JudikaturJustiz15Os145/21v

15Os145/21v – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Januar 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2022 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Jäger, BA, in der Strafsache gegen * F* wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB, AZ 2 U 1/20m des Bezirksgerichts Oberndorf, über die von der Generalprokuratur gegen Vorgänge in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 2 U 1/20m des Bezirksgerichts Oberndorf verletzen

1./ das Unterbleiben der Anführung der in § 260 Abs 1 Z 1 StPO bezeichneten Angaben im Hauptverhandlungsprotokoll vom 18. Mai 2020 § 271 Abs 1 Z 7 iVm § 458 zweiter Satz StPO;

2./ die schriftliche Ausfertigung des am 18. Mai 2020 mündlich verkündeten Urteils durch einen anderen Richter als die daran dauernd verhinderte erkennende Richterin §§ 14 Abs 1 und 15 Abs 1 der Kaiserlichen Verordnung vom 14. Dezember 1915 über die Abfassung und Unterfertigung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Strafsachen und von Protokollen bei dauernder Verhinderung des Richters oder des Schriftführers, RGBl 1915/372.

Dem Bezirksgericht Oberndorf wird ein Vorgehen gemäß §§ 14 und 15 dieser Verordnung aufgetragen.

Text

Gründe:

[1] Mit Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Oberndorf vom 18. Mai 2020, GZ 2 U 1/20m-26, erkannte die nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelrichterin den Angeklagten * F* – „im Sinne des schriftlichen Strafantrags der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 30. 12. 2019“ (ON 21 S 4) – des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB schuldig und verhängte über ihn eine unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten. Mit zugleich gefasstem Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO wurde vom – im dem Angeklagten zugestellten Strafantrag beantragten (ON 4 S 2; ON 12 S 1 und 5; vgl RIS Justiz RS0101961 [T11]) – Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu AZ 30 Hv 58/19h des Landesgerichts Salzburg abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

[2] Infolge zunächst krankheitsbedingter Verhinderung und anschließender vorzeitiger Freistellung nach der Mutterschutzverordnung konnte die schriftliche Ausfertigung des Urteils nicht durch die erkennende Richterin erfolgen, sondern wurde von einem beim Bezirksgericht Oberndorf eingesetzten Richter für den Sprengel des Oberlandesgerichts Linz „in Vertretung“ verfasst. Das Einverständnis der Staatsanwaltschaft Salzburg und des Angeklagten zu dieser Vorgehensweise wurde nicht eingeholt (ON 1 S 17).

[3] * F* hat kein Rechtsmittel erhoben, über die Berufung und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 24, 27) wurde noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

[4] Im Verfahren AZ 2 U 1/20m des Bezirksgerichts Oberndorf stehen – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt – das Unterbleiben der Anführung der in § 260 Abs 1 Z 1 StPO bezeichneten Angaben im Hauptverhandlungsprotokoll sowie die Verfassung der schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Urteils durch einen anderen Richter als die (verhinderte) erkennende Richterin mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[5] 1./ Das über die Hauptverhandlung aufzunehmende Protokoll hat gemäß §§ 458 zweiter Satz, 271 Abs 1 Z 7 StPO den Spruch des Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 (bis Z 3) StPO bezeichneten Angaben zu enthalten. Der im Hauptverhandlungsprotokoll vom 18. Mai 2020 erfolgte Verweis auf den schriftlichen Strafantrag genügt diesen Anforderungen nicht (vgl RIS-Justiz RS0098552 [T2]).

[6] 2./ Gemäß § 14 Abs 1 der Kaiserlichen Verordnung vom 14. Dezember 1915 über die Abfassung und Unterfertigung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Strafsachen und von Protokollen bei dauernder Verhinderung des Richters oder des Schriftführers, RGBl 1915/372 (im Folgenden: Kaiserliche Verordnung; vgl zur Anfechtbarkeit eines Verstoßes gegen diese Verordnung im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes 13 Os 33/12w, 13 Os 40/12z; vgl auch Ratz , WK StPO § 292 Rz 12) kann ein Urteil, das im Ausspruch über die Schuld oder die Strafe nicht in Rechtskraft erwachsen ist, in der Regel nur vom erkennenden Richter ausgefertigt werden. Ist dieser dauernd verhindert, so hat das Gericht mit Beschluss auszusprechen, dass das verkündete Urteil als nicht gefällt anzusehen ist. Nur wenn Ankläger und Angeklagter damit einverstanden sind, kann die Ausfertigung durch einen anderen Richter erfolgen (§ 15 Abs 1 der Kaiserlichen Verordnung).

[7] Mit Blick auf die Gründe für die Abwesenheit der erkennenden Richterin und die fehlende Absehbarkeit ihrer Rückkehr (vgl ON 1 S 17) wurde zu Recht von einer dauernden Verhinderung im Sinn der Kaiserlichen Verordnung ausgegangen. Mangels Einhaltung der dort bestimmten Vorgehensweise verletzt die Ausfertigung des Urteils durch einen anderen Richter §§ 14 Abs 1 und 15 Abs 1 der Kaiserlichen Verordnung.

[8] Da eine nachteilige Wirkung der zu 2./ aufgezeigten Gesetzesverletzung für den Angeklagten nicht ausgeschlossen werden kann, war deren Feststellung – wie aus dem Spruch ersichtlich – mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

[9] Im Fall des Einverständnisses von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem im Sinn der genannten Bestimmungen wäre das Urteil mit der Konsequenz der erneuten Ingangsetzung der Rechtsmittelfrist beiden Parteien neuerlich zuzustellen.

[10] Bei fehlendem Einverständnis einer der Parteien wäre mit Beschluss auszusprechen, dass das verkündete Urteil als nicht gefällt anzusehen ist, was auch die Beseitigung des darauf basierenden Beschlusses gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO zur Folge hätte (vgl RIS-Justiz RS0100194).

Rechtssätze
4
  • RS0133937OGH Rechtssatz

    19. Januar 2022·1 Entscheidung

    Ein Urteil, das im Ausspruch über die Schuld oder die Strafe nicht in Rechtskraft erwachsen ist, kann in der Regel nur vom erkennenden Richter ausgefertigt werden. Ist dieser dauernd verhindert, so hat das Gericht mit Beschluss auszusprechen, dass das verkündete Urteil als nicht gefällt anzusehen ist. Nur wenn Ankläger und Angeklagter damit einverstanden sind, kann die Ausfertigung durch einen anderen Richter erfolgen.