JudikaturJustiz15Os113/08v

15Os113/08v – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. November 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eilenberger als Schriftführerin in der Medienrechtssache des Antragstellers Philip Sch***** gegen die Antragsgegnerin Z*****gesellschaft mbH wegen § 7b MedienG, AZ 24 Hv 12/08t des Landesgerichts Feldkirch, über den Antrag der Z*****gesellschaft mbH auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Der Medienrechtssache des Antragstellers Philip Sch***** gegen die Antragsgegnerin Z*****gesellschaft mbH als Medieninhaberin lag ein in der periodischen Druckschrift „N*****" am 21. Oktober 2007 mit der Überschrift

„Verräterisches SMS: Türsteher bestreitet Beteiligung an Überfall

Zwei Männer müssen sich am kommenden Donnerstag wegen des Raubüberfalls auf die U***** in Dornbirn vor dem Schwurgerichtshof verantworten. Ein Polizist hatte einen der beiden Täter auf einem Phantombild erkannt."

und den unten näher bezeichneten Zwischenüberschriften veröffentlichter Artikel folgenden Inhalts zugrunde:

„Ein 60 jähriger Pensionist aus Dornbirn ist am 5. Mai 2006 zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Um 5.15 Uhr steht er gegenüber der U***** Bar. Plötzlich sieht der Zeitungsausträger, wie zwei Männer aus dem Lokal stürmen. Das kommt ihm seltsam vor. Er richtet den Lichtstrahl seines Motorrollers auf die Männer. Er merkt sich das Gesicht haargenau und gibt später bei der Polizei eine detaillierte Personenbeschreibung zu Protokoll. Es wird eine Phantomzeichnung angefertigt.

Polizist erkennt Täter (= Zwischenüberschrift)

Es dauert allerdings bis Juli 2007, bis der Mann ausgeforscht werden kann. Ein Polizist in Friedrichshafen bekommt das Phantombild in die Hand. Für ihn gibt es keinen Zweifel. Er kennt den Mann. Und er soll Recht behalten. Der Mann wird ausgeforscht. Sein Name: Martin N. Der 35 Jährige ist gebürtiger Pole, aber inzwischen deutscher Staatsbürger. Und er legt ein volles Geständnis ab. Im Zuge der Einvernahme belastet er seinen 28 jährigen deutschen Freund, Philipp S. Doch dieser bestreitet bis heute jeden Zusammenhang mit dem Überfall auf die U***** Bar.

'Guter Kumpel' (= Zwischenüberschrift)

Laut Anklageschrift haben sich Martin N. und Philipp S. vor einigen Jahren in einem Fitnessstudio kennen gelernt. Sie pflegten seitdem eine intensive Beziehung. Philipp S. bezeichnet Martin N. sogar als 'guten Kumpel'. Im Frühjahr 2006 schmieden sie den Plan, die U***** Bar zu überfallen. Philipp S. arbeitet dort als Türsteher.

Mitteilung aufs Handy (= Zwischenüberschrift)

Am 5. Mai ist es so weit. Martin N. schickt seinem Freund um 2.12 Uhr eine SMS. Darin teilt er ihm mit, dass an diesem Abend gute Umsätze in der U***** Bar gemacht worden seien. Es sei der richtige Zeitpunkt für den Überfall gekommen. Philipp S. setzt sich in sein Auto und fährt von Friedrichshafen nach Dornbirn. Mit im Gepäck: eine schwarze Damenstrumpfhose für die Maskierung und eine Gaspistole. Er trifft sich um 3.30 Uhr mit Philipp S., der die U***** Bar eine Viertelstunde davor verlassen hatte. Dieser teilte ihm mit, dass sich noch sieben Mitarbeiter im Lokal befinden. Als um 15.15 Uhr der Geschäftsführer die U***** Bar über den Notausgang verlässt, stürmt der maskierte Martin N. auf ihn zu.

Er zückt die Pistole und fordert den Chef auf, wieder in sein Lokal zu gehen. Dort sperrt er ihn zusammen mit zwei Mitarbeitern im Lagerraum ein. Zuvor räumt er den Tresor des Lokals aus und flüchtete mit 12.000 Euro Bargeld.

Die beiden Täter stehen am Donnerstag vor einem Geschworenengericht in Feldkirch. Martin N. ist wegen schweren Raubes angeklagt, Philipp S. wegen der Beteiligung an schweren Raub. Der Strafrahmen liegt in beiden Fällen bei 5 bis 15 Jahren Haft."

Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 5. Februar 2008, GZ 24 Hv 13/08i 5, wurden die Anträge des Philip Sch***** auf Zuerkennung eines Entschädigungsbetrags aus dem Titel der §§ 7a und 7b MedienG abgewiesen. Das Erstgericht ging in Hinblick auf § 7b MedienG von einer Identifizierbarkeit des Antragstellers aus, verneinte aber, dass dieser durch den Inhalt des Artikels als der beschriebenen strafbaren Handlung überführt oder schuldig hingestellt oder als deren Täter und nicht bloß als tatverdächtig bezeichnet worden sei.

Das Oberlandesgericht Innsbruck gab der dagegen gerichteten Berufung des Antragstellers mit Urteil vom 21. Mai 2008, AZ 6 Bs 213/08m, teilweise Folge, hob das Ersturteil teilweise auf und entschied, dass der Antragsteller durch den inkriminierten Artikel des Verbrechens des schweren Raubes als Beteiligter als überführt und schuldig hingestellt und als Täter dieser strafbaren Handlung und nicht bloß als tatverdächtig bezeichnet worden war, sodass die Medieninhaberin gemäß § 7b MedienG zur Zahlung von 8.000 Euro und zum Kostenersatz verurteilt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich der - die Identifizierbarkeit des Antragstellers und die Verletzung der Unschuldsvermutung bestreitende, eine Verletzung des Art 10 MRK behauptende - Erneuerungsantrag gemäß § 363a StPO der Z*****gesellschaft mbH (zur Zulässigkeit auch ohne Vorliegen eines Urteils des EGMR RIS Justiz RS0122228). Ihm kommt keine Berechtigung zu.

Ein Entschädigungsanspruch nach § 7b MedienG steht demjenigen einer strafbaren Handlung Verdächtigen, aber nicht rechtskräftig Verurteilten zu, der in einem Medium einer gerichtlich strafbaren Handlung als überführt oder schuldig hingestellt oder als Täter dieser strafbaren Handlung und nicht bloß als tatverdächtig bezeichnet worden ist. Bei verfassungskonformer Interpretation der Begriffe „überführt oder schuldig hingestellt" ist mit Blick auf die durch Art 10 MRK garantierte Freiheit der Meinungsäußerung zu beachten, dass der einem Straffall zugrunde liegende Sachverhalt berichtbar bleiben muss. Eine den Gerichten vorbehaltene Wertung iS einer Lösung der Tat- oder Schuldfrage ist jedoch unzulässig (MR 2004, 315).

Grundlage für die Frage, ob jemand durch den Inhalt eines Artikels als einer strafbaren Handlung überführt oder schuldig hingestellt oder als deren Täter bezeichnet wird, ist der Bedeutungsinhalt der Textstelle. Bei dessen Beurteilung wiederum handelt es sich um eine Tatfrage (RIS Justiz RS0092588; Rami in WK² MedienG § 41 Rz 36 mwN). Beurteilungsmaßstab sind der Gesamtzusammenhang und die Auffassung jenes Lesers, an den sich der Artikel nach seiner Aufmachung und Schreibweise sowie seinem Thema wendet ( Polley in Berka/Höhne/Noll/Polley , Mediengesetz², Vor §§ 28 - 41 Rz 41). Die urteilsmäßige Feststellung des Bedeutungsinhalts - allenfalls auch in der für den Äußernden ungünstigsten Variante - einer Textstelle obliegt dem Gericht in Ausübung des ihm nach § 258 Abs 2 StPO zukommenden Beweiswürdigungsermessens. Wenn mehrere verschiedene Auslegungen zur Beurteilung des Sinngehalts einer Aussage vom erkennenden Gericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung nicht ausgeschlossen werden können, ist von der für den Angeklagten (Antragsgegner) günstigsten Variante auszugehen (RIS Justiz RS0123503). Die Beurteilung des Bedeutungsinhalts ist in den Fällen des § 7b MedienG in verfassungskonformer Sicht des Spannungsfelds zwischen Art 6 Abs 2 MRK (Verletzung der Unschuldsvermutung) und Art 10 MRK (Freiheit der Meinungsäußerung) vorzunehmen.

Dem Oberlandesgericht kann im konkreten Fall aus grundrechtlicher Sicht nicht vorgeworfen werden, es hätte bei seiner Beurteilung einen dem Art 10 MRK zuwiderlaufenden Maßstab angelegt.

Soweit die Erneuerungswerberin zunächst die Identifizierbarkeit des Philip Sch***** bestreitet, argumentiert sie mit der Behauptung, die im Artikel beschriebene Arbeitstätigkeit des „Philipp S." als Türsteher der U***** Bar beziehe sich auf den Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels (21. Oktober 2007), nicht aktenkonform, vernachlässigt sie doch, dass die Erzählung des gesamten Tathergangs in der Veröffentlichung in der Präsensform erfolgte und im vorangegangen Satz der Zeitpunkt Frühjahr 2006 genannt worden ist. Inwieweit es wiederum für die Frage der Erkennbarkeit eine Rolle spielen soll, ob der (tatsächlich aus Friedrichshafen stammende) Antragsteller im Artikel durch Schilderung eines richtigen oder eines falschen Sachverhalts mit Friedrichshafen als möglichem Herkunftsort in Bezug gebracht worden ist, vermag der Erneuerungsantrag nicht schlüssig darzutun. Der - daneben auch auf die Anführung des Vornamens, des ersten Buchstabens des Familiennamens, des Alters und der Staatsbürgerschaft gestützten - Bejahung der Erkennbarkeit des Antragstellers (s dazu Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley , Mediengesetz², § 7b Rz 9) durch beide Instanzen begegnen daher keine Bedenken.

Das Oberlandesgericht hat aber auch die Frage der Verletzung der Unschuldsvermutung unter Bezugnahme auf die zweimalige explizite Bezeichnung des Antragstellers als „Täter" und die im Indikativ erfolgte Sachverhaltsdarstellung ohne Verstoß gegen Art 10 MRK gelöst.

Die Argumentation des Erneuerungsantrags, die Anführung der Worte „Laut Anklageschrift" zu Beginn des ersten Satzes der Erzählung des Sachverhalts mache für jedermann klar, dass nur eine Schilderung der Darstellung der Anklage vorgenommen worden sei, vernachlässigt, dass die im Indikativ gehaltene Darstellung des eigentlichen Tathergangs von den Einleitungssätzen durch eine eigene Zwischenüberschrift („Mitteilung aufs Handy") abgegrenzt ist und keine (weitere) Bezugnahme auf die Anklage enthält.

Angesichts der Darstellung des Tathergangs im Indikativ (vgl Rami in WK2 MedienG § 7b Rz 7) und der formalen Präjudizierung durch Apostrophierung des Antragstellers als „Täter" (vgl Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley , Mediengesetz², § 7b Rz 13 f) durfte das Oberlandesgericht bedenkenfrei trotz der Darlegung im Artikel, dass der Antragsteller seine Beteiligung an der Tat bestreite und dass die Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht erst bevorstehe, in wertender Gesamtbetrachtung (ohne Vorliegen von Zweifeln - mit der Forderung nach zwingend vorzunehmender Feststellung des für sie günstigsten möglichen Bedeutungsinhalts verkennt die Erneuerungswerberin §§ 14 zweiter Satzteil, 258 Abs 2 StPO sowie die aus RIS Justiz RS0123503 ersichtliche Judikatur hiezu) zum Schluss kommen, dass der vorliegende Bericht sich nicht auf die Schilderung einer bloßen Verdachtslage beschränkt, sondern dem Antragsteller die Täterschaft deutlich unterstellt und eine Vorverurteilung vorgenommen hat, womit der Tatbestand nach § 7b MedienG erfüllt worden ist (vgl Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley , Mediengesetz², § 7b Rz 15 f).

Mangels Vorliegens einer Verletzung der Erneuerungswerberin in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK war der Erneuerungsantrag daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung als unbegründet zurückzuweisen.

Rechtssätze
3