JudikaturJustiz14Os31/96

14Os31/96 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Juni 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Juni 1996 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichts- hofes Mag.Strieder, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richter- amtsanwärterin Mag.Fostel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christine R***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Christine R***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 23. November 1995, GZ 2 a Vr 3.623/95-48, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in Ansehung der Angeklagten Christine R***** aufgehoben und im Umfang der Aufhebung eine neue Hauptverhandlung vor dem Erstgericht angeordnet.

Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Schuld- und Freisprüche anderer Angeklagter enthält, wurde Christine R***** des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil sie vom 7.September bis 16.Dezember 1994 in Wien als Bedienstete der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, sohin als Beamter (§ 74 Z 4 StGB) mit dem Vorsatz, dadurch andere in ihrem Recht auf Geheimhaltung der sie betreffenden personenbezogenen Daten (§§ 1 Abs 1, 7 Abs 3 DSG) zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, somit einer Person des öffentlichen Rechtes, als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, durch Abfrage und Weitergabe verschiedener personenbezogener Daten hinsichtlich Margarete P***** (A/1) sowie weiterer Personen, ua Pedrag L***** (A/2), wissentlich mißbraucht hat.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen war die Angeklagte als langjährige Bedienstete der Pensions- versicherungsanstalt der Arbeiter, Landesstelle Wien, bis Mitte Dezember 1994 mit verschiedenen, im Urteil näher beschriebenen (US 7) Aufgaben im Rahmen der Erstbearbeitung von Pensionsanträgen, unter anderem deren maschineller Datenerfassung und der Ergänzung und Überprüfung der Katasterdaten befaßt und hatte dabei Zugang sowohl zum Zentralkataster dieser Anstalt als auch zur Datei des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungs- träger.

Weil sich Johann und Karl Pe***** mit der mit ihnen befreundeten Margarete P*****, von der sie wußten, daß sie einen Pensionsantrag gestellt hatte, einen Scherz erlauben wollten, traten sie über Gabriele F*****, der Schwester der Angeklagten, an diese mit dem Ersuchen heran, ihnen Briefpapier der Anstalt und eine Etikette mit den Daten der Pensionswerberin zu überlassen. Daraufhin stellte die Angeklagte per Computer eine sogenannte Selbstklebeetikette mit Namen, Geburtsdatum und Versicherungsnummer der Margarete P***** her und gab diese an die genannten Personen weiter. Unter Verwendung dieser Unterlagen übermittelte Johann Pe***** sodann an P***** ein als "Bescheid" bezeichnetes vorgebliches Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt, wonach ihr ab 5.Februar 1994 eine Pension von monatlich "620,30 S brutto" unter gleichzeitiger Leistung eines "Nachzahlungsbetrages von 6.500 S" zustehe (A/1).

Überdies führte die Beschwerdeführerin über Ersuchen ihres Sohnes Hans-Siegfried R*****, der als Kleintransportunternehmer selbständig erwerbstätig ist und einerseits von ihr wissen wollte, ob mehrere Personen seines Bekanntenkreises (Karl S*****, Gerlinde B*****, Peter M*****, Leopold Ro***** und Roman Sch*****) noch in seiner Branche selbständig tätig sind, andererseits auch das aktuelle Beschäftigungsverhältnis seiner ehemaligen Freundin Melitta Pi***** und von Elisabeth Sz***** erfahren wollte, computermäßige Datenabfragen durch und gab die so erlangten Daten (Anschrift, Geburtsdatum, Versicherungsnummer, Beschäftigungsverhältnis) an ihren Sohn weiter (A/2).

Dabei war sie sich des Mißbrauchs ihrer Befugnis bewußt, rechnete auf Grund ihrer Kenntnis vom Sinn des Schutzes personenbezogener Daten "im Hinblick auf die von ihr verübte Verletzung schutzwürdiger privater Interessen" ernsthaft mit einer Schädigung der betreffenden Personen an deren in §§ 1 Abs 1, 7 Abs 3 DSG normierten Rechten und fand sich damit auch ab (US 8 bis 10).

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Schuldspruch aus den Gründen der Z 5, 5 a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten kommt Berechtigung zu:

Auch nach dem Inkrafttreten des Datenschutzgesetzes ist die durch unbefugte Weitergabe personen- bezogener Daten bewirkte Verletzung des im § 1 Abs 1 DSG verankerten Grundrechtes auf Datenschutz in subjektiver Hinsicht nur dann dem Tatbestand des § 302 StGB zu unterstellen, wenn der Täter bei der wissentlich mißbräuchlichen Datenweitergabe mit Schädigungsvorsatz handelt. Das ist dann der Fall, wenn er es zumindest ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, dadurch schutzwürdige Interessen des Betroffenen tatsächlich zu verletzen (idS auch EvBl 1994/164). Handelt er demgegenüber mit Gefährdungs- vorsatz, weil er sein Verhalten bloß für geeignet hält, derartige Interessen zu verletzen, kommt lediglich § 310 StGB in Betracht. Denn das Grundrecht auf Datenschutz gilt nicht absolut, sondern nur im Umfang schutzwürdiger Interessen, deren Vorliegen zusätzlich zur mißbräuchlichen Datenweitergabe unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalles nach einem objektiven Maßstab zu prüfen und festzustellen ist (Triffterer, StGB, System und Praxis II § 310 RN 48 bis 54; Leukauf-Steininger Komm3 § 310 RN 8 und 22).

Zu Recht wendet die Beschwerdeführerin zunächst ein (Z 9 lit a), daß ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse nach dem Urteilssachverhalt teils zu verneinen ist, teils die insoweit zu einer abschließenden rechtlichen Beurteilung erforderlichen Feststellungen fehlen.

Wegen des Gebotes der Anlegung eines objek- tiven Beurteilungsmaßstabes kann es im Gegensatz zur Beschwerdeauffassung im gegebenen Zusammenhang zwar weder darauf ankommen, daß Margarete P***** nachträglich ein subjektives Geheimhaltungsinteresse verneint hat, noch darauf, welchen Nutzen die Datenempfänger aus dem Geheimnisbruch zogen. Es kann aber nicht unbeachtet bleiben, ob und inwieweit die weitergegebenen Daten überhaupt geheim waren, was jedenfalls dann nicht der Fall ist, wenn sie den Empfängern entweder bekannt oder allgemein zugänglich waren, wie etwa Daten in Telefon- oder Adreßbüchern (Duschanek, Datenschutz in der Wirtschaft, S 25). Nach der Aktenlage trifft dies jedenfalls in allen Fällen auf die Anschrift der Betroffenen zu, hinsichtlich Margarete P***** auch auf das Geburtsdatum (s S 310). Mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Hans-Siegfried R***** als Kaufmann einen Anspruch darauf hatte, zu erfahren, welche seiner Bekannten nach wie vor in derselben Branche wie er selbständig tätig sind, hat sich das Erstgericht rechtsirrtümlich gleichfalls nicht auseinandergesetzt. War dies nämlich der Fall, zB durch Einsichtnahme in das zentrale Gewerberegister oder die bei der Handelskammer branchenweise geführten Aufzeichnungen, könnte ihm gegenüber von einer Verletzung schutzwürdiger Interessen der Betroffenen im Sinne des § 1 Abs 1 DSG nicht gesprochen werden. In diesem Zusammenhang hätte das Erstgericht auch darzulegen gehabt, aus welchen Gründen Hans-Siegfried R***** unbekannt gewesen sein sollte, ob Elisabeth Sz***** noch bei der Funkzentrale beschäftigt ist, hat er doch seinen unwidersprochen gebliebenen Angaben zufolge täglich mit ihr dort zusammengearbeitet (S 305, 309).

Im Sinne des Beschwerdevorbringens trifft es weiters zu, daß hinsichtlich der - lediglich im Urteilsspruch angeführten - Weitergabe von Daten des Pedrag L***** überhaupt keine Feststellungen getroffen wurden. Dieser Mangel ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil schon in dem auf die Befragung der Angeklagten vom 22. Dezember 1994 bezugnehmenden Bericht der Innenrevision der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 28.Dezember 1994 (S 33 f) als Abfragegrund die Überprüfung der Anmeldung des bei ihrem Sohn beschäftigten Pedrag L***** beim zuständigen Krankenversicherungsträger angeführt ist (S 37). In der Hauptverhandlung behauptete Hans-Siegfried R***** (in Übereinstimmung mit der Verantwortung der Angeklagten), L***** sei ein Angestellter von ihm, er wisse alles von ihm, was er brauche (S 291, 301). Diese aktenkundigen Tatumstände hat das Erstgericht nicht berücksichtigt, obwohl sie dem Geheimnischarakter der Daten widersprechen.

Dies bewirkt zudem (zu A/2) eine mangelhafte Begründung der - entgegen der insoweit leugnenden Verantwortung der Angeklagten - festgestellten Datenweitergabe. Denn die vom Erstgericht dafür allein ins Treffen geführte Interessenlage des Hans-Siegfried R*****, die sich ihrer Art nach weder auf die Anschrift der Betroffenen noch auf deren Geburtsdatum und Versicherungsnummer bezieht, sodaß in diesem Umfang eine Begründung überhaupt fehlt, kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn dem Datenempfänger die betreffenden Daten ohnehin bekannt oder ohne weiteres feststellbar waren.

Die Beschwerde (Z 5) ist auch insoweit berechtigt, als das Schöffengericht eine Begründung für die der Aktenlage (vgl S 15 f, 23 f iVm S 47) - im übrigen auch dem Urteilsspruch - widersprechende Konstatierung (zu A/1) schuldig blieb, Johann P***** habe für den "Bescheid" die von der Angeklagten weitergegebenen Daten über Versicherungszeiten, Pensionsanspruch und Pensionshöhe verarbeitet (US 9).

Schließlich ist auch der Einwand unzureichender Begründung (Z 5) des Schädigungsvorsatzes berechtigt.

Der auf eine tatsächliche Verletzung schutzwürdiger Interessen gerichtete (bedingte) Schädigungsvorsatz der Beschwerdeführerin (im Sinne der einleitenden Ausführungen) ist im Urteil zwar festgestellt (US 10), das Erstgericht ging jedoch im Widerspruch dazu in seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, daß die Angeklagte die Datenweitergabe bedingt vorsätzlich zur Interessenverletzung für bloß geeignet hielt (US 13). Ersichtlich auf diese - die Abgrenzung zu § 310 StGB hindernde (siehe oben) - Unschärfe ist es zurückzuführen, daß die Tatrichter den lapidaren Hinweis auf die Kenntnis der Angeklagten vom Sinn des Datenschutzes als Begründung für den Schädigungsvorsatz für ausreichend erachteten.

Dies ist jedoch nicht der Fall:

Ungeachtet der von der Angeklagten einbe- kannten (formalen) Verletzung des § 1 Abs 1 DSG hat sie die damit intendierte Schädigung der Betroffenen, welche fallbezogen - vor allem hinsichtlich des Schuldspruchfaktums A/1 - auch nicht naheliegend ist, von Anfang an in Abrede gestellt (S 43, 100, 299) und insbesondere darauf verwiesen, daß die Daten hinsichtlich Margarete P***** in deren Freundeskreis verbleiben und lediglich für einen ihr nicht näher bekannten "Scherz" verwendet werden sollten.

Mag auch in objektiver Hinsicht - nach der derzeitigen Aktenlage - zumindest hinsichtlich der Versicherungsnummer wegen der Mißbrauchsgefahr ein schutzwürdiges Interesse der Betroffenen bestehen, ist dessen tatsächliche Verletzung aus subjektiver Sicht auf Grund der Tatmodalitäten nicht ohne weiteres erkennbar, weshalb das Urteil Gründe dafür anzugeben gehabt hätte, warum es dennoch den darauf gerichteten Vorsatz der Beschwerdeführerin bejahte.

Aus den aufgezeigten Gründen erweist sich eine Neudurchführung des Verfahrens in erster Instanz als unumgänglich (§ 285 e StPO).

Damit ist die Berufung der Angeklagten gegenstandslos.

Rechtssätze
3