JudikaturJustiz14Os20/99

14Os20/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. März 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. März 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Ratz, Dr. Philipp und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Gutschi als Schriftführer, in der Strafsache gegen Alfred H***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 1 U 48/97a des Bezirksgerichtes Silz, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil und den Beschluß auf Widerruf einer bedingten Entlassung vom 12. September 1997 (ON 51), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Mag. Knibbe, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 1 U 48/97a des Bezirksgerichtes Silz wurde das Gesetz verletzt

1. durch das Urteil vom 12. September 1997 (ON 51) soweit Alfred H***** des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB auch wegen im Jahr 1997 gelegener Tatzeiträume verurteilt wurde, in dem in §§ 451 Abs 1 letzter Satzteil, 454 und 459 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK;

2. durch den Beschluß vom 12. September 1997 (ON 51), mit dem die bedingte Entlassung des Alfred H*****, GZ 21 BE 65/97-6 des Landesgerichtes Innsbruck, widerrufen wurde, in den Bestimmungen des § 494a Abs 1 Z 4 und Abs 3 StPO.

Es werden das unter Punkt 1 bezeichnete Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB (II/1 und 2) teilweise, nämlich hinsichtlich der Tatzeiträume im Jahr 1997 und demgemäß auch im Strafausspruch sowie der unter Punkt 2 bezeichnete Widerrufsbeschluß aufgehoben und dem Erstgericht insoweit die neue Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Bezirksgerichtes Silz vom 12. September 1997, GZ 1 U 48/97a-51, wurde Alfred H***** in Abwesenheit (§ 459 StPO) ua des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB gegenüber der minderjährigen Jasmin H***** in der Zeit von Oktober 1994 bis November 1994, Feber 1995 bis 9. August 1995, Oktober 1995 bis 9. November 1995, Dezember 1995 bis 15. August 1996 und Juli 1997 bis 12. September 1997, sowie gegenüber dem minderjährigen Patrick Ö***** in der Zeit von Oktober 1994 bis November 1994, Feber 1995 bis 9. August 1995, Oktober 1995 bis 9. November 1995, Dezember 1995 bis 11. Oktober 1996 und von August 1997 bis 12. September 1997 schuldig erkannt.

Unter einem wurde seine mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Vollzugsgericht vom 19. Feber 1997, GZ 21 BE 65/97-6, verfügte bedingte Entlassung widerrufen.

Rechtliche Beurteilung

Das Abwesenheitsurteil und der Widerrufsbeschluß stehen - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetztes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Wegen der in den oben näher bezeichneten Zeiträumen im Jahr 1997 begangenen Verletzung der Unterhaltspflicht wurde nämlich der Bestrafungsantrag vom Bezirksanwalt erst in der in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung vom 12. September 1997 ausgedehnt. Die Sonderbestimmungen des § 263 StPO über die Anklageausdehnung in der Hauptverhandlung kommen aber nur dann zum Tragen, wenn die Verhandlung in Gegenwart des Beschuldigten stattfindet (so schon SS 17/116). Kommt hingegen in einer in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht eine neue Tat hervor, so hat der Ankläger, wenn er sie verfolgen will, gemäß der allgemeinen Vorschrift des § 451 Abs 1 StPO einen schriftlichen Bestrafungsantrag nachzutragen.

War somit schon die Anklageausdehnung zu Protokoll formell verfehlt, so war erst recht die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil der Beschuldigte solcherart im Verfahren niemals Gelegenheit hatte, zum erweiterten Anklagevorwurf Stellung zu nehmen. Durch das insoweit gepflogene Verfahren und das darüber erlassene Urteil wurde daher das Gesetz in dem in §§ 451 Abs 1 letzter Satzteil, 454 und 459 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK (nicht bloß in der Bestimmung des § 459 StPO) verletzt.

Beim Widerruf der bedingten Entlassung hinwieder hat das Bezirksgericht § 494a Abs 1 Z 4 und Abs 3 StPO verletzt, weil es Alfred H***** auch dazu nicht hörte.

Eines Ausspruches des Bezirksgerichtes, daß die Entscheidung über den Widerruf dem Gericht vorbehalten bleibt, dem sonst die Entscheidung zukäme - wie ihn die Generalprokuratur in Analogie aus § 494a Abs 2 letzter Satz StPO verlangt - bedurfte es allerdings nicht, weil diese Bestimmung ausdrücklich nur auf die Fälle des § 494a Abs 2 erster und zweiter Satz StPO beschränkt ist und eine zu Analogie Anlaß gebende planwidrige Regelungslücke ersichtlich (arg "sonach") nicht vorliegt. Die Entscheidungskompetenz geht vielmehr ex lege auf das in § 495 Abs 1 StPO bezeichnete Gericht über, ohne daß es einer Vorbehaltsentscheidung - deren Fehlen übrigens auch in den gesetzlich vorgesehenen Fällen (§ 494a Abs 2 erster und zweiter Satz StPO) sanktionslos ist - bedarf (SSt 60/17, EvBl 1992/130; gegenteilig: RZ 1999/17, 11 Os 70/94; Foregger/Kodek StPO7 Anm IV zu § 494a).

Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen gereichten dem Beschuldigten zum Nachteil, weshalb die partielle Verfahrenserneuerung anzuordnen war (§ 292 letzter Satz StPO).

Rechtssätze
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  • RS0111828OGH Rechtssatz

    14. Dezember 2023·3 Entscheidungen

    Unzulässigkeit im Abwesenheitsverfahren. Verletzung des rechtlichen Gehörs. Wurde im Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht der Bestrafungsantrag erst in der in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung auf einen weiteren Deliktszeitraum ausgedehnt, so ist die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil die Sonderbestimmungen des § 263 StPO über die Anklageausdehnung in der Hauptverhandlung nur dann zum Tragen kommen, wenn die Verhandlung in Gegenwart des Beschuldigten stattfindet (so schon SSt 17/116). Kommt hingegen in einer in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht eine neue Tat hervor, so hat der Ankläger, wenn er sie verfolgen will, gemäß der allgemeinen Vorschrift des § 451 Abs 1 StPO einen schriftlichen Bestrafungsantrag nachzutragen. War somit schon die Anklageausdehnung zu Protokoll formell verfehlt, so war erst recht die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil der Beschuldigte solcherart im Verfahren niemals Gelegenheit hatte, zum erweiterten Anklagevorwurf Stellung zu nehmen. Durch das insoweit gepflogene Verfahren und das darüber erlassene Urteil wurde daher das Gesetz in dem in §§ 451 Abs 1 letzter Satzteil, 454 und 459 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK (nicht bloß in der Bestimmung des § 459 StPO) verletzt.