JudikaturJustiz14Os19/21g

14Os19/21g – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Juni 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Csencsits in der Strafsache gegen ***** K***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 16. Dezember 2020, GZ 15 Hv 42/20g 112, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** K***** – soweit hier von Bedeutung – des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (A) und des Vergehens der falschen Beweisaussage nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 und 4 StGB (B) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in D*****

A/ vom 11. bis zum 27. September 2017 in 16 Fällen als Bürgermeister der Gemeinde D***** und als Vorsitzender der Gemeindewahlbehörde für die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen vom 1. Oktober 2017 (§ 6 Abs 2 Bgld Gemeindewahlordnung 1992 [kurz: GemWO]), mithin als Beamter im strafrechtlichen Sinn, mit dem Vorsatz, dadurch die im angefochtenen Urteil namentlich angeführten Wahlberechtigten an deren Recht auf persönliche und geheime Ausübung ihres aktiven Wahlrechts (vgl § 1 Abs 2 GemWO) und die Gemeinde D***** an deren Recht auf (ersichtlich gemeint) wahrheitsgemäße Erfassung des Wahlergebnisses zu schädigen, seine Befugnis, im Namen der Gemeinde als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er für die im Urteil genannten Wahlberechtigten, denen er teilweise Wahlkarten ohne vorangegangene Anträge auf deren Ausstellung gebracht hatte, Stimmzettel für die Gemeinderatswahl mit Vorzugsstimmen und für die Bürgermeisterwahl selbst ausfüllte und diese „mit Wahlkarte abgegebenen Stimmen in weiterer Folge am Wahltag ununterscheidbar in die Ermittlung des Wahlergebnisses einbezog“;

B/ zwischen dem 2. Oktober und Ende November 2017 ***** G***** zu bestimmen versucht, als Zeugin in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung vor der Kriminalpolizei oder der Staatsanwaltschaft bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache falsch auszusagen, indem er sie, nachdem über mögliche staatsanwaltschaftliche Ermittlungen im Zusammenhang mit den zu A genannten Wahlen medial berichtet worden war, zu Hause aufsuchte und ihr „nahe legte“, wahrheitswidrig anzugeben, sie habe von sich aus eine Wahlkarte beantragt und sei mit seinem Vorgehen einverstanden gewesen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus den Gründen der Z 5 sowie 9 (richtig: lit) a und b des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

[4] Das Erstgericht ging mit hinreichender Deutlichkeit im Wesentlichen von folgendem Urteilssachverhalt aus:

[5] K***** war im Tatzeitraum Bürgermeister der Gemeinde D*****. Er nahm mit seiner Partei an den Gemeinderatswahlen 2017 teil und kandidierte persönlich bei den gleichzeitig abgehaltenen Bürgermeisterwahlen dieser Gemeinde. Mit dem Ziel, die Zahl der Wählerstimmen für seine Partei und sich selbst zu vergrößern, machte er – soweit hier relevant vorwiegend ältere – Wahlberechtigte auf die Möglichkeit aufmerksam, Wahlkarten zu beantragen. Teils über deren Auftrag, teils ohne vorherige Absprache (vgl aber § 30b Abs 1 GemWO) ließ er in den 16 inkriminierten Fällen Wahlkarten vom Gemeindeamt ausstellen und überbrachte diese den Wahlberechtigten jeweils persönlich. Er ließ die Wahlberechtigten die (außen auf den Wahlkarten angebrachte) eidesstattliche Erklärung (dass sie die „inliegenden Stimmzettel persönlich, unbeobachtet und unbeeinflusst ausgefüllt“ hätten [vgl § 55a Abs 2 GemWO]) unterschreiben, entnahm aber jeweils selbst die Wahlkuverts samt Stimmzettel und füllte diese gemäß seiner Zielsetzung (indem er seinen Namen bei der Bürgermeisterwahl und den seiner Partei bei der Gemeinderatswahl ankreuzte sowie Vorzugsstimmen für sich und seinen Sohn vergab) – teils im Beisein der Wahlberechtigten, teils nachträglich – aus. Jedenfalls nahm er (ersichtlich gemeint) die solcherart unverschlossenen Wahlkarten in seiner Funktion als Bürgermeister entgegen und verwahrte sie bis zum Wahltag (vgl § 55a Abs 3 Z 3 und Abs 4 GemWO). An diesem bezog er sie „ununterscheidbar in die Ermittlung des Wahlergebnisses“ ein, indem er sie erkennbar den jeweiligen Leitern der Sprengelwahlbehörden in einer Weise übergab, dass diese die Wahlkarten nicht als nichtig ausschieden, sondern die darin enthaltenen Stimmzettel in die Wahlurne legten und in die Stimmenzählung aufnahmen (§ 66 Abs 2 bis 6, § 67 Abs 1 Z 5a und Abs 4 GemWO), während er selbst als Leiter der Gemeindewahlbehörde – in Kenntnis der Nichtigkeit der verfahrensgegenständlichen Wahlkarten – die Feststellungen der Sprengelwahlbehörden unbeanstandet ließ und die betroffenen Stimmen bei der Feststellung des Gemeindewahlergebnisses einbezog (§ 68 Abs 2 GemWO).

[6] Der Mängelrüge zu A zuwider blieb die Feststellung, der Beschwerdeführer sei im Tatzeitraum Bürgermeister der Gemeinde D***** gewesen, nicht unbegründet (Z 5 vierter Fall), sondern stützte sich auf dessen eigene Angaben (US 7 und 22 iVm ON 110 S 2 und 5 ff). Die darauf beruhende Ableitung seiner Funktion als Vorsitzender der Gemeindewahlbehörde (§ 6 Abs 2 GemWO) und die Qualifizierung unterlassener Aussonderung nichtiger Wahlkarten als (im Sinn des § 302 Abs 1 StGB tatbildliches) Amtsgeschäft sind rechtlicher Natur, demnach weder Gegenstand von Feststellungen noch der Mängelrüge (RIS Justiz RS0130194 [T4]).

[7] Die Konstatierung, der Beschwerdeführer habe die inkriminierten Wahlkarten „ununterscheidbar in die Ermittlung des Wahlergebnisses“ einbezogen, stützten die Tatrichter auf einen Vergleich dieser (mit der jeweiligen Fundstelle im Akt zitierten) Wahlkarten, welche – im Gegensatz zu anderen, einzeln angeführten – durchwegs keinen Vermerk „nichtig“ aufwiesen, sowie auf die Verantwortung des Beschwerdeführers, der ein „Ausscheiden dieser Wahlkarten“ gar „nicht behauptet“ habe (US 51). Dass diese Begründung den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspräche, vermag die weitere Rüge (Z 5 vierter Fall) nicht darzulegen.

[8] Die Kritik, die Feststellungen zur subjektiven Tatseite seien unbegründet geblieben, nimmt nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe, die eingehende Erwägungen zur Wissentlichkeit und zum Schädigungsvorsatz des Beschwerdeführers samt Auseinandersetzung mit dessen – insoweit mängelfrei als unglaubwürdig verworfener – Verantwortung enthalten (US 30 ff).

[9] Der zu B behauptete Widerspruch (Z 5 dritter Fall) liegt nicht vor, weil die ins Treffen geführten Formulierungen, der Beschwerdeführer „legte“ G***** einerseits „nahe“, als Zeugin bei der Kriminalpolizei oder allenfalls bei der Staatsanwaltschaft wahrheitswidrig auszusagen (US 21), und er habe sie andererseits „durch diese Aufforderung dazu veranlassen“ wollen (US 22), einander nach Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS Justiz RS0117402) keineswegs ausschließen.

[10] Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) nimmt ein weiteres Mal nicht Bezug auf die Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS Justiz RS0119370), die insoweit nicht bloß auf das äußere Tatgeschehen, sondern auf Angaben mehrerer Zeugen verweisen, welche unter anderem Interventionsversuche des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der Zeugenaussage von G***** bestätigt hatten (US 53 ff).

[11] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu A ein Fehlen von Feststellungen dazu, „ob der Angeklagte zum Tatzeitpunkt als Beamter“ und „ob es sich“ beim vorgeworfenen Verhalten um Missbrauch, tatbildliche „Amtsgeschäfte“ vorzunehmen, gehandelt habe, kann zunächst auf die Ausführungen zur Mängelrüge (betreffend den rechtlichen Charakter dieser Fragen) verwiesen werden. Weshalb es sich beim Übernehmen und Verwahren der Wahlkarten durch den Beschwerdeführer als Bürgermeister (vgl § 55a Abs 4 GemWO) sowie beim Überprüfen der Feststellungen der Sprengelwahlbehörden und Verfassen einer Niederschrift durch die Gemeindewahlbehörde unter der Leitung des Beschwerdeführers (§ 68 Abs 2 GemWO) nicht um von diesem im Sinn des § 302 Abs 1 StGB vorzunehmende Amtsgeschäfte handle, erklärt die Rüge nicht (vgl im Übrigen 11 Os 145/85; RIS Justiz RS0129855 [zum Unterlassen gebotener Handlungen als tatbildlichem Befugnisfehlgebrauch]; zum Ganzen Nordmeyer in WK 2 StGB § 302 Rz 19, 89, 112 und 126 [zur Pflicht, privat erworbenes Wissen bei dienstlicher Befassung zu verwerten]).

[12] Unter Berufung auf Aussagen des Beschwerdeführers, er sei von der Zulässigkeit seines Verhaltens ausgegangen, reklamiert die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit b) das Fehlen von Feststellungen dazu, „ob der Angeklagte einem die Schuld ausschließenden Rechtsirrtum nach § 9 StGB unterlegen ist“. Sie spricht damit der Sache nach einen Tatbildirrtum, also einen Irrtum über den sozialen Bedeutungsgehalt des normativen Tatbestandsmerkmals „Befugnismissbrauch“ (RIS Justiz RS0088950 [T3]), an und bekämpft solcherart bloß die – unter Berücksichtigung der gegenteiligen Verantwortung des Beschwerdeführers (US 29 ff) getroffenen – Feststellungen zur Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs (US 20) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung (RIS Justiz RS0118580 [T24 und T25]).

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[14] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die gegen den Strafausspruch gerichtete Berufung (§ 285i StPO).

[15] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.