JudikaturJustiz14Os74/99

14Os74/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Juni 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juni 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Leitner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Mario S***** wegen des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB, AZ 17 U 245/97d des Bezirksgerichtes Klagenfurt, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 31. März 1998, GZ 17 U 245/97d-16, und des Landesgerichtes Klagenfurt als Beschwerdegericht vom 19. Mai 1998, AZ 7 Bl 71/98 (= ON 19), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die in der Begründung der Beschwerdeentscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt vom 19. Mai 1998, AZ 7 Bl 71/98 (GZ 17 U 245/97d-19 des Bezirksgerichtes Klagenfurt) geäußerte Rechtsansicht, wonach nachträgliches Bekanntwerden der Voraussetzungen des § 31 StGB nicht zu nachträglicher Milderung der Strafe berechtige, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 31a Abs 1 StGB.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit (in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 3. Dezember 1997, GZ 17 U 245/97d-12, welches mit Ablauf des 9. Dezember 1997 in Rechtskraft erwuchs (ON 13), wurde Mario S***** wegen des am 13. April 1997 begangenen Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 150 S (Ersatzfreiheitsstrafe 20 Tage) verurteilt, welche er am 29. Dezember 1997 bezahlte.

Zuvor, nämlich am 27. Oktober 1997, war er vom Landesgericht Klagenfurt wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung als Bestimmungstäter nach §§ 12 zweiter Fall, 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 220 Tagessätzen zu 80 S (Ersatzfreiheitsstrafe 110 Tage) verurteilt worden (GZ 13 E Vr 1048/97-22). Dieses Urteil wurde (zufolge sowohl vom Verurteilten als auch von der Staatsanwaltschaft erhobener Berufungen) erst durch das (bestätigende) Erkenntnis des Oberlandesgerichtes Graz vom 2. Feber 1998, AZ 9 Bs 552/97, rechtskräftig (ON 31).

Mit Schriftsatz vom 16. Feber 1998 beantragte Mario S***** als nachträgliche Strafmilderung die über ihn vom Bezirksgericht Klagenfurt verhängte Strafe aufzuheben und mit Beschluß auszusprechen, daß über ihn in diesem Verfahren keine Zusatzstrafe verhängt wird (Punkt 1 und 2 in GZ 17 U 245/97d-15), "gegenüber dem Strafregisteramt festzustellen", daß die oben genannten Verurteilungen zueinander im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB stehen (Punkt 3), und ihm die bereits gezahlte Geldstrafe rückzuüberweisen (Punkt 4).

Mit Beschluß vom 31. März 1998 wies das Bezirksgericht Klagenfurt diesen Antrag mit der Begründung ab, daß eine nachträgliche Milderung der Strafe nicht mehr in Betracht komme, wenn - wie im gegenständlichen Fall - der Verurteilte das Strafübel bereits verspürt habe (ON 16).

Der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde (ON 17) des Verurteilten wurde vom Landesgericht Klagenfurt mit Beschluß vom 19. Mai 1998, AZ 7 Bl 71/98 (= GZ 17 U 245/97d-19 des Bezirksgerichtes Klagenfurt) nicht Folge gegeben, wobei die Beschwerderichter den Standpunkt vertraten, eine analoge Anwendung der Bestimmung des § 31a StGB für die beantragte nachträgliche Strafmilderung komme deshalb nicht in Betracht, weil die (nachträgliche Aufdeckung der) Nichtanwendung der §§ 31, 40 StGB nicht jenen Umständen zuzurechnen sei, die in Ansehung der ausgesprochenen Strafe, ohne daß der angewendete Strafsatz dadurch berührt werde, eine mildere Behandlung des Täters herbeiführen könnten.

Nach Ansicht des Generalprokurators stehen beide Beschlüsse mit dem Gesetz nicht in Einklang. Dies mit nachstehender Begründung:

Die erwähnten Verurteilungen des Mario S***** stehen zueinander im Verhältnis des § 31 StGB. Die Bedachtnahme im bezirksgerichtlichen Urteil auf die frühere (landesgerichtliche) Verurteilung unterblieb vorerst allerdings zu Recht, weil letzteres Urteil zum Zeitpunkt des Urteils des Bezirksgerichtes noch nicht in Rechtskraft erwachsen war (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 31 RN 14).

Bei Abweisung des nach Rechtskraft beider Entscheidungen unter ("analoger") Bezugnahme auf § 31a StGB eingebrachten Antrages des Mario S***** auf nachträgliche Strafmilderung übersah das Bezirksgericht Klagenfurt jedoch, daß es zur Vermeidung von - selbst im falle einer Bagetellverurteilung im Sinn des § 4 Abs 3 TilgG (idF des StRÄG 1996) denkmöglichen (siehe insbesondere § 6 Abs 6 letzter Satz TilgG) - tilgungsrechtlichen Nachteilen, die dem Verurteilten aus der dem § 4 Abs 5 TilgG zuwiderlaufenden Wertung der Urteile als gesondert ergangene Verurteilungen erwachsen könnten, bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 31, 40 StGB eines die verhängte Strafe als Zusatzstrafe deklarierenden Ausspruchs bedarf (vgl 14 Os 26, 27/97); dies auch dann, wenn im übrigen - wie vorliegend - die Voraussetzungen einer nachträglichen Strafmilderung verneint werden.

Der (in einem solchen Fall durch keine formlose Benachrichtigung ersetzbare) Beschluß ist gemäß §§ 2 Abs 1 Z 4 lit k, 3 Abs 1 und Abs 3 StRegG dem Strafregisteramt mitzuteilen (vgl abermals 14 Os 26, 27/97).

Das als Rechtsmittelgericht angerufene Landesgericht Klagenfurt hätte daher der Beschwerde des Mario S***** (ON 17) im dargestellten Umfang Folge geben und dem Erstgericht eine entsprechende Mitteilung an das Strafregisteramt auftragen müssen. Im übrigen ist auch die Rechtsansicht des Beschwerdegerichtes verfehlt, wonach das nachträgliche Hervorkommen der Voraussetzungen für die Anwendung der §§ 31, 40 StGB einen Umstand im Sinn des § 31a StGB überhaupt nicht darstellen könne (vgl Mayerhofer StPO4 E 7 und 11 zu § 410).

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Selbst nachträglich entdeckte Nichtigkeit des Sanktionsausspruches nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO erfordert eine Prüfung nach § 410 StPO, welche allerdings nicht unbedingt eine nachträgliche Milderung nach sich ziehen muß (Ratz in WK2 § 31a Rz 10, vgl auch §§ 283 [idF der StGNov 1989], 290 Abs 1 dritter Satz, 467 Abs 3 StPO). So besteht jedenfalls, wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 14 Os 26, 27/97 (= ÖJZ-LSK 1997/200) ausgesprochen hat, die Pflicht, amtswegig auf nachträglich bekannt gewordene (Vor ) Verurteilungen iS der §§ 31, 40 StGB Bedacht zu nehmen. Schon die bloße Feststellung der Tatsache, daß Verurteilungen zueinander im Verhältnis des § 31 StGB stehen, verlangt die Durchführung eines darauf bezogenen Verfahrens. Auch dann, wenn zu einer Reduktion der im Nach-Urteil verhängten Strafe letztlich keine Veranlassung besteht, ist sie nunmehr als Zusatzstrafe zu deklarieren und diese Tatsache dem Strafregisteramt mitzuteilen (§ 5 Abs 1 StRegG), und zwar ungeachtet des Umstandes, daß die fehlende Anwendung der §§ 31, 40 StGB, also die Verhängung einer Sanktion als Zusatzstrafe, keinen tilgungsrechtlichen Nachteil nach sich zieht (Ratz in WK2 § 31 Rz 16).

Solcherart verletzte die in der Begründung der Beschwerdeentscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt geäußerte Rechtsansicht, wonach nachträgliches Hervorkommen der Voraussetzungen des § 31 StGB nicht zu nachträglicher Milderung der Strafe berechtige, das Gesetz in der Bestimmung des § 31a Abs 1 StGB.

Die Tatsache allein, daß die dem Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 3. Dezember 1997 zugrundeliegende Tat "in dem früheren Verfahren" des Landesgerichtes Klagenfurt hätte "abgeurteilt werden können", also eine gemeinsame Verfahrensführung in erster Instanz (vgl zuletzt ÖJZ-LSK 1999/35) möglich gewesen wäre, besagt noch nicht, daß Mario S***** im Zeitpunkt der Verurteilung durch das Bezirksgericht Klagenfurt "bereits zu einer Strafe verurteilt worden" war. Die Anwendung des § 31 StGB setzt vielmehr auch die materielle, "ne bis in idem" bewirkende Rechtskraft des Vor-Urteils (hinsichtlich des Ausspruches über die Strafe) im Zeitpunkt des nachfolgenden Strafausspruches (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO) voraus.

Am 3. Dezember 1997 war aber das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 27. Oktober 1997 noch nicht in Rechtskraft erwachsen. Rechtskraft der Vor-Verurteilung (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO) im Zeitpunkt des nachfolgenden Strafausspruchs kann zwar nachträglich bekannt werden, nicht aber (erst) nachträglich eintreten, womit vorliegend eine nachträgliche Milderung der Strafe nach § 31a Abs 1 StGB im Verfahren AZ 17 U 245/97 des Bezirksgerichtes Klagenfurt nicht in Betracht kommt.

Wohl aber waren im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung in dem zu AZ 13 E Vr 1048/97 des Landesgerichtes Klagenfurt geführten Verfahren die Voraussetzungen des § 31 Abs 1 erster Satz StGB angesichts der bereits rechtskräftigen Verurteilung des Angeklagten durch das Bezirksgericht Klagenfurt vom 3. Dezember 1997, AZ 17 U 245/97d, gegeben (vgl Ratz aaO § 31 Rz 2 f, 5), womit § 31a Abs 1 StGB in diesem Verfahren zur Anwendung gelangen haben wird (vgl Ratz aaO § 31a Rz 11).

Rechtssätze
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  • RS0107405OGH Rechtssatz

    24. April 2013·3 Entscheidungen

    Nach der durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl 1996/762, geänderten Rechtslage kann die gesetzwidrige Nichtanwendung der §§ 31, 40 StGB schon vom Erstgericht - auf Antrag oder von Amts wegen - im Wege über das in § 410 StPO neue Fassung geregelte Verfahren zur Vermeidung eines tilgungsrechtlichen Nachteils für den Verurteilten (§ 4 Abs 4 TilgG) saniert werden, und zwar auch dann, wenn nach Prüfung der Voraussetzungen des § 31 a StGB hervorkommt, dass zu einer nachträglichen Strafmilderung (letztlich doch) kein Anlass besteht. In einem solchen Fall hat das Gericht (im kollegialgerichtlichen Verfahren der Dreirichtersenat - siehe § 13 Abs 3 neue Fassung beziehungsweise § 14 Abs 2 StPO) auszusprechen, dass auch unter Bedacht auf die erst nachträglich bekannt gewordene (oder übersehene), im Verhältnis des § 31 StGB stehende Verurteilung zu einer nachträglichen Milderung der spruchmäßig nunmehr als Zusatzstrafe zu deklarierenden Strafe kein Anlass besteht. Diesen Beschluss hat das Gericht gemäß §§ 2 Abs 1 Z 4 lit k, 3 Abs 1 und Abs 3 StRegG dem Strafregisteramt mitzuteilen. Eine Berichtigung des Strafregisters durch eine formlose Mitteilung im Sinne des § 5 Abs 1 StRegG kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht. Eine Berichtigung hat zur Voraussetzung, dass die im Strafregister enthaltenen Angaben über eine Verurteilung unrichtig sind, also die Eintragung nicht mit dem Entscheidungsinhalt übereinstimmt. Ist aber der dokumentierte Entscheidungsinhalt selbst unrichtig, so bedarf es zunächst der prozessordnungsgemäßen korrigierenden Entscheidung eines zuständigen Richters (eben § 410 StPO; sonst §§ 33, 292; §§ 353 ff oder §§ 363a ff StPO).