer kontradiktorischen Vernehmung gemäß § 252 Abs 1 Z 2a StPO (ON 60 S 12) seien nicht gegeben gewesen. Die Zeugin hatte am Ende ihrer kontradiktorischen Vernehmung im Ermittlungsverfahren angegeben, sich die Entscheidung, ob sie in einer Hauptverhandlung persönlich aussagen wolle, noch vorzubehalten (ON 18 S 11). In der Hauptverhandlung, zu der die Zeugin nicht erschien, erklärte ihr (Opfer und Privatbeteiligten-)Vertreter zweimal, dass sie von ihrem Aussagebefreiungsrecht (§ 156 Abs 1 Z 2 StPO) Gebrauch mache und nicht vor Gericht aussagen werde (ON 50 S 27, ON 60 S 11 f).

Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist die Entschlagungserklärung an keine Förmlichkeiten gebunden und kann nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich auch außerhalb der Hauptverhandlung (RIS Justiz RS0111315) sowie durch einen Vertreter (RIS Justiz RS0111315 [T8, T9, T12 und T14]) wirksam abgegeben werden. Ob sie ausreichend und unbedenklich ist, entscheidet das Gericht.

Denn ungeachtet der Aufzählung in § 73 StPO steht es auch Zeugen zu, sich im Strafverfahren zur Ausübung prozessualer Rechte wie hier der Abgabe einer Erklärung nach § 159 Abs 2 StPO, aber auch beispielsweise der Einbringung einer Beschwerde nach § 243 Abs 1 StPO eines Vertreters (in Form eines Rechtsanwalts oder einer sonstigen geeigneten Person) zu bedienen. Dass die Pflicht des Zeugen zur Aussage (§ 154 Abs 2 StPO) hingegen höchstpersönlicher Natur und unvertretbar ist, steht dazu nicht in Widerspruch.

Ob der Vertreter des Zeugen diesen auch in seiner Rolle als Opfer und/oder Privatbeteiligter vertritt, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.

Bedenken gegen die Bevollmächtigung des (anwaltlichen) Vertreters zur Abgabe der Erklärung der Zeugin oder gegen deren Inhalt hat die Beschwerde im konkreten Fall nicht aufgezeigt. Die behauptete Nichtigkeit liegt somit nicht vor.

Durch die Abweisung des Antrags (ON 50 S 27 f) auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass die Zeugin P***** „ein derart subjektiv verzerrtes Wahrnehmungsbild habe“, dass ihre Schilderungen „zwar ihrer subjektiven Wahrnehmung entsprechen könnten, objektiv aber nicht den Tatsachen entsprechen würden“, wurden - der Kritik der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider - Verfahrensrechte des Angeklagten nicht geschmälert. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen ist Aufgabe des erkennenden Gerichts, die Hilfestellung durch einen Sachverständigen dabei kommt nur in jenen Ausnahmefällen in Betracht, in denen objektive Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung, Entwicklungsstörung oder einen sonstigen Defekt vorhanden sind, wobei die Störungen erheblich sein und dem Grad des § 11 StGB nahekommen müssen oder gegen die allgemeine Wahrnehmungs oder Wiedergabefähigkeit oder gegen die Aussageehrlichkeit des Zeugen schlechthin sprechen (RIS-Justiz RS0120634; Hinterhofer , WK StPO § 126 Rz 8). Die von der Beschwerde ins Treffen geführten, im gerichtsmedizinischen Gutachten festgehaltenen Angaben der Zeugin, sie nehme regelmäßig Medikamente, weil sie an Depressionen und einer Borderlinestörung leide (ON 28 S 4, ON 47 S 3), stellen hingegen kein Beweisergebnis dar, das einen solchen Ausnahmefall indiziert. Das nachträgliche Vorbringen im Rechtsmittel ist angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

Zwischen der Konstatierung des Einführens eines Fingers in die Scheide des Tatopfers einerseits (US 4), und der Urteilsannahme, dass sich der Angeklagte „spätestens als sie sich weigerte, freiwillig Geschlechtsverkehr mit ihm zu haben“, entschloss den Beischlaf gewaltsam zu erzwingen (US 5) andererseits, besteht kein Widerspruch (Z 5 dritter Fall). Denn die Beschwerde vernachlässigt die weiteren Feststellungen, wonach der Angeklagte zunächst versuchte, mit seinem Penis in ihre Scheide einzudringen, und erst nach dem Scheitern dieses Versuchs mit dem Finger in sie eindrang (US 4). Der auf die Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung gerichtete Vorsatz ist im Übrigen hinreichend deutlich konstatiert (US 5).

Aus welchem Grund die logisch nachvollziehbare und empirisch mängelfreie Ableitung der subjektiven Tatseite aus dem objektiven Tatgeschehen in Verbindung mit der allgemeinen Lebenserfahrung und den Angaben der Zeugin „nicht hinreichend“ sein sollte, macht die Beschwerde nicht klar (RIS-Justiz RS0098671).

Mit dem bloßen Hinweis, die Tatrichter hätten die Angaben der Zeugin P***** vor der gerichtsmedizinischen Sachverständigen, sie leide an einer medikamentös behandelten Borderlinestörung (ON 47 S 3) nicht berücksichtigt, legt die Rüge (Z 5 zweiter Fall) nicht dar, inwieweit dieses Verfahrensergebnis geeignet sein sollte, die dem Gericht durch die Gesamtheit der übrigen Beweisergebnisse vermittelte Einschätzung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache maßgebend zu beeinflussen (RIS-Justiz RS0116877). Denn die Tatrichter konnten sich durch Vorführung der Film- und Tonaufnahme der kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin in der Hauptverhandlung einen persönlichen Eindruck von ihr verschaffen; sie setzten sich mit ihren Angaben eingehend auseinander und haben mängelfrei dargelegt, aus welchen Gründen sie diesen Glaubwürdigkeit zuerkannten (US 6 f).

Weshalb die Schilderung der Zeugin zur Reaktion des Angeklagten auf das Entdecken eines Blutfleckes auf der Couch gesondert zu erörtern gewesen wäre, macht die Beschwerde gleichfalls nicht klar. Die Ausführungen des Beschwerdeführers hiezu sowie die Spekulationen über die Bedeutung der von der Zeugin P***** im „Whats App“-Verkehr verwendeten Emoticons und über ihr Verhalten, trotz Warnung durch einen Freund in die Wohnung des Angeklagten mitgegangen zu sein, legen kein Begründungsdefizit dar, sondern kritisieren die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

Schließlich haben sich die Tatrichter auch mit der Verantwortung des Angeklagten, wonach er „die Signale der Zeugin falsch verstanden habe“, auseinandergesetzt, sie aber nicht für beweiskräftig erachtet (US 10 f).

Aus welchem Grund es zur rechtsrichtigen Beurteilung des Sachverhalts Konstatierungen bedurft hätte, „welcher Finger“ und ob dieser „vollständig eingeführt“ wurde, legt die Beschwerde (Z 10) nicht methodisch aus dem Gesetz abgeleitet dar (RIS-Justiz RS0116569). Genauso mangelt es der Behauptung, die konstatierte digitale Penetration erreiche „bei einer erwachsenen Frau nicht eine derartige Intensität“, dass von einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung ausgegangen werden könnte, an einer argumentativen Herleitung.

Überhaupt übergeht der Nichtigkeitswerber mit seiner Kritik, es fehle eine Gesamtabwägung, ob die sexuelle Inanspruchnahme eine dem Geschlechtsverkehr gleichzusetzende Intensität erreichte, die Konstatierungen der Tatrichter zur von ihm eingesetzten Gewalt gegen die jede sexuelle Handlung ablehnende Zeugin, zur beschriebenen Tathandlung (Einführen zumindest eines Fingers in die Scheide und Manipulation über einen Zeitraum von ca 30 Sekunden) und zu den durch die Tat herbeigeführten Verletzungen (US 4 f, 11).

Die Spekulationen der Rüge über eine bloße „Stimulation der nur den äußeren Geschlechtsbereich umfassenden Vulva“, das Ausmaß der angewendeten Gewalt und über die Kommunikation zwischen Angeklagtem und Zeugin während des Geschehens und die daran anschließenden beweiswürdigenden Erwägungen halten gleichfalls nicht an den Feststellungen des Erstgerichts fest und verfehlen solcherart die gebotene Orientierung am Verfahrensrecht (RIS-Justiz RS0099810).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.