JudikaturJustiz14Os161/09x

14Os161/09x – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. März 2010

Kopf

Oberste Gerichtshof hat am 2. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klein als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manfred P***** wegen Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 22. September 2009, GZ 41 Hv 119/09w-28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen II und III und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg verwiesen.

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde den Schuldspruch IV betrifft, wird sie zurückgewiesen.

Mit seiner Sanktionsrüge und der Berufung wird der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die Kassation des Strafausspruchs verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe :

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manfred P***** zweier Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I und II), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III) sowie zweier Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (IV) schuldig erkannt.

Danach hat er in Salzburg

(I und II) Maria Z***** in zwei Fällen mit Gewalt zur Duldung der Abnahme ihrer Handtasche genötigt, indem er sie am 20. Mai 2009 von hinten am Hals packte und sie gegen eine Hausmauer drückte (I), ihr am 3. Juni 2009 mehrere Faustschläge gegen den Kopf versetzte, wodurch sie mit dem Kopf gegen die hinter ihr befindliche Hausmauer schlug (II), und ihr sodann jeweils ihre Handtasche entriss;

(III) am 3. Juni 2009 Maria Z***** durch die zu II beschriebene Handlung eine Körperverletzung, nämlich eine Kopfprellung samt einer Rissquetschwunde im linken Bereich des Hinterkopfes, vorsätzlich zugefügt;

(IV) am 17. Juni 2009 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz anderen fremde bewegliche Sachen mit Gewalt wegzunehmen versucht, indem er ihnen jeweils Faustschläge gegen den Kopf versetzte, und zwar

a) Melanie G***** einen Rucksack samt darin befindlicher Wertgegenstände, eine Halskette im Wert von 200 Euro sowie eine Sonnenbrille im Wert von 40 Euro;

b) Sabine K***** eine Handtasche samt darin befindlicher Wertgegenstände und einer Geldbörse sowie Bargeld.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 4, 5, 8 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise berechtigt:

Zutreffend weist die Rüge - ausdrücklich bloß in Bezug auf den Schuldspruch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III) - aus Z 8 des § 281 Abs 1 StPO auf einen Verstoß gegen § 262 StPO durch das Erstgericht hin.

Vorliegend vermochten die Tatrichter für die Unterstellung unter § 142 StGB erforderliche Feststellungen mangels Vorliegens auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatzes nicht zu treffen, hielten jedoch - neben versuchter Nötigung zur Duldung der Wegnahme der Handtasche - eine vorsätzliche Verletzung des Tatopfers durch den Angeklagten für erwiesen. Demzufolge beurteilten sie den vom Anklagefaktum I/b umfassten Sachverhalt - abweichend von der auf das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB gerichteten Anklage - als Vergehen der Nötigung (II) sowie das (bei anklagekonformer Verurteilung verdrängte; vgl Fabrizy , StGB 9 § 83 Rz 5; Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 - 31 Rz 61; vgl zum Ganzen auch 14 Os 84/06v) Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III), sodass es nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Sicherstellung der Verteidigungsrechte nach Art 6 Abs 3 lit a und b MRK der - hier indes nicht erfolgten - Einhaltung der Vorschrift des § 262 StPO bedurft hätte (RIS-Justiz RS0121419, RS0113755; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 545 mwN). Dass die Verteidigung mit Blick auf den veränderten rechtlichen Gesichtspunkt bei entsprechender Information eine andere gewesen wäre, wird im Rechtsmittel mit dem Vorbringen, der Beschwerdeführer hätte sich im Fall gesetzmäßiger Vorgangsweise des Erstgerichts damit verantworten können, dass die - nicht gänzlich bestrittene (ON 17 S 15) - Gewaltausübung oder allfällige Faustschläge bloß Mittel der Nötigung nach § 105 StGB waren und zu keinem Zeitpunkt auch nur der bedingte Vorsatz vorlag, Maria Z***** am Körper zu verletzen, plausibel gemacht. Damit ist das Urteil in der rechtlichen Unterstellung der vom Schuldspruch II umfassten Tathandlung auch unter § 83 Abs 1 StGB (III) wegen Anklageüberschreitung nichtig. Dies führt zu dessen Aufhebung in seinem Schuldspruch III ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 546), sowie weiters - um dem im zweiten Rechtsgang erkennenden Gericht die gebotene Gesamtbeurteilung des Anklagesachverhalts I/b zu ermöglichen (vgl zum nur den Sanktionenbereich betreffenden Verschlechterungsverbot: RIS-Justiz RS0098900; Ratz , WK-StPO § 293 Rz 22 mwN; § 16 StPO) - im Schuldspruch II (§ 289 StPO) und demzufolge auch im Strafausspruch und insoweit zur Verweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht, ohne dass es eines Eingehens auf das übrige, gegen den Schuldspruch III gerichtete Beschwerdevorbringen bedurfte.

Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass - dem auf Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten (der Sache nach Z 10) Rügeeinwand zuwider - zwischen Nötigung und einer dadurch hervorgerufenen leichten Körperverletzung nach ständiger Rechtsprechung stets echte Konkurrenz vorliegt (RIS-Justiz RS0115230; vgl demgegenüber bei den Delikten, bei denen - anders als im Fall des § 105 StGB - der Eintritt schwerer Verletzungsfolgen zu einem höheren Strafsatz führt, erneut: Fabrizy , StGB 9 § 83 Rz 5; Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 - 31 Rz 61).

Nicht im Recht ist die gegen den Schuldspruch wegen Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (IV/a und b) gerichtete Mängelrüge (Z 5).

Mit dem Einwand unvollständiger Begründung (Z 5 zweiter Fall) und Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) in Betreff der Feststellungen zum Nötigungsmittel der Gewalt bezieht sie sich nämlich - auch mit Blick auf die in der Beschwerde angesprochene Bestimmung des § 142 Abs 2 StGB - fallbezogen nicht auf einen für die Feststellung entscheidender Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionsrelevante Tatumstände) erheblichen Umstand.

Nach den hier wesentlichen Urteilsannahmen hat der Angeklagte der sich gegen seine Angriffe zur Wehr setzenden Melanie G***** zunächst einen Faustschlag gegen die sensible Gesichtsregion versetzt und ihr im Zuge der daran anschließenden Rauferei ihre Halskette vom Hals und ihre Sonnenbrille vom Kopf gerissen sowie ihre Handtasche zu entreißen versucht (IV/a) und sodann der stark alkoholisierten Sabine K*****, die sich mit vorgebeugtem Oberkörper auf den Boden gekauert hatte, um ihre Handtasche zu schützen, mehrere Faustschläge gegen den Kopf versetzt (IV/b; US 10). Unabhängig von der in der Beschwerde thematisierten Frage, welche Intensität die den beiden Tatopfern versetzten Schläge aufwiesen, und ob Melanie G***** mit der Faust oder der flachen Hand geschlagen wurde, kann diese eingesetzte Gewalt insgesamt keinesfalls als unerheblich im Sinn des § 142 Abs 2 StGB gewertet werden (zum Erfordernis deliktsspezifischer Auslegung des Gewaltbegriffs vgl Kienapfel/Schroll BT I 5 § 105 Rz 10, 30). Denn der Angeklagte setzte solcherart bei seinen Angriffen durchaus beachtliche psychische Gewalt in vehementer Weise gegen seine Opfer ein, wobei deren Belastung im Vergleich zu den Durchschnittsfällen eines Raubes nicht mehr als geringfügig einzustufen ist (RIS-Justiz RS0094427), zumal insbesondere (Faust-)Schläge gegen den Kopf stets mit einer erhöhten Gefährdung des Opfers einhergehen und sich die Vehemenz der gegen Melanie G***** angewendeten Gewalt auch in der festgestellten Rauferei, die heftige Gegenwehr des Opfers indiziert, widerspiegelt.

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d StPO).

Mit seiner Sanktionsrüge (Z 11) und der Berufung (§ 290 Abs 1 letzter Satz StPO) war der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf den kasstorischen Teil der Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
5
  • RS0121419OGH Rechtssatz

    28. März 2023·3 Entscheidungen

    Nach der Rechtsprechung des EGMR liegt der Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK gerade darin, die Verteidigung des Angeklagten nicht zu behindern. Geleitet von dieser Zielsetzung können nunmehr auch Abweichungen in der rechtlichen Beurteilung des von der Anklage erfassten Sachverhalts als Nichtbeachtung des § 262 StPO aus Z 8 releviert werden. Stets dann, wenn - ungeachtet der Identität von Anklage- und Urteilsfaktum im prozessualen Sinn - der Angeklagte einer gegenüber dem inkriminierten Sachverhalt anderen Tat (auch bloß) im materiellen Sinn schuldig erkannt wird, liegt nach dieser grundrechtskonformen Auslegung der Z 8 des § 281 Abs 1 StPO der Nichtigkeitsgrund vor. Ist mit anderen Worten das Tatbild (die äußere Tatseite) der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Tat (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) von jenem des Anklagetenors (§ 207 Abs 2 Z 2 StPO) derart verschieden, dass sich die jeweils angenommenen Tatbilder nicht überdecken, besteht ohne weiteres das Erfordernis einer dem § 262 StPO entsprechenden Belehrung, ohne welche dem Grundrechtsgebot des Art 6 Abs 3 lit a oder lit b MRK nicht entsprochen wird. Geht es aber um Abweichungen geringerer Relevanz, ist es Sache des Beschwerdeführers, im Rechtsmittel das Belehrungserfordernis (wenigstens einigermaßen) plausibel zu machen, um unnötige Rechtsgänge zu vermeiden. Diese ziehen nämlich in aller Regel eine Verschlechterung der zur Verfügung stehenden Beweismittel nach sich und können überdies ein Spannungsverhältnis mit dem gleichfalls beachtlichen Grundrechtsgebot auf Verfahrensbeendigung binnen angemessener Frist (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK) bewirken.

  • RS0113755OGH Rechtssatz

    11. März 2024·3 Entscheidungen

    Beurteilt ein Gericht nicht nur die im Anklagetenor genannte Tat in rechtlicher Hinsicht abweichend von der Anklage, spricht es den Angeklagten vielmehr - wenngleich ohne Abgehen von dem der Anklage (als Gesamtheit) zugrunde liegenden Sachverhalt - statt der im Anklagetenor genannten Tat einer anderen Tat schuldig, muss mit Blick auf die Fairness des Verfahrens zugunsten des Angeklagten dem Schutzzweck des § 262 StPO zuvor entsprochen worden sein. Dabei steht die strikte Einhaltung der von § 262 StPO beschriebenen Form als solche nicht unter der Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs 1 Z 8 StPO. So wird etwa eine abweichende Beurteilung durch den Ankläger in der Hauptverhandlung dem grundrechtlich geschützten Ziel, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu verfügen (Art 6 Abs 3 lit b MRK), durchaus gerecht, weil es dem Angeklagten solcherart offensteht, sich dazu zu äußern sowie Fragen und Anträge zu seiner Verteidigung zu stellen, deren Missachtung einen Verfahrensmangel (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) begründen kann. Die in einer - danach mehrfach wegen Zeitablaufes und Richterwechsels (§ 276a StPO) wiederholten - Hauptverhandlung gestellte Frage des Vorsitzenden (§ 245 Abs 1 erster Satz StPO): "Haben sie in Österreich Zigaretten erworben, bei denen die Eingangsabgaben nicht bezahlt waren?" für sich allein genügt aber nicht.