JudikaturJustiz15Os13/94

15Os13/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. April 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. April 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch, Mag. Strieder, Dr. Rouschal und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Czedik-Eysenberg als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ronald S* wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1, letzter Halbsatz, StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Schöffengericht vom 8. Oktober 1993, GZ 12 Vr 350/93-15, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Weiss, und des Verteidigers Dr. Schaumüller, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ronald S* des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1, letzter Halbsatz, StGB schuldig erkannt, weil er von Mitte Dezember 1992 bis Mitte Jänner 1993 in N* a* H* gewerbsmäßig Personen, mögen sie auch bereits der gewerbsmäßigen Unzucht ergeben gewesen sein, nämlich die Staatsangehörigen der Dominikanischen Republik Dinorah Altagracia G* und Olga Estela R*, dieser Unzucht in Österreich, somit in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, dadurch zugeführt hat, daß er ihnen als Geschäftsführer des "B*-Clubs" im angeführten Objekt unentgeltlich Unterkunft gewährte, Räumlichkeiten zur Ausübung der gewerbsmäßigen Prostitution zur Verfügung stellte, von den Kunden den Schandlohn kassierte, davon den Frauen zwar Beträge zwischen 300 S und 1.000 S pro Kundschaft zuzüglich eines vereinbarten Betrages aus den von den Gästen kassierten Getränkeeinnahmen auszahlte, den Rest aber für sich vereinnahmte und bei der Aufrechterhaltung des Bordellbetriebes mitwirkte.

Dagegen richtet sich die auf die Z 9 lit a, "hilfsweise" auch auf die Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten (die angemeldete Berufung wurde in der Beschwerdeschrift – S 110 oben - ausdrücklich zurückgezogen) im wesentlichen mit der Behauptung, die beiden dominikanischen Prostituierten hätten bereits zum Tatzeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet gehabt, weshalb es vorliegend insoweit "an einem objektiven Tatbestandsmerkmal für eine Verurteilung nach § 217 Abs 1 StGB" fehle.

Die Beschwerde ist nicht im Recht.

Den (für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage entscheidenden) erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen (US 4 ff, 9 f und 11 f) zufolge arbeiteten die (nur) spanisch sprechenden, ledigen dominikanischen Staatsangehörigen G* und R* daheim zuletzt als Schneiderinnen. Beide sind allein sorgepflichtig für jeweils drei minderjährige Kinder, die sie für die Dauer ihrer (vorübergehenden) Anwesenheit in Österreich bei deren Großmüttern in Santo Domingo untergebracht haben. Da die Frauen in ihrer Heimat keine Verdienstmöglichkeiten (mehr) hatten, entschlossen sie sich, für eine gewisse Zeit in Österreich Geld zu verdienen. Aus diesem Grund flog die 1968 geborene G* am 26. Oktober 1991 als Touristin in der Hoffnung nach Wien, hier "Arbeit" zu finden. Den Flug finanzierte sie mittels eines auf das Haus ihrer Mutter aufgenommenen Hypothekarkredites. Sie begann sogleich in einem Club in Wels als Prostituierte zu arbeiten und wechselte in der Folge nach S* in den "C*". Ausschließlicher Zweck ihres Aufenthaltes in Österreich ist die Ausübung der gewerbsmäßigen Prostitution, um aus deren Erlös später ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen und in der Heimat ein Haus kaufen zu können. Die 1952 geborene R* verließ am 13. Dezember 1991 ihre Heimat, um in Wien (angeblich) als Putzfrau zu arbeiten. Da sie nicht deutsch konnte und keine Arbeit fand, blieb ihr nichts anderes übrig, als ebenfalls im "C*" in S* der gewerbsmäßigen Unzucht nachzugehen, um mit dem dadurch verdienten Geld nicht nur ihren eigenen Unterhalt, sondern auch den ihrer Kinder zu bestreiten.

Mitte Dezember 1992 nahmen G* und R* das Angebot des Angeklagten S* an, fortan in seinem "B*-Club" in N* a* H* als Prostituierte zu arbeiten. In dem von ihm gepachteten Haus erhielt jede von ihnen unentgeltlich ein eingerichtetes Zimmer als Unterkunft zugewiesen, für ihre Verpflegung mußten sie jedoch selber aufkommen. Beide Frauen besitzen an persönlicher Habe nur ihre (in Koffern und Plastiksäcken verpackte) Kleidung, verfügten bisher in Österreich weder über Möbel oder sonstige Gegenstände des täglichen Bedarfs noch über eine eigene Wohnung und lebten ausschließlich von der Prostitution. Da sie beabsichtigen, dereinst wieder nach Hause zurückzukehren, haben sie ihre familiären Beziehungen zu Santo Domingo niemals aufgegeben und in Österreich auch keine derartigen Bande geknüpft oder sonstige (ersichtlich gemeint: auf längere oder unbestimmte Zeit gerichtete) soziale Kontakte (vergleichbarer Art) zu anderen Personen hergestellt und Österreich nicht zum Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht, sohin zu keiner Zeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet und dies auch nicht gewollt.

Als "gewöhnlicher Aufenthalt" im Sinne des § 217 Abs. 1 StGB ist - ungeachtet anderer Rechtsvorschriften (etwa § 66 Abs 2 JN oder § 26 Abs 2 BAO) - (nur) jener für ständig oder zumindest auf lange Dauer berechnete Aufenthalt anzusehen, der sich als bewußt und freiwillig gewählter Mittelpunkt des Lebens, der wirtschaftlichen Existenz und der sozialen Beziehungen einer (der Unzucht in einem fremden Staat zugeführten oder hiefür angeworbenen) Person darstellt (vgl 11 Os 134/93 = EvBl 1994/30; 14 Os 27,28/94; Pallin im WK § 217 Rz 4 iVm EvBl 1957/379). Dabei kommt es - im Sinne der insoweit zutreffenden Beschwerdeausführungen - in der Tat nicht darauf an, ob die von einer Person im Aufenthaltsort ausgeübte Tätigkeit sozial wünschenswert ist oder nicht. Der Beschwerde zuwider begründet jedoch ein "dauerndes Verweilen" einer (der gewerbsmäßigen Unzucht allenfalls auch bereits ergebenen) Person "für eine gewisse Zeit lang" an einem Ort, den sie infolge gleichzeitiger Ausübung der Prostitution zum Mittelpunkt ihrer (bloß) wirtschaftlichen Existenz gemacht hat, noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Wird nämlich der Aufenthaltsort im fremden Staat von der Prostituierten - wie vorliegend - nur wegen der in der Heimat fehlenden Arbeits- und Verdienstmöglichkeit und der sich daraus ergebenden drückenden Notlage gewählt, so mangelt es insoweit schon am wesentliche Kriterium der "Freiwilligkeit", im Ausland Aufenthalt zu nehmen. Zudem wird gefordert, daß die Prostituierte den (frei gewählten) Aufenthaltsort über ihr wirtschaftliches Interesse hinaus auch zum Mittelpunkt ihres (sonstigen) Lebens und ihrer (über die berufsspezifischen Kontakte hinausgehenden) sozialen (familiären oder familienähnlichen) Beziehungen macht. Diese Voraussetzung ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn die Prostituierte den Aufenthaltsort in einem fremden Staat in relativ kurzen Zeitabständen bloß auf Grund wirtschaftlicher Überlegungen (etwa wegen erhoffter besserer Verdienstmöglichkeiten in einem anderen Bordell) mehrmals wechselt.

Gehen aber Frauen (wie in dem hier aktuellen Fall) ausschließlich unter den Druck der Armut in ihrer Heimat in einem für sie fremden Staat (hier: in Österreich) von Anbeginn der Prostitution nach, um dadurch ihre und ihrer Kinder Notlage im Heimatstaat zu lindern, so haben sie ihren Aufenthalt (ausschließlich in Bordellen) im fremden Staat lediglich zum Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Existenz, keineswegs aber bewußt und freiwillig zum Zentrum ihres (sonstigen) Lebens oder ihrer sozialen Beziehungen gemacht (vgl abermals EvBl 1994/30). Fällt demnach die Aufenthaltsnahme im Ausland bloß mit der Begründung des Abhängigkeitsverhältnisses in Bordellen zusammen, liegt kein gewöhnlicher Aufenthalt der Opfer im Fremdstaat vor. Somit kommt aber - entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - dem Umstand, daß beide dominikanische Staatsangehörige in Österreich verblieben sind, obgleich sie (weil ihnen die Reisepässe zur Verfügung standen) jederzeit ausreisen hätten können, keine entscheidende Bedeutung zu.

Im Lichte dieser Darlegungen hat demnach das Erstgericht unter den gegebenen Umständen - ungeachtet der Tatsache, daß während eines Zeitraumes von etwa einem Jahr eine der dominikanischen Frauen vorher schon in zwei anderen oberösterreichischen Bordellen und die zweite Frau in einem anderen oberösterreichischen Bordell tätig waren - zu Recht das Bestehen eines gewöhnlichen Aufenthaltes der namentlich genannten Prostituierten in Österreich verneint. Daran vermag der vom Rechtsmittelwerber zu Unrecht als "sekundärer Feststellungsmangel" gerügte (weil ohnedies festgestellte [US 7] und fallbezogen gar nicht entscheidende) Umstand nichts zu ändern, daß er den Prostituierten in den Räumlichkeiten des von ihm gepachteten Hauses (anders als vorher im "C*", wo sie sich zu viert ein Zimmer mit Gemeinschaftsküche gegen Bezahlung von 100 S pro Tag teilen mußten - vgl S 31 und 35 -) unentgeltlich Unterkunft in Form eingerichteter Zimmer (mit Benützung der Gemeinschaftsküche) zur Verfügung gestellt hat (US 7 Mitte und US 11 unten). Liegt doch auf der Hand, daß die aus Übersee stammenden, der deutschen Sprache unkundigen und sozial schwachen Prostituierten durch die an die Ausübung der Gewerbsunzucht geknüpfte (jederzeit widerrufbare) Überlassung einer solchen Wohnmöglichkeit vollends der Willkür des Bordellbetreibers ausgeliefert sind.

Der (ohnehin nur "hilfsweise" erhobenen) Subsumtionsrüge (Z 10), die unsubstantiiert (bloß unter Verweisung auf die Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) den Freispruch des Angeklagten vom Anklagevorwurf des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 StGB, "allenfalls" die Unterstellung des Urteilssachverhaltes unter den Tatbestand des § 215 StGB anstrebt, genügt es zu erwidern, daß § 217 StGB als qualifizierter Fall der Förderung fremder Unzucht § 215 StGB verdrängt (vgl Foregger-Kodek 5 § 217 Erl IV mwN). Da aber - wie dargelegt - das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt rechtsrichtig unter den Tatbestand des § 217 Abs 1 StGB subsumiert hat, ist ein - vom Beschwerdeführer eventualiter beantragter - Schuldspruch (bloß) wegen des Vergehens nach § 215 StGB ausgeschlossen.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Rechtssätze
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