JudikaturJustiz15Os132/92

15Os132/92 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. November 1992

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.November 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta, Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch und Mag.Strieder als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Schneider als Schriftführerin, in den Strafsachen gegen Franz K***** und andere

1) wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, AZ

U 34/91 des Bezirksgerichtes Eisenstadt,

2) wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB, AZ 8 E Vr 624/91 des Landesgerichtes Eisenstadt, und

3) wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 zweiter Fall und § 15 StGB, AZ 11 a Vr 187/92 des Kreisgerichtes Korneuburg,

über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen

a) den Vorgang, daß eine Ausfertigung des Urteils des Bezirksgerichtes Eisenstadt vom 8.August 1991, GZ U 34/91-20, dem Beschuldigten Franz K***** und nicht dessen ausgewiesenem Verteidiger zugestellt wurde,

b) die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens gegen das eben bezeichnete Urteil sowie insbesondere das Urteil und den Beschluß des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgericht vom 9.März 1992, AZ Bl 86,87/91,

c) den Beschluß des Landesgerichtes Eisenstadt vom 3.September 1991, GZ 8 E Vr 624/91-12, und

d) den Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg vom 24.Juni 1992, GZ 11 a Vr 187/92-19,

soweit mit den beiden letztgenannten Beschlüssen jeweils vom Widerruf der dem Franz K***** mit dem Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 11.Dezember 1989, GZ 12 b E Vr 999/89-7, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und vom Kreisgericht Korneuburg die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Kodek, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten K***** und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Das Gesetz wurde verletzt

I. im Verfahren AZ U 34/91 des Bezirksgerichtes Eisenstadt

a) durch die Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Beschuldigten Franz K***** selbst ungeachtet des Vorliegens der Vollmacht eines Verteidigers sowie

b) durch das nachfolgende Rechtsmittelverfahren vor dem Landesgericht Eisenstadt als Berufungsgericht, insbesondere durch das Urteil und den Beschluß dieses Gerichtes vom 9.März 1992, AZ Bl 86,87/91 ( = GZ U 34/91-24 des Bezirksgerichtes Eisenstadt),

in den Bestimmungen der §§ 39 Abs. 1, 79 Abs. 2 und 455 Abs. 2 iVm §§ 466 f StPO;

II. in den Verfahren

a) AZ 8 E Vr 624/91 des Landesgerichtes Eisenstadt durch den Beschluß dieses Gerichtes vom 3.September 1991, GZ 8 E Vr 624/91-12,

b) AZ 11 a Vr 187/92 des Kreisgerichtes Korneuburg durch den Beschluß dieses Gerichtes vom 24.Juni 1992, GZ 11 a Vr 187/92-19,

soweit damit jeweils vom Widerruf der dem Verurteilten Franz K***** mit dem Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 11.Dezember 1989, GZ 12 b E Vr 999/89-7, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und vom Kreisgericht Korneuburg die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, in dem sich aus § 498 StPO ergebenden Verbot, nach (wenn auch noch nicht rechtskräftiger) Beschlußfassung über die Strafnachsicht (außerhalb eines diesen Beschluß betreffenden Verfahrens) in der Sache nochmals zu entscheiden.

Der zu I/a bezeichnete Zustellvorgang, das zu I/b bezeichnete Berufungsverfahren und insbesondere das Urteil und der Beschluß des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgerichtes vom 9.März 1992, AZ Bl 86,87/91, sowie die zu II bezeichneten Beschlüsse des Landesgerichtes Eisenstadt und des Kreisgerichtes Korneuburg im dort umschriebenen Umfang werden aufgehoben.

Dem Bezirksgericht Eisenstadt wird aufgetragen, in Ansehung der angemeldeten Berufung des Beschuldigten Franz K***** dem Gesetz gemäß vorzugehen.

Text

Gründe:

I. Mit dem - sogleich nach Verkündung in Rechtskraft erwachsenen - Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 11.Dezember 1989, GZ 12 b E Vr 999/89-7, wurde Franz K***** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

In der Folge wurde der Genannte mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Eisenstadt vom 8.August 1991, GZ U 34/91-20, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einem Monat Freiheitsstrafe verurteilt; in einem zugleich mit dem Urteil verkündeten Beschluß wurde gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO, § 53 Abs. 1 StGB die bedingte Nachsicht der eingangs erwähnten Freiheitsstrafe widerrufen.

Die Bezirksrichterin hatte Urteil und Beschluß am 22.August 1991 auf Tonband diktiert und die Weiterleitung des Aktes an die Schreibabteilung zur Übertragung des Tonbandes veranlaßt. Noch vor der Übertragung wurde der Akt jedoch dem Akt AZ 8 E Vr 624/91 des Landesgerichtes Eisenstadt angeschlossen, der ein (weiteres) Strafverfahren gegen Franz K***** betrifft, in dem am 3.September 1991 ein Urteil gefällt wurde. Infolge Berufung gegen dieses Urteil legte der Einzelrichter den bezirksgerichtlichen Akt als Beiakt des landesgerichtlichen Aktes dem Oberlandesgericht Wien vor, das ihn (erst) am 25.Oktober 1991 unmittelbar dem Bezirksgericht Eisenstadt zurücksendete, wo er am 30.Oktober 1991 einlangte (s. S 1 c verso, 87 und unjournalisierter, am Aktenende einliegender Bericht an den Präsidenten des Landesgerichtes Eisenstadt vom 5.November 1991 im Akt AZ U 34/91 des Bezirksgerichtes Eisenstadt). Das Urteil des Bezirksgerichtes Eisenstadt wurde demnach erst Anfang November 1991 ausgefertigt. Allerdings war auch die gemäß § 494 a Abs. 8 StPO unverzüglich nach Urteilsfällung vorzunehmende Verständigung des Kreisgerichtes Wiener Neustadt unterblieben.

Der in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Eisenstadt nicht durch einen Verteidiger vertretene Beschuldigte K***** hatte sich Bedenkzeit vorbehalten und meldete sodann rechtzeitig Berufung an (ON 17). Der in der Folge von ihm bevollmächtigte Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Stephan G***** legte - nach seinem Vorbringen am 13. August 1991 - eine undatierte Vollmacht zum Akt, die unter ON 18 (also vor der verspäteten Urteilsausfertigung) einjournalisiert wurde. Entgegen den Behauptungen des Verteidigers (im Schriftsatz ON 25) war damit ein Antrag auf Zustellung einer Urteilsausfertigung an ihn oder auf Aktenübersendung nicht verbunden; begehrt wurde eine Aktenkopie (s. S 1 c).

Wiewohl das Einschreiten des Verteidigers Dr.G***** neben der Einjournalisierung der undatierten Vollmacht auch durch einen Vermerk vom 26.August 1991 (S 1 c) aktenkundig war, stellte das Bezirksgericht eine Urteilsausfertigung nicht diesem zu, sondern auf Grund einer am 7.November 1991 bei der Geschäftsabteilung eingegangenen richterlichen Verfügung (S 106) dem Beschuldigten selbst. Dieser brachte keine Rechtsmittelausführung ein.

Nach Vorlage des Aktes an das Berufungsgericht wurde eine Berufungsverhandlung für den 9.März 1992 anberaumt. Der ausgewiesene Verteidiger wurde hievon nicht verständigt (S 3 im Akt Bl 86,87/91 des Landesgerichtes Eisenstadt). Der Beschuldigte erschien ohne Verteidiger. Nach dem Inhalt des Protokolls über die Berufungsverhandlung (ON 23) wurde er nicht befragt, ob das Vollmachtsverhältnis zu Dr.G***** aufrecht sei; er selbst stellte keinen Antrag auf Vertagung der Berufungsverhandlung zur Ladung seines Verteidigers.

Mit dem Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgerichtes vom 9.März 1992, AZ Bl 86,87/91, wurde die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit zurückgewiesen und jener wegen Schuld und Strafe nicht Folge gegeben; zugleich wurde mit Beschluß der - nach der Aktenlage gar nicht erhobenen, wenngleich in der Berufungsverhandlung "aufrechterhaltenen" - Beschwerde (gegen den Widerruf der bedingten Strafnachsicht) nicht Folge gegeben (ON 24).

Als der Verteidiger Dr.G***** nach der Berufungsverhandlung seine Bevollmächtigung in Erinnerung brachte und den Antrag stellte, das Verfahren ab der Vollmachtsvorlage als nichtig aufzuheben (ON 25), wurden ihm Ausfertigungen der Urteile beider Instanzen zugestellt.

Mit dem bereits erwähnten Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 3. September 1991, GZ 8 E Vr 624/91-12, wurde Franz K***** wegen eines Verbrechens schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechseinhalb Monaten verurteilt, von denen fünf Monate bedingt nachgesehen wurden; zugleich mit diesem Urteil erging ua der Beschluß auf Absehen vom Widerruf der im Verfahren AZ 12 b E Vr 999/89 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe. Dabei verschaffte sich der Einzelrichter, obschon er den Akt AZ U 34/91 des Bezirksgerichtes Eisenstadt vor der Hauptverhandlung im kurzen Weg aus der Schreibabteilung beigeschafft hatte, ersichtlich keine Kenntnis von der im bezirksgerichtlichen Verfahren ergangenen Entscheidung über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht.

Der von Franz K***** gegen das zuletzt erwähnte Urteil erhobenen Berufung wurde mit dem Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 12. November 1991, AZ 23 Bs 446/91, nicht Folge gegeben.

Das Kreisgericht Wiener Neustadt wurde auch vom Landesgericht Eisenstadt entgegen der Vorschrift des § 494 a Abs. 8 StPO - weder sofort, noch später - vom Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht verständigt; dort langte vielmehr (nur) am 9.April 1992 eine Mitteilung des Bezirksgerichtes Eisenstadt über den von diesem Gericht beschlossenen Widerruf ein (ON 11 f im Akt AZ 12 b E Vr 999/89 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt).

Mit dem Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 24.Juni 1992, GZ 11 a Vr 187/92-19, wurde Franz K***** schließlich eines Verbrechens und eines Vergehens schuldig erkannt und zu einem Jahr Zusatz-Freiheitsstrafe verurteilt; zugleich damit wurde ua der Beschluß gefaßt, vom Widerruf der mit dem eingangs genannten Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen und die Probezeit gemäß § 53 Abs. 2 StGB auf fünf Jahre zu verlängern. Das Kreisgericht Korneuburg hatte es verabsäumt, den bezüglichen Akt des Kreisgerichtes Wiener Neustadt beizuschaffen (s. S 1 b im Akt AZ 11 a Vr 187/92 des Kreisgerichtes Korneuburg), aus dem - wie erwähnt - der vom Bezirksgericht Eisenstadt verfügte Widerruf mittlerweile ersichtlich gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

II. Sowohl im Verfahren AZ U 34/91 des Bezirksgerichtes Eisenstadt (und Bl 86,87/91 des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgericht) als auch in den Verfahren AZ 8 E Vr 624/91 des Landesgerichtes Eisenstadt und AZ 11 a Vr 187/92 des Kreisgerichtes Korneuburg sind - wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen und im Gerichtstag ausgedehnten Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend macht - Gesetzesverletzungen unterlaufen.

Die Zustellung des bezirksgerichtlichen Urteils an den Beschuldigten selbst statt an seinen ausgewiesenen Verteidiger, die Durchführung der Berufungsverhandlung und die Entscheidung über die Berufung vor rechtswirksamer Zustellung des angefochtenen Urteils zur Berufungsausführung verletzen das Gesetz in den im Spruch bezeichneten Bestimmungen.

Liegt die Vollmacht eines Verteidigers vor, so kann die Zustellung aller in § 79 Abs. 2 StGB bezeichneten Schriftstücke rechtswirksam nur an diesen Verteidiger erfolgen (vgl. Foregger-Kodek StPO5 Erl. II 1 c, Mayerhofer-Rieder, StPO3, E 1 ff je zu § 79 StPO), es sei denn, das Gericht hätte - was hier nicht der Fall war - festgestellt, daß ein Vertretungsverhältnis nicht (mehr) besteht. Da somit eine ordnungsgemäße Zustellung des Urteils zur Berufungsausführung nicht erfolgt ist, wäre es Sache des Berufungsgerichtes gewesen, vor Verhandlung und Entscheidung über die (nicht ausgeführte) Berufung des Beschuldigten diesen Verfahrensmangel abzustellen. Dazu kommt, daß das Berufungsgericht es (überdies) auch unterlassen hat, den ausgewiesenen Verteidiger zur Berufungsverhandlung zu laden.

Das Stillschweigen des nicht vertretenen, ersichtlich rechtsunkundigen Beschuldigten in der Berufungsverhandlung kann - zumal nach dem Inhalt des Protokolls keine Belehrung erfolgte - keineswegs als Zustimmung zu den genannten Vorgängen oder als Verzicht auf die Einschaltung seines Verteidigers gedeutet werden.

Da nicht auszuschließen ist, daß sich diese Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt haben, sind sie nicht nur festzustellen, sondern es ist (gemäß § 292 letzter Satz StPO) der gesetzwidrige Zustellvorgang und das darauf folgende Verfahren des Berufungsgerichtes einschließlich seines Urteils und seines Beschlusses aufzuheben und dem Bezirksgericht Eisenstadt die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Berufungsanmeldung aufzutragen.

Die Beschlüsse des Landesgerichtes Eisenstadt vom 3.September 1991 und des Kreisgerichtes Korneuburg vom 24.Juni 1992 hinwieder verletzen, soweit damit vom Widerruf der im Verfahren AZ 12 E Vr 999/89 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und - vom Kreisgericht Korneuburg - die Probezeit verlängert wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 498 StPO. Der vom Bezirksgericht Eisenstadt gefaßte Widerrufsbeschluß war zwar ungeachtet der Unterlassung einer Bekämpfung wegen des Zusammenhanges mit dem Strafausspruch und der daraus folgenden Befugnis des Berufungsgerichtes, im Sinne einer Gesamtregelung der Sanktionen auch diesen Beschluß abzuändern (vgl. EvBl. 1988/63, RZ 1991/93 uva), noch nicht rechtswirksam, aber dennoch schon von seiner Verkündung an (§ 494 a Abs. 4 StPO) insoweit bindend, als weder das erkennende noch ein anderes Gericht ohne seine vorangegangene prozeßordnungsmäßige Kassation über den Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen durfte; auf die Rechtskraft des Beschlusses kommt es dabei nicht an (EvBl. 1989/64 = JBl. 1989, 400). Die Beschlüsse des Landesgerichtes Eisenstadt und Kreisgerichtes Korneuburg sind daher wirkungslos, weshalb sie durch Aufhebung zu beseitigen sind (EvBl. 1989/64 = JBl. 1989, 400; EvBl. 1964/236; 14 Os 156/87, 14 Os 137,138/89).

Rechtssätze
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