JudikaturJustiz15Os114/11w

15Os114/11w – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Mai 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richterin Mag. Weiß als Schriftführerin in der Medienrechtssache des Antragstellers David G***** gegen die Antragsgegnerin Mediengruppe „Ö*****“ GmbH wegen §§ 7a, 7b MedienG, AZ 111 Hv 157/10m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil vom 20. Jänner 2011, GZ 111 Hv 157/10m 6, wies das Landesgericht für Strafsachen Wien die medienrechtlichen Anträge des David G***** nach §§ 7a und 7b MedienG bezogen auf den in der Ausgabe der Tageszeitung „Ö*****“ vom 19. November 2010, Seiten 6 und 7, erschienenen Artikel mit der Überschrift „Folter-Vorwurf gegen Lehrer“ ab.

Die Erstrichterin stellte fest, die Antragsgegnerin sei Medieninhaberin des periodischen Druckwerks „Ö*****“. Am 19. November 2010 habe diese Zeitung auf den Seiten 6 und 7 einen ca ein Drittel der Doppelseite einnehmenden Artikel mit der Überschrift „ Folter-Vorwurf gegen Lehrer; Schüler (13) geknebelt; Lehrer weiter im Dienst “ mit nachfolgendem Wortlaut veröffentlicht:

Weil ein afghanisches Kind im Werkunterricht nicht ruhig war, quälte ein Lehrer den 13-jährigen Buben, indem er ihm den Mund verklebte.

Wien. Der unglaubliche Vorfall spielte sich am 28. September in der B ***** in Wien M***** ab: S***** (13), Flüchtlingskind aus Afghanistan, dessen rechtes Bein bei einem Bombenangriff in seiner Heimat so schwer verletzt wurde, dass er eine Prothese trägt, tuschelte im Unterricht. Die Reaktion des Lehrers Peter B. (Name von der Red. geändert), die 'Ö*****“ von empörten Eltern zugetragen wurde: Er verklebte dem Buben den Mund.

Erst als die Werkstunde vorbei war, realisierte der Pädagoge, was er dem 13-jährigen soeben angetan hatte. Hastig ging Peter B. in die Direktion der Lehranstalt (eine Schule mit Integrations-Schwerpunkt) und gestand dem Direktor Leopold P***** das Unfassbare (siehe Interview). 'Ich habe ihn sofort verwarnt und mit einem Disziplinarverfahren gedroht', berichtet P*****: 'Seinen Job darf er jedoch behalten, da er seine Tat sofort zugegeben hat und das der erste Vorfall war'. Zusätzlich wurde dem Folter Lehrer aufgetragen, eine Therapie bei der schuleigenen Psychagogin zu machen. 'Er will das Ganze unbedingt aufarbeiten', betont P***** im Gespräch mit 'Ö*****'. Die milde Bestrafung ist übrigens mit dem Stadtschulrat akkordiert.

Entschuldigung. Statt einer Anzeige gegen den Lehrer kam es zu einem klärenden Gespräch zwischen David G. sowie dem Schüler im Beisein seiner Eltern. Dabei entschuldigte sich David G. und betonte, so etwas würde nie wieder vorkommen. Deshalb verzichtete S***** Vater darauf, rechtliche Schritte einzuleiten. Zudem kommt der 13-jährige in eine andere Werkgruppe mit einem anderen Lehrer.

Das Erstgericht hielt fest, neben dem Artikel sei ein Interview mit dem Direktor mit der Überschrift „ Nur Therapie für den Knebel-Lehrer “ abgedruckt worden, das auch mit einem Foto des Direktors illustriert gewesen sei. Darin seien im Wesentlichen jene Inhalte abgedruckt, die bereits Gegenstand des Artikel gewesen seien. In dem Interview sei zwei Mal der Name David G. verwendet worden. Über dem Artikel und dem Interview sei ein Bild der Schule zu sehen gewesen. Vor dem Schulbild sei ein Bild des Antragstellers mit „verpixeltem“ Gesicht veröffentlicht worden, bei dem es sich um ein Foto aus dem Zimmer des Direktors gehandelt habe. Der dazu veröffentlichte Bildbeitext habe folgendermaßen gelautet: „ Täter: David G. unterrichtet an der Schule Mathematik und Werken . Über der Abbildung des Kopfes des Antragstellers habe sich ein rot hinterlegtes Rechteck mit folgendem Text befunden: „ Vorfall in Wien-M*****; in der B*****, wo Integration an erster Stelle steht, passierte eine unglaubliche Entgleisung .

Die Erstrichterin konstatierte, es habe zumindest zwei unterschiedliche Ausgaben der Druckschrift „Ö*****“ vom 19. November 2010 gegeben. Der inkriminierte Artikel sei in den beiden vorhandenen Versionen jedoch nahezu ident gewesen. Unterschiede bestünden in der Anzahl der Bezeichnungen des Antragstellers als „David G.“. Im Interview mit dem Zeugen P***** sei in einer Ausgabe der Name „David G.“, einmal der Ausdruck „einen ihrer Lehrer“ verwendet worden. Neben dem Bild des Antragstellers habe sich in einer Ausgabe der Name „David G.“, in einer anderen Ausgabe „Peter B.“ befunden. In allen weiteren Passagen sei die Namensnennung „David G.“ ident gewesen.

Zum Sinngehalt der Veröffentlichung stellte die Einzelrichterin fest, der Leser habe durch den Beitrag erfahren, dass sich ein Vorfall in der genannten Schule ereignet habe, bei welchem dem Werklehrer David G. eine Entgleisung passiert sei, die die Gemüter diverser Eltern erhitzt habe. Für den durchschnittlichen Medienkonsumenten der Tageszeitung „Ö*****“, welcher an einer oberflächlichen, reißerischen Berichterstattung über diverse Vorfälle und „Skandale“ interessiert sei, sei der Eindruck vermittelt worden, dass es sich bei dem Vorfall um eine Misshandlung eines den Unterricht störenden Schülers gehandelt habe. Dem Leser sei ein widersprüchliches Bild geboten worden, weil er mit den reißerischen und übertriebenen Worten „Folter-Vorwurf“, „Knebeln“ und „Quälen“ konfrontiert worden sei, aus dem Artikel selbst und auch aus dem Interview mit dem Direktor aber weder Dauer, noch die Intensität, noch etwaige Folgen der Handlung des Antragstellers gegen den Buben habe erkennen können. Vielmehr sei der Leser anhand der dokumentierten Reaktionen und Konsequenzen davon ausgegangen, dass es sich um eine unglaubliche Entgleisung von dienst- und disziplinarrechtlicher Relevanz gehandelt habe, keinesfalls aber um eine gerichtlich strafbare Handlung, derer sich der Antragsteller schuldig gemacht habe oder derer er verdächtig sei. Selbst ohne juristische Bildung habe der Durchschnittsleser die übertriebene und reißerische Tendenz dieses „Aufdeckungsjournalismuses“ erkennen können, weil für ihn klar gewesen sei, dass eine tatsächliche „Folter“ in Form von „Knebeln“ und „Quälen“ wohl andere als die genannten Konsequenzen zur Folge gehabt haben müsste.

Die Erkennbarkeit des Antragstellers für den nicht unmittelbar informierten Medienkonsumenten erschloss die Erstrichterin aus der Veröffentlichung seines - wenn auch „verpixelten“ - Fotos in Kombination mit der Abbildung und Bezeichnung der Schule, der Nennung des abgekürzten Namens des Antragstellers sowie der Fächer, die er unterrichtete. Eine Verwechslung mit dem kurz bemühten, redaktionell geänderten Namen „Peter B.“ sei für den Leser ausgeschlossen, vielmehr sei für ihn durch die danach erfolgte Nennung des richtigen Namens „David G.“ umso klarer, dass es sich hiebei um den tatsächlichen Namen des beschriebenen Lehrers gehandelt habe, wovon er sich im Übrigen auch im Internet habe überzeugen können.

Zu dem der Berichterstattung zugrundeliegenden Vorfall traf das Erstgericht im Wesentlichen nachfolgende Feststellungen:

Da ein 13-jähriger Schüler am 28. September 2010 den Werkunterricht gestört habe, habe ihm der Antragsteller einen Klebestreifen vor den Mund geklebt. Dieser habe sich nach einigen Minuten von selbst gelöst, der Schüler habe sich das Klebeband danach zur Belustigung der Klasse wieder selbst auf den Mund geklebt. Unmittelbar nach der Stunde sei der Lehrer zum Direktor der Schule, Leopold P*****, gegangen und habe diesem erklärt, dass er „einen Blödsinn“ gemacht habe. Der Direktor habe den Antragsteller abgemahnt und ihm für den Fall einer Wiederholung eines solchen Vorfalls dienstrechtliche Folgen angedroht. Der Direktor habe den Vorfall an die vorgesetzte Behörde weitergeleitet und Kontakt mit den Eltern des betroffenen Schülers aufgenommen. Den Eltern sei hiebei vom Direktor freigestellt worden, Anzeige zu erstatten. Außerdem sei ihnen mitgeteilt worden, dass sich der Antragsteller auf dessen eigenen Vorschlag bei der Klasse entschuldigen werde. Die Eltern hätten im Weiteren keine Schritte gesetzt. Auch seitens der Schulleitung und des Stadtschulrats sei außer einer Abmahnung und der Aufforderung, sich einer psychagogischen Therapie zu unterziehen, nichts unternommen worden. Der Journalist der Zeitung „Ö*****“, Mag. Matthias L*****, habe sich Anfang 2011 mit dem Direktor in Verbindung gesetzt. Während des nachfolgenden Interviews hätten die den Journalisten begleitenden Fotografen ohne dessen Einverständnis ein Bild des Antragstellers, welches sich auf einem Wandposter im Büro des Direktors befunden habe, abgelichtet.

Das Erstgericht erachtete die Voraussetzung nach § 7a MedienG für nicht gegeben, weil nicht über eine gerichtlich strafbare Handlung berichtet worden sei. Weder hätten die Eltern Anzeige erstattet, noch sei die Staatsanwaltschaft nach Veröffentlichung des Artikels tätig geworden. Das Verhalten des Antragstellers, nämlich das Verkleben des Mundes für einige Minuten, habe keine gerichtlich strafbare Handlung dargestellt, bloße dienstrechtliche Verstöße oder Verwaltungsübertretungen könnten jedoch keinen Anspruch nach § 7a MedienG begründen. Selbst wenn eine gerichtlich strafbare Handlung vorgelegen wäre, hätte die gebotene Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfallen müssen.

Der Anspruch nach § 7b MedienG sei mangels einer gerichtlich strafbaren Handlung ebenfalls ausgeschieden.

Gegen dieses Urteil richtete sich die nur in puncto Nichtigkeit aus dem Grund der Z 9 lit a StPO ausgeführte Berufung des Antragstellers, der das Oberlandesgericht Wien zu AZ 17 Bs 105/11g im Ergebnis Berechtigung zuerkannte, indem es die aufgezeigten Argumente gegen die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt als Berufung wegen Schuld wertete und unter anderem aus folgenden Erwägungen als geeignet ansah, Zweifel an der Richtigkeit dieser Konstatierungen zu wecken:

Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch werde mit den Worten „Folter“ und „Quälen“ in der Vorstellung der Medienkonsumenten grundsätzlich ein strafrechtlich relevantes Tun verbunden. Folter sei als gezieltes Zufügen von psychischem und physischem Leid in Form von Gewalt, Qualen und Schmerz an Menschen durch andere Menschen zu werten, meist als Mittel für einen zielgerichteten Zweck (zB zur Erzwingung eines Geständnisses), zur Erlangung wichtiger Information oder um den Willen und Widerstand der Opfer zu brechen.

Der Berufungssenat sah sich daher zu folgenden Feststellungen zum Bedeutungsinhalt des inkriminierten Artikels veranlasst:

Nach der Aufmachung der Veröffentlichung, die bereits auf der Titelseite mit der Überschrift „Foltervorwürfe gegen Lehrer“ angekündigt, im Blattinneren mit großen Lettern rot unterlegt neuerlich mit den Worten „Folter Vorwürfe gegen Lehrer“ eingeleitet und mit „Schüler (13) geknebelt“, „Lehrer weiter im Dienst“ fortgesetzt werde, vermittle der Artikel keineswegs den Eindruck, es werde nachfolgend über eine bloß dienst- und disziplinarrechtliche Entgleisung berichtet. Auch wenn sich im Fließtext die Schilderung des Vorfalls darauf beschränke, dem Lehrer werde vorgeworfen, für einen unbestimmten, nicht konkret genannten, über eine Stunde nicht hinausgehenden, Zeitraum (arg: „als die Stunde vorbei war ...“) einem 13 jährigen Schüler ein Klebeband über den Mund geklebt zu haben, weil dieser zuvor im Unterricht getuschelt hätte, gehe der Leser von einer strafrechtlichen Relevanz dieses Verhaltens aus. Dem Medienkonsumenten werde durch die Art der Präsentation des Geschehens nämlich suggeriert, dass es schier unglaublich sei, dass der als „Folter-Lehrer“ und „Knebellehrer“ titulierte Antragsteller nicht mit strafrechtlichen Folgen rechnen müsse. So werde hervorgehoben, dass der Lehrer weiter im Dienst sei und dass die „milde Bestrafung“ (die zuvor berichtete Therapie bei der Psychagogin, Verwarnung und Androhung eines Disziplinarverfahrens) „übrigens“ mit dem Stadtschulrat akkordiert sei. Dies gehe auch aus der für das Interview gewählten Überschrift „ Nur Therapie für Knebellehrer“ hervor. Die Erwähnung im Artikel, dass anstelle einer Anzeige ein klärendes Gespräch mit dem Lehrer geführt worden sei, vermittle dem Leser ebenfalls, dass eine solche die übliche Reaktion und zumindest möglich gewesen wäre, womit wiederum die strafrechtliche Relevanz der Vorfälle vermittelt werde.

Ausgehend von diesen geänderten Feststellungen zum Bedeutungsinhalt sei der Artikel jedoch anspruchsbegründend iSd §§ 7a und 7b MedienG. Dabei ging das Berufungsgericht von folgenden wesentlichen Erwägungen aus:

Ungeachtet einer ihm möglichen genauen Zuordnung in den Katalog der Delikte des Strafgesetzbuchs gehe der Medienkonsument anhand der dargestellten Anhaltspunkte zweifellos von einer Strafbarkeit des vorgeworfenen Verhaltens im Anlassfall kämen §§ 83 Abs 2; 92 oder 115 StGB in Betracht aus, sodass ein Anspruch nach §§ 7a und 7b MedienG grundsätzlich zu bejahen sei.

Da der Bericht aufgrund der Formulierungen im Indikativ, der formalen Apostrophierung des Antragstellers als „Täter“ und der festgestellten reißerischen Aufmachung somit keine Zweifel an der Schuld des Antragstellers offenlasse, sei er iSd § 7b MedienG anspruchsbegründend, zumal der zeitliche Schutz des § 7b MedienG bereits dann beginne, wenn eine bestimmte Person mit einer Straftat im Zusammenhang gebracht und als Täter hingestellt werde. Der Tatverdacht müsse noch nicht Anlass zu behördlichen Erhebungen gegeben haben, vielmehr könne es auch dann, wenn ein Medium selbst recherchiert und eine Tat aufgedeckt habe, zu einem Anspruch nach § 7b MedienG kommen. Der Umstand, dass die Eltern keine Anzeige gegen den Lehrer erstattet hätten und auch die Staatsanwaltschaft nicht tätig geworden sei, hindere somit den Anspruch nach § 7b MedienG nicht.

Der Bericht über ein von körperlichen Übergriffen gegen einen Schüler begleitetes Verhalten eines Lehrers sei zwar grundsätzlich von öffentlichem Interesse, die Berichterstattung und mediale Beleuchtung des konkreten Vorfalls hätte jedoch für den Medienkonsumenten verständlich auch ohne Offenlegung der Identität des involvierten Lehrers erfolgen können. Der Antragsteller sei als einfacher Lehrer an einer Schule ohne leitende Funktion tätig und stehe als einer von zahlreichen Lehrern an öffentlichen Schulen nicht per se im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Zwar sei bei Berichten über eine bestimmte Straftat oder einen bestehenden Tatverdacht ein öffentliches Interesse dann zu bejahen, wenn ein auffälliger Widerspruch zwischen der beruflichen Position und Verantwortung des Betroffenen mit der berichteten Straftat bestehe, ein solch gravierender Fall liege aber nicht vor. Der Antragsteller habe - von ihm eingestanden - im Rahmen seines Unterrichts einem Kind, das durch Schwätzen gestört habe, den Mund verklebt, jedoch unmittelbar nach dem Vorfall sein Fehlverhalten erkannt und von sich aus das Geschehen dem Direktor gemeldet, der alle weiteren Schritte zur Bereinigung der Situation unternommen habe. In weiterer Folge hätten nach einer Aussprache nicht einmal die Eltern des betroffenen Kindes auf eine weitere Verfolgung der Angelegenheit bestanden, sondern sich mit der Entschuldigung des Lehrers und der Zusicherung, er werde eine Therapie absolvieren, begnügt. Durch die durchaus sensationslüsterne Ausbreitung des Vorfalls im Medium der Antragsgegnerin unter Preisgabe von identifizierenden Merkmalen des Antragstellers seien dessen schutzwürdige Interessen massiv verletzt worden, weil Auswirkungen auf dessen berufliche Tätigkeit naheliegend seien. Diesen gegenüber trete das Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis eines letztlich auch für den betroffenen Schüler folgenlos gebliebenen einmaligen Fehlverhaltens eines Lehrers in den Hintergrund, sodass auch die Anspruchsgrundlage nach § 7a MedienG erfüllt sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht (ON 16) richtet sich gestützt auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK der Antrag der Mediengruppe „Ö*****“ GmbH auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO; er ist zulässig (RIS Justiz RS0122228), aber nicht begründet.

Für einen (wie hier vorliegenden) nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß (RIS-Justiz RS0122737).

Demnach hat da die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur dann anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein auch ein Erneuerungsantrag gemäß § 363a StPO deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende Grundrechtsverletzung iSd § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS-Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat sich der Erneuerungswerber mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0124359) und, soweit er auf der Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (vgl zu § 281 Abs 1 Z 5 sowie Z 5a StPO: Ratz , WK-StPO § 281 Rz 394 und 487) nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag, seiner Argumentation die Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zugrundezulegen (RIS-Justiz RS0125393 [T1]).

Diesen Anforderungen wird der Erneuerungsantrag nicht gerecht:

Mit der aus der unterschiedlichen Beurteilung des Bedeutungsinhalts des inkriminierten Artikels zur strafrechtlichen Relevanz des berichteten Verhaltens durch Erst- und Rechtsmittelgericht begründeten Berufung auf den Zweifelsgrundsatz sowie unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 11 Os 124/07f behauptet die Erneuerungswerberin, es sei bei mehrdeutigen Äußerungen immer von der für den Antragsgegner günstigsten Variante auszugehen, und leitet daraus pauschal unter Vernachlässigung der Erwägungen des Oberlandesgerichts ab, dieses hätte ihr nur die günstigste Auslegungsvariante zurechnen dürfen. Dabei verkennt sie, dass der Zweifelsgrundsatz erst dann zum Tragen kommt, wenn nach eingehender Würdigung der Beweise objektiv vernünftige Zweifel am Vorliegen von für die Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidenden tatsächlichen Umständen (hier: eines für die Antragsgegnerin nachteiligen Bedeutungsinhalts der inkriminierten Äußerung) gegeben sind (vgl Lendl , WK-StPO § 258 Rz 36). Eine Beweisregel in dem Sinn, dass zur Frage des Bedeutungsinhalts jedenfalls von der für den Angeklagten (Antragsgegner) günstigsten denkmöglichen Variante auszugehen sei, ist dem Gesetz fremd. Nur dann, wenn mehrere verschiedene Auslegungen zur Beurteilung des Sinngehalts einer Aussage im Rahmen der Beweiswürdigung nicht ausgeschlossen werden können, kommt - entsprechend dem Grundsatz „in dubio pro reo“ die für den Angeklagten (Antragsgegner) günstigste dieser Versionen zum Tragen (RIS Justiz RS0123503).

Die auf eine eigenständige Würdigung des Artikelinhalts sowie auf das Fehlen der Bestreitung des ihm zugrunde liegenden Sachverhalts durch den Antragsteller gegründete Behauptung, selbst ein Leser ohne juristische Bildung gehe bloß von einer dienst- und disziplinarrechtlich relevanten Handlung des Antragstellers aus, sodass Ansprüche nach § 7a Abs 1 oder § 7b Abs 1 MedienG nicht begründet seien, orientiert sich nicht an den oben wiedergegebenen, gänzlich konträren mängelfrei begründeten Feststellungen des Berufungsurteils zum Bedeutungsinhalt des inkriminierten Vorwurfs (US 9 ff).

Dass das Oberlandesgericht die durch die Berichterstattung dem Medienkonsumenten vermittelte strafrechtliche Relevanz des vorgeworfenen Verhaltens unter anderem in Richtung § 92 (erg: Abs 1) StGB und § 115 (erg: Abs 1) StGB konkretisierte, begegnet keinen Bedenken und steht dem Vorbringen des Erneuerungsantrags zuwider auch nicht dazu im Widerspruch, dass gegen den Antragsteller, wie vom Rechtsmittelgericht ohnedies berücksichtigt (US 11 f), nicht weiter behördlich (durch die Staatsanwaltschaft) ermittelt wurde (vgl Rami in WK 2 MedienG Rz 13; Berka in: Berka/Höhne/Noll/Polley , MedienG 2 Rz 8, jeweils zu § 7a). Im Übrigen ergibt sich auch aus den erstgerichtlichen Konstatierungen zu dem in Rede stehenden Vorfall, wonach der Antragsteller dem 13-jährigen Schüler vor versammelter Klasse einen Klebestreifen vor den Mund klebte (ON 6 S 3), jedenfalls ein wegen Beleidigung (Misshandlung) nach § 115 Abs 1 StGB relevanter Sachverhalt (vgl Kienapfel/Schroll , BT I 5 RN 12; Lambauer , Sbgk Rz 28 bis 31, jeweils zu § 115).

Soweit aus den in der Veröffentlichung gewählten unterschiedlichen Vornamen des Antragstellers und aus der Qualität des geschalteten Fotos ein Fehlen der Identifizierbarkeit behauptet wird, setzt sich das Vorbringen über die vom Berufungsgericht nicht beanstandeten Erwägungen des Erstgerichts (ON 6 S 7 bis 9) hinweg, ohne insoweit einen Begründungsmangel darzustellen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der diesbezüglichen Feststellungen erwecken zu können.

Ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung der identifizierenden Angaben iSd § 7a Abs 1 MedienG sieht der Erneuerungswerber darin begründet, dass zwischen der mutmaßlichen Tat und dem Beruf des Antragstellers, der seine Machtposition gegenüber einem bereits durch Waffengewalt körperlich und sohin zwangsläufig seelisch zu Schaden gekommenen Flüchtlingskind missbrauchte, ein unvereinbarer Gegensatz bestehe.

Eine das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK) verletzende Fehlerhaftigkeit der rechtlichen Beurteilung durch das Berufungsgericht vermag er damit nicht aufzuzeigen:

Der im Fall konfligierender Grundrechte von der MRK geforderte faire Ausgleich (vgl Art 10 Abs 2) zwischen hier dem (auf den Schutz von Persönlichkeitsrechten gerichteten) Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 MRK) und dem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK) wird im hier interessierenden Zusammenhang auf innerstaatlicher Ebene durch die von § 7a Abs 1 MedienG für den Bereich des Schutzes „vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen“ geforderte Abwägung schutzwürdiger Interessen des von der Berichterstattung Betroffenen gegenüber spezifischen Interessen der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung von zur Identifizierung geeigneten Angaben gewährleistet.

Der Entschädigungsanspruch nach § 7a Abs 1 (hier: Z 2 erster Fall) MedienG setzt voraus, dass durch eine identifizierende Berichterstattung über eine Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist, schutzwürdige Interessen derselben verletzt werden, ohne dass wegen deren Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat. Damit wird klargestellt, dass sich die durch die bezeichneten spezifischen Sachzusammenhänge begründeten Veröffentlichungsinteressen gerade auf die Identität des Betroffenen beziehen müssen. Zum einen ist daher das allgemeine öffentliche Interesse an einer sachgerechten Kriminalberichterstattung für sich nicht ausreichend, zum anderen ist demnach eine identifizierende Berichterstattung nur zulässig, wenn und soweit dem Namen bzw sonstigen Identitätsmerkmalen des Verdächtigen ein eigenständiger Informations- oder Nachrichtenwert zukommt. Dieser Informationswert muss, um die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung zu begründen, das schutzwürdige Anonymitätsinteresse des Betroffenen überwiegen (15 Os 95/09y mwN).

Bei dieser Abwägung kann es auch auf die Dichte des Tatverdachts und den Stand eines Strafverfahrens ankommen, weil bei einem nur geringfügigen Verdacht oder in einem frühen Verfahrensstadium den Anonymitätsinteressen des Betroffenen ein größeres Gewicht zukommt ( Berka in: Berka/Höhne/Noll/Polley , MedienG² § 7a Rz 32 mwN; vgl auch EGMR U 10. 01. 2012 Standard Verlags GmbH gegen Österreich [Nr. 3] Nr. 34.702/07).

„Aus anderen Gründen“ (also wenn nicht ohnehin eine im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehende Person involviert ist und auch kein sonstiger Zusammenhang zum öffentlichen Leben gegeben ist) kann das Informationsinteresse der Öffentlichkeit insbesondere in Fällen überwiegen, in denen eine an sich schwere strafbare Handlung ein derart über den Durchschnittsfall hinausgehendes Aufsehen erregt, dass auch die Preisgabe der Identität des Betroffenen gerechtfertigt erscheint ( Rami in WK 2 MedienG § 7a Rz 9b).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist das Oberlandesgericht Wien zutreffend davon ausgegangen, dass eine Berichterstattung über einen derartigen Vorfall zwar grundsätzlich von öffentlichem Interesse ist, im konkreten Fall für den Medienkonsumenten verständlich jedoch auch ohne Offenlegung der Identität des involvierten Lehrers erfolgen hätte können, zumal der Antragsteller als einfacher Lehrer ohne leitende Funktion nicht per se im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehe. Dabei hat es berücksichtigt, dass ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit aus anderen Gründen auch dann anzunehmen ist, wenn ein auffälliger Widerspruch zwischen der beruflichen Position und Verantwortung des Betroffenen mit der berichteten Straftat besteht ( Berka aaO Rz 28), dem Fehlverhaltens aber angesichts des oben geschilderten, der Berichterstattung zu Grunde liegenden Geschehens, insbesondere der darauf folgenden Reaktion des Antragstellers selbst, des Direktors sowie der Eltern des betroffenen Kindes kein solches Gewicht beigemessen, das auch eine Ausbreitung des Vorfalls unter Preisgabe identifizierender Merkmale des Antragstellers gerechtfertigt hätte (US 14 f).

Aus der vom Erstgericht festgestellten Reaktion des betroffenen Schülers, das Klebeband, nachdem es sich gelöst hatte, zur Belustigung der Klasse selbst wieder über seinen Mund zu kleben, und seiner Eltern, nachdem sie davon informiert worden waren, dass sich der Antragsteller auf eigenen Vorschlag bei der Klasse entschuldigen werde, von weiteren Schritten abzusehen (ON 6 S 3), durfte das Rechtsmittelgericht dem zT eigenständige Erwägungen anstellenden Erneuerungsantrag zuwider ohne Willkür darauf schließen, dass das einmalige Fehlverhalten des Lehrers für den Schüler letztlich folgenlos blieb (US 15).

Dass der Antragsteller infolge teilweiser Anonymisierung nur von einem kleinen Teil der Leser erkannt werden konnte, die Identität also nur eingeschränkt preisgegeben wurde, ist kein Kriterium für die Tatbestandsmäßigkeit und hat das Berufungsgericht ohnedies bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung in Anschlag gebracht (US 15).

Weshalb das Vertrauen darauf, infolge Namensnennung durch den Schuldirektor zu einer identifizierenden Berichterstattung berechtigt gewesen zu sein, den Entschädigungsanspruch ausschließen sollte, wird nicht näher begründet.

Zusammengefasst leistete der Artikel auch bei einer Gesamtbetrachtung (vgl dazu EGMR U 10. 01. 2012 Standard Verlags GmbH gegen Österreich [Nr. 3] Nr. 34.702/07) keinen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse, weil er weder die Aufklärung einer Straftat noch das Aufzeigen eines abzustellenden gesellschaftlichen Missstands intendierte, sondern bloß der am Sensationswert orientierten, zugespitzten und verzerrten Darstellung eines bereits umfassend aufgearbeiteten Einzelfalls diente. Bei dem von der Veröffentlichung betroffenen Antragsteller handelte es sich nicht um eine Person des öffentlichen Lebens oder jemanden, der in einem öffentlichen Kontext handelte. Die zudem unter Verwendung eines heimlich aufgenommenen Fotos erfolgte Offenlegung seiner Identität hat den im Artikel enthaltenen Informationen nichts von öffentlichem Interesse hinzugefügt. Das Medium war auch nicht gehindert, über alle relevanten Details des Falls zu berichten (was sich schon daraus ergibt, dass im Artikel selbst ein von der Redaktion veränderter Name verwendet wurde), sondern lediglich daran, die Identität des Antragstellers, an deren Bekanntgabe kein eigenständiges, anerkennenswertes öffentliches Interesse besteht, offen zu legen (vgl zu den maßgeblichen Abwägungskriterien: EGMR U 07. 02. 2012 [GK], Axel Springer AG gegen Deutschland Nr. 39.954/08; EGMR U 07. 02. 2012 [GK] Von Hannover gegen Deutschland [Nr. 2], Nr. 40.660/08 und 60.641/08).

Das einleitend gegen die Annahme der Voraussetzungen des § 7b Abs 1 MedienG durch das Oberlandesgericht Wien ins Treffen geführte Argument, es sei über einen unbestritten gebliebenen Sachverhalt berichtet worden, der überdies vom Schuldirektor bestätigt worden sei, damit führe die Problematik „zunächst an dem von § 7b MedienG geregelten Tatbild vorbei, da hinsichtlich des berichteten Sachverhalts keine Unschuld besteht, wenn auch keine strafrechtliche Verfolgung eingeleitet wurde“, ist nicht nachvollziehbar und vermag demgemäß nicht zu begründen, die Antragsgegnerin sei in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt worden.

Der behauptete Ausschlussgrund des § 7b Abs 2 Z 3 MedienG wurde im Verfahren nicht geltend gemacht, sodass das nunmehrige Vorbringen im Erneuerungsantrag bereits an der (horizontalen) Nichtausschöpfung des Instanzenzugs scheitert (vgl RIS-Justiz RS0122737 [T13]).

Wenngleich der Erneuerungsantrag zutreffend darauf hinweist, dass der einem Straffall zugrunde liegende Sachverhalt immer berichtbar bleiben müsse ( Rami in WK 2 MedienG Rz 11; Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley , MedienG 2 Rz 7), entfernt er sich mit der Behauptung, der Antragsteller werde keineswegs als überführter oder schuldiger Rechtsbrecher einer gerichtlich strafbaren Handlung hingestellt, zumal sich der Artikel nicht mit der Frage beschäftige, wie der geschilderte Sachverhalt strafrechtlich zu beurteilen wäre und welche Verurteilung dem Antragsteller drohen würde, neuerlich von den insoweit gegenteiligen Urteilsannahmen des Oberlandesgerichts Wien, wonach der Bericht aufgrund der Formulierungen im Indikativ, der formalen Apostrophierung des Antragstellers als „Täter“ und der festgestellten reißerischen Aufmachung keine Zweifel an der Schuld des Antragstellers offenlasse (US 11).

Das Vorbringen der Erneuerungswerberin ist damit insgesamt nicht geeignet aufzuzeigen, dass die Tatbestandsverwirklichung (Verwirklichung eines Eingriffstatbestands; Art 10 Abs 2 MRK) zu Unrecht angenommen wurde. Die Einschränkung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung zum Schutz des guten Rufs iSd Art 10 Abs 2 MRK und in Entsprechung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 MRK) war daher gesetzlich, nämlich in §§ 7a und 7b MedienG, vorgesehen, im konkreten Fall erforderlich und auch verhältnismäßig.

Der Erneuerungsantrag war daher gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG als offenbar unbegründet zurückzuweisen.

Rechtssätze
6
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.