JudikaturJustiz14Os41/12d

14Os41/12d – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Perovic als Schriftführer in der Auslieferungssache von Mihael K***** und Alenka K*****, AZ 8 HR 255/11f des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag der betroffenen Personen auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Aufgrund eines Auslieferungs- und Festnahmeersuchens des US Department of Justice vom 3. August 2011 wurden Mihael K***** und Alenka K***** am 27. Dezember 2011 festgenommen; am folgenden Tag verhängte das Landesgericht Klagenfurt über beide die Auslieferungshaft (ON 13 f). Mit Beschlüssen jeweils vom 11. Jänner 2012, GZ 8 HR 255/11f 32 und 33, wurde die Auslieferung zur Strafverfolgung von Mihael K***** und Alenka K***** für zulässig erklärt und jeweils die Auslieferungshaft fortgesetzt. Dagegen erhoben beide betroffene Personen Beschwerde, wobei sie mit (in den HR Akten nicht einjournalisierter, jedoch im VJ Register ersichtlicher) Note an das Oberlandesgericht Graz vom 13. Februar 2012 ausdrücklich erklärten, nicht die Fortsetzung der Auslieferungshaft, sondern lediglich die Erklärung der Zulässigkeit der Auslieferung zu bekämpfen. Mit Beschluss vom 6. März 2012, AZ 9 Bs 48/12w, 49/12t (ON 90 der HR-Akten), gab das Oberlandesgericht Graz diesen Beschwerden nicht Folge.

Das Beschwerdegericht ging davon aus, dass den betroffenen Personen mit Anklageschrift des Bundesbezirksgerichts der Vereinigten Staaten, Gerichtsbezirk Massachusetts, vom 3. März 2010, Nr 10 CR 10.063 DPW, vorgeworfen wird, von Mai 2000 bis etwa April 2008 „sich wissentlich und absichtlich zusammengeschlossen, verschworen, verbündet und gemeinsam einverstanden erklärt zu haben, um die Verbrechen (1./) der Verschwörung zur Geldwäsche (Verstoß gegen Titel 18, United States Code § 1956 (a) (2) (A) und (h)), (2./) der Verschwörung zum Vertrieb von anabolen Steroiden in den Vereinigten Staaten (Verstoß gegen Titel 21, United States Code § 846) und (3./) der Verschwörung zur Einfuhr von anabolen Steroiden in die Vereinigten Staaten (Verstoß gegen Titel 21, United States Code § 963) begangen zu haben“. Zu den Punkten 2 und 3 dieser Anklageschrift werde den betroffenen Personen insbesondere angelastet, anabole Steroide „über zahlreiche konkret angeführte Internetseiten“ vertrieben, in die USA eingeführt und dort „mit einem ‚Verdienst‘ in den Jahren 2000 bis 2008 von über 50.000.000 US-Dollar“ verkauft zu haben, wobei dieses Verhalten angesichts der angegebenen Mengen in Verkehr gesetzter (in der Anklageschrift einzeln bezeichneter) Substanzen nach österreichischem Recht § 22a Abs 1 Z 1, Abs 3, Abs 4 Z 2 und Abs 5 (zweiter Fall) Anti Doping Bundesgesetz 2007 (kurz: ADBG) zu subsumieren sei (BS 2 ff).

Dagegen richtet sich der als „Grundrechtsbeschwerde“ bezeichnete Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO beider betroffener Personen, mit welchem nominell eine Verletzung von Art 3, 5 und 8 MRK sowie Art 4 des 7. ZPMRK geltend gemacht wird.

Rechtliche Beurteilung

Soweit die Antragsteller beiderseitige Strafbarkeit (vgl Art 2 Abs 1 des Auslieferungsvertrags zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, BGBl III 1999/216 idF BGBl III 2010/5; kurz: Auslieferungsvertrag USA) und lediglich in Bezug auf Alenka K***** hinreichenden Tatverdacht bestreiten und damit ausdrücklich das Fehlen der Voraussetzungen für die Verhängung der Auslieferungshaft einwenden, übersehen sie, dass sich die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Graz ausschließlich mit der Zulässigkeit der Auslieferung, nicht hingegen mit der nach dem Vorgesagten nicht bekämpften (zwischenzeitig zudem am 14. März und 19. April 2012 aufgehobenen) Auslieferungshaft befasst und solcherart in das von Art 5 MRK gewährleistete Grundrecht gar nicht eingreift (RIS-Justiz RS0116089, RS0117728 [T10]). Soweit der als „Grundrechtsbeschwerde“ bezeichnete Antrag auch das (ursprüngliche) Vorliegen der Haftvoraussetzungen in Frage stellt, macht er somit der Sache nach eine Verletzung dieses Grundrechts durch die bekämpfte Entscheidung nicht geltend (13 Os 156/11g; 13 Os 47/11b, 54/11g). Im Übrigen wäre ein solches Vorbringen weil die Fortsetzung der Auslieferungshaft nicht mit Haftbeschwerde bekämpft wurde auch im Rahmen einer Grundrechtsbeschwerde wegen fehlender Erschöpfung des Instanzenzugs zum Scheitern verurteilt (§ 1 Abs 1 GRBG; RIS-Justiz RS0114487, RS0061031).

Lediglich der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass die Ansicht des Beschwerdegerichts, das den betroffenen Personen angelastete Verhalten wäre nach österreichischem Recht § 22a Abs 1 Z 1, Abs 3, Abs 4 Z 2 und Abs 5 zweiter Fall ADBG zu subsumieren, auch wenn (wie von den Antragstellern eingewendet) das Tatbestandsmerkmal „zu Zwecken des Dopings im Sport“ in den Auslieferungsunterlagen nicht explizit erwähnt wird, keinen Bedenken begegnet. Die vollständige Überdeckung der in Rede stehenden strafrechtlichen Tatbestände im ersuchenden und ersuchten Staat ist keineswegs Voraussetzung der Auslieferung (vgl Art 2 Abs 4 lit a Auslieferungsvertrag USA; 12 Os 15/10p). Zudem ist das genannte Merkmal des österreichischen Tatbestands nach den Gesetzesmaterialien weit auszulegen und dient insbesondere auch der Abgrenzung inkriminierter Handlungen vom (erlaubten) Vertrieb derartiger Substanzen als Arzneimittel zu medizinischen Zwecken (ErläutRV 561 BlgNR 23. GP 6 f). Auf das Fehlen einer „ärztlichen Erlaubnis“ für den Import und die Verteilung von Anabolika stellen übrigens auch die dem Auslieferungsersuchen zu Grunde gelegten Bestimmungen des amerikanischen Strafrechts ab (vgl ON 32 S 3 und S 3 der Beilage D zu ON 2). Dass aus den Auslieferungsunterlagen nicht schlüssig (vgl 13 Os 15/12y zum Prüfungsmaßstab im Auslieferungsverfahren) die Erfüllung des genannten österreichischen Tatbestands abgeleitet werden kann, vermag der Antrag nicht darzulegen. Zudem sind die von den Antragstellern angebotenen Beweismittel, nämlich die Aussage des Mihael K***** und (ergänzende) Auslieferungsunterlagen, „die von dem ersuchenden Staat noch vorgelegt werden müssen“, unter Berücksichtigung des im Auslieferungsverfahren geltenden formellen Prüfungsprinzips nicht geeignet, erhebliche Bedenken im Sinn des § 33 Abs 2 ARHG gegen den Alenka K***** treffenden (hinreichenden) Tatverdacht zu wecken (RIS-Justiz RS0125233; Murschetz , Auslieferung und Europäischer Haftbefehl 127 f und 292 ff).

Eine Grundrechtsverletzung durch behauptete Verjährung der vorgeworfenen Taten nach österreichischem Recht wird nicht mit Bestimmtheit geltend gemacht (RIS Justiz RS0124359). Im Übrigen stünde Verjährung der Strafbarkeit im ersuchten Staat gemäß Art 7 Auslieferungsvertrag USA einer Auslieferung nicht entgegen. Da diese zwischenstaatliche Vereinbarung in Bezug auf Verjährung eine (abschließende) Regelung trifft (vgl § 1 ARHG), kommt die subsidiäre Vorschrift des § 18 ARHG nicht zur Anwendung ( Göth-Flemmich in WK 2 ARHG § 1 Rz 4 und § 18 Rz 1).

Nach Ansicht der Antragsteller würde durch eine Auslieferung Art 3 MRK verletzt, weil ihnen zufolge des in den USA geltenden Kumulationsprinzips eine Freiheitsstrafe von höchstens 40 Jahren, somit eine „disproportional hohe Strafe“ drohe. Zwar kann eine Auslieferung für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung bedeuten, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person der tatsächlichen Gefahr einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung im Empfangsstaat ausgesetzt sein könnte (RIS-Justiz RS0123201). Da aber Fragen des geeigneten Strafmaßes grundsätzlich außerhalb des Anwendungsbereichs der Konvention liegen, ist auch der EGMR bei der Annahme einer (lediglich) aus der zu erwartenden Strafhöhe resultierenden Gefahr im Sinn des Art 3 MRK sehr zurückhaltend (EGMR 17. 1. 2012, Vinter ua, Nr 66.069/09) und akzeptiert einen großen Beurteilungsspielraum unterschiedlicher Strafrechtsordnungen in dieser kriminalpolitischen Frage. Bisher entschiedene Fälle betrafen im Wesentlichen bloß drohende Todesstrafe oder lebenslange Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung (EGMR 7. 7. 1989, Soering , Nr 14.038/88; jüngst auch 17. 1. 2012, Harkins und Edwards , Nr 9.146/07 und 32.650/07; vgl insgesamt zu den Kriterien dieser Rechtsprechung: Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 20 Rz 30 f und 42 ff; Meyer-Ladewig , EMRK 3 Art 3 Rz 57 und 62). Zudem hat der Antragsteller nicht bloß die Möglichkeit einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung, sondern die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr schlüssig nachzuweisen, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss (RIS-Justiz RS0123229). Diesen Anforderungen entspricht das Antragsvorbringen nicht, denn es beschränkt sich auf einen unter dem Blickwinkel des Art 3 MRK (anders als nach § 16 Abs 3 ARHG) nicht entscheidenden Vergleich der abstrakten Höchststrafdrohungen nach österreichischem und amerikanischem Recht, wobei die vom Beschwerdegericht zu Grunde gelegte Subsumtion konsequent übergangen wird und eine Erörterung der konkreten Umstände des Falls unterbleibt. Dass die Antragsteller bei einer Verurteilung wegen der ihnen vorgeworfenen (nach den Annahmen des Beschwerdegerichts ohnehin schwerwiegenden) Straftaten tatsächlich eine im Sinn der Rechtsprechung des EGMR „grob unverhältnismäßige“ Strafe zu befürchten hätten, wird nicht einmal behauptet.

Inwiefern aus der Auslieferung eine Verletzung des Art 8 MRK resultieren könnte, wird nicht näher ausgeführt. Persönliche oder familiäre Bindungen der Antragsteller in Österreich von (unter diesem Aspekt) beachtlicher Intensität (vgl RIS-Justiz RS0123230; Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 22 Rz 66 f; Meyer-Ladewig , EMRK 3 Art 8 Rz 65 ff) sind dem Antrag nicht zu entnehmen.

Art 4 des 7. ZPMRK schützt schließlich nur vor innerstaatlicher Doppelverfolgung, entfaltet demnach keine zwischenstaatliche Geltung (vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 24 Rz 147) und wird als Grundrecht von einer Auslieferungsentscheidung gar nicht tangiert (vgl aber Art 6 Auslieferungsvertrag USA, dessen Einhaltung von den Untergerichten sehr wohl zu prüfen war). Im Übrigen betraf das in diesem Zusammenhang ins Treffen geführte, gemäß § 109 StPO idF vor BGBl I 2004/19 eingestellte Verfahren, AZ 10 Ur 134/05t des Landesgerichts Klagenfurt, selbst nach dem Antragsvorbringen bloß einen Teil der im Auslieferungsverfahren gegenständlichen Vorwürfe. Weshalb eine Auslieferung wegen der vom behaupteten Verfolgungshindernis nicht betroffenen Taten unzulässig sein soll, erklärt der Antrag nicht.

Dieser war daher soweit er der Sache nach eine Verletzung des Art 5 MRK thematisiert als unzulässig, im Übrigen als offenbar unbegründet (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO) zurückzuweisen.

Schließlich übersieht die „Anregung“, die angefochtene Entscheidung auf ihre Vereinbarkeit mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (kurz: GRC) zu prüfen, dass Voraussetzung einer derartigen Prüfung im hier maßgeblichen Zusammenhang die „Durchführung des Rechts der Union“ wäre (Art 51 Abs 1 GRC). Vollziehung unmittelbar wirksamen Unionsrechts oder mitgliedstaatlicher Umsetzungsvorschriften (durch die Unterinstanzen) im Sinn der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union steht hier jedoch nicht in Rede (anders im Asylverfahren, welches dem vom Antragsteller zitierten Erkenntnis des VfGH vom 14. März 2012, U 466/11, U 1836/11 vgl insbesondere Rz 47 ff, zu Grunde lag).

Rechtssätze
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