JudikaturJustiz14Os144/96

14Os144/96 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. September 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.September 1996 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner und Dr.E.Adamovic als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Scholz als Schriftführerin, in der beim Landesgericht Wels zum AZ 8 Vr 219/96 anhängigen Strafsache gegen Wolfgang R***** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 2 erster Fall und Abs 3 Z 3 SGG über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 21. August 1996, AZ 7 Bs 232/96, sowie den Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes Wels vom 26.August 1996, GZ 8 Vr 219/96-114, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz wurde Wolfgang R***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Insoweit wird die Beschwerde abgewiesen.

Soweit sie sich gegen den Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes Wels richtet, wird sie zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Wolfgang R***** befindet sich seit dem 18.Februar 1996 wegen des Verdachtes des Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 2 erster Fall und Abs 3 Z 3 SGG in Untersuchungshaft, zunächst aus dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 2 StPO (ON 11), seit 1.März 1996 aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO (ON 28, 44, 49, 66). Zuletzt wurde die Fortsetzung der Untersuchungshaft in der Haftverhandlung vom 9.August 1996 von der Untersuchungsrichterin mit Wirksamkeit bis 9.Oktober 1996 beschlossen und die Aufrechterhaltung der Haft über die Sechs-Monatsfrist des § 194 Abs 3 StPO hinaus mit dem besonderen Umfang und der Schwierigkeit der Untersuchung begründet (ON 102).

Der dagegen erhobenen Beschwerde (ON 103) wurde vom Oberlandesgericht Linz mit Beschluß vom 21.August 1996 (ON 112) nicht Folge gegeben und die Fortsetzung der Untersuchungshaft bis längstens 21.Oktober 1996 angeordnet.

Noch vor Erhalt dieser Entscheidung brachte Wolfgang R***** gemäß § 113 StPO eine Beschwerde an die Ratskammer ein, in der er sich gegen die Stichhältigkeit der Begründung der Untersuchungsrichterin für die Überschreitung der Sechs-Monatsfrist wandte und ihr Untätigkeit deshalb zum Vorwurf machte, weil er nicht nach Ablauf dieser Frist (18.August 1996) enthaftet wurde (ON 113). Dieser Beschwerde gab die Ratskammer mit Beschluß vom 26.August 1996 nicht Folge (ON 114).

Rechtliche Beurteilung

Mit seiner fristgerecht erhobenen Grundrechtsbeschwerde - die den dringenden Tatverdacht ebenso unangefochten läßt wie den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr - bekämpft der Beschwerdeführer sowohl die Entscheidung des Oberlandesgerichtes als auch den Ratskammerbeschluß insoweit, als die Voraussetzungen des § 194 Abs 3 StPO für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angenommen wurden.

Hinsichtlich des Ratskammerbeschlusses ist die Grundrechtsbeschwerde unzulässig.

Gemäß § 1 Abs 1 GRBG steht dem Betroffenen dann eine Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zu, wenn er durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde. Diese Entscheidung oder Verfügung muß die Verhängung oder Aufrechterhaltung der Haft zum Gegenstand haben und somit ein für eine Freiheitsbeschränkung funktionell grundrechtsrelevanter richterlicher Akt sein.

Die der Ratskammer nach § 113 StPO zugewiesene Kompetenz erstreckt sich, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt (!), auf die Erledigung von Beschwerden, die durch eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters veranlaßt wurden. Die Beurteilung der eigentlichen Haftfragen, im besonderen der Rechtmäßigkeit der Verhängung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft, fällt indes kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (§§ 179 Abs 5 und Abs 6, 182 Abs 4, 190 Abs 2, 193 Abs 6 StPO) in die Zuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz.

Damit kommt der Ratskammer eine Entscheidungsbefugnis in der Frage der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft von vornherein nicht zu. Ob die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Haftfrist nach § 194 Abs 3 StPO vorliegen oder nicht, ist der Beurteilung durch die Ratskammer entzogen. Die Inanspruchnahme dieses Spruchkörpers für die Anfechtung eines diese Frage betreffenden Beschlusses des Untersuchungsrichters ist daher verfehlt, weshalb sich im vorliegenden Fall die Grundrechtsbeschwerde insoweit als unzulässig erweist. Daß die Ratskammer in Überschreitung ihrer Kompetenz die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung bejahte, hatte im übrigen auf die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft keinen Einfluß, weshalb ihre Entscheidung auch aus diesem Grunde der Anfechtung durch eine Grundrechtsbeschwerde entzogen ist.

Daran ändert nichts, daß ein Beschwerdeführer, der eine Unverhältnismäßigkeit der Haft als Grundrechtsverletzung geltend machen will, dann, wenn diese Unverhältnismäßigkeit in einer (vom Untersuchungsrichter zu verantwortenden) Verfahrensverzögerung wurzelt, zunächst - dem Erfordernis der Erschöpfung des Instanzenzuges (§ 1 Abs 1 GRBG) entsprechend - gemäß § 113 Abs 1 StPO die Ratskammer anzurufen hat. Denn auch in diesem Fall kann eine der Beschwerde stattgebende Entscheidung der Ratskammer nur darin bestehen, den Untersuchungsrichter zu bestimmten, verfahrensbeschleunigenden Maßnahmen zu veranlassen, gegebenenfalls auch nur die Tatsache der verschuldeten Verzögerung festzustellen (§ 113 Abs 2 StPO), nicht aber darin, die Untersuchungshaft selbst als nicht (mehr) gesetzmäßig zu erklären oder gar deren Aufhebung zu verfügen.

Die Behauptung einer Grundrechtsverletzung durch die Entscheidung des Oberlandesgerichtes geht gleichfalls fehl.

Nach § 194 Abs 3 StPO darf die Untersuchungshaft, deren zulässige Dauer bis zum Beginn der Hauptverhandlung im hier aktuellen Fall mit zwei Jahren begrenzt ist (§ 194 Abs 2 StPO iVm § 12 Abs 3 SGG), über sechs Monate hinaus nur dann aufrechterhalten werden, wenn dies wegen besonderer Schwierigkeiten oder besonderen Umfanges der Untersuchung im Hinblick auf das Gewicht des Haftgrundes unvermeidbar ist.

Diese Voraussetzungen wurden vom Gerichtshof zweiter Instanz mit zutreffender Begründung bejaht. Die Beschwerdeargumentation, wonach sich im Hinblick auf die Verantwortung des im wesentlichen geständigen Beschuldigten die Ausforschung weiterer Beteiligter an den Suchtgiftdelikten nicht zu dessen Lasten, nämlich in einer Verlängerung der Untersuchungshaft auswirken dürfe, übersieht, daß Geständnisse des Beschuldigten den Untersuchungsrichter nicht von der Pflicht entbinden, "den Tatbestand, so weit als möglich, zu ermitteln" (§ 206 StPO). Selbst bei einem - hier nicht vorliegenden - umfassenden und durch die übrigen Ergebnisse der Voruntersuchung unterstützten Geständnis hängt die Vornahme weiterer Erhebungen von den besonderen Anträgen des Anklägers ab (§ 206 StPO). Solche ergänzenden Erhebungen waren über Antrag der Staatsanwaltschaft vom 23. Juli 1996 vorzunehmen und zum Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses noch nicht abgeschlossen.

Der vom Beschwerdeführer unbestritten gebliebene, zur Begründung der Tatbegehungsgefahr primär herangezogene Umstand seiner massiven Verankerung in der Suchtgiftszene aber und der ihm angelastete intensiv betriebene Handel mit verschiedenen gefährlichen Suchtstoffen über einen längeren Zeitraum verleiht dem angenommenen Haftgrund ein solches Gewicht, daß die Aufrechterhaltung der durch gelindere Mittel nicht substituierbaren Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus in der Tat unvermeidbar war.

Da somit Wolfgang R***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt ist, war seine Beschwerde insoweit ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Rechtssätze
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