JudikaturJustiz14Os114/23f

14Os114/23f – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Februar 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. De Rijk im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des * R* nach § 21 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des R* sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 30. Juni 2023, GZ 41 Hv 1/23x-81, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

* R* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * R* des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 2 StGB (1.) und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (2.) schuldig erkannt und zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem ordnete das Erstgericht (erkennbar) wegen der zu 2. angeführten Tat (US 8; siehe § 434d Abs 4 StPO) die Unterbringung des Genannten in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB an (US 2).

[2] Danach hat er in F*

1. am 5. September 2022 * P* durch eine geschlechtliche Handlung vor ihr unter Umständen, unter denen dies geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, belästigt, indem er in einem Zug sitzend sich seitlich an sie schmiegte und dabei seinen nicht entblößten Penis oberhalb der Hose streichelte;

2. am 4. Jänner 2023 * H* außer den Fällen des § 201 StGB gegen ihren erkennbaren Willen mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie mit beiden Armen fest umklammerte und sie durch die Jacke hindurch circa 50 Sekunden lang in die rechte Brust biss, wodurch sie eine Rötung an dieser Stelle erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des R*, der keine Berechtigung zukommt.

Zu 1. des Schuldspruchs:

[4] Feststellungen sind nur insoweit mit Mängelrüge bekämpfbar, als sie (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage) entscheidende Tatsachen betreffen (RIS Justiz RS0117499). Dass P* den R* lautstark aufforderte, sich von ihr wegzusetzen, und er diesem Ansinnen nach kurzer Diskussion nachkam (US 5), ist ohne Einfluss auf die Subsumtion nach § 218 Abs 1 Z 2 StGB. Der dazu erhobene Einwand des Fehlens einer Begründung (Z 5 vierter Fall) verfehlt daher den gesetzlichen Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes.

[5] Dem weiteren Vorwurf unvollständiger und offenbar unzureichender Begründung (Z 5 zweiter und vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter die Feststellung zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung (US 5) – ohne Verstoß gegen die Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze (vgl RIS-Justiz RS0118317) – aus der Aussage der P* abgeleitet (US 9 f). Aufgrund des Gebots zu gedrängter Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) war das Erstgericht nicht verhalten, jedes Detail dieser Aussage (ON 80, 14 f iVm ON 2.7 in ON 29) zu erörtern. Mit der Kritik, dass sich damit die genannte Feststellung nicht begründen ließe, bekämpft die Beschwerde bloß die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (vgl § 283 Abs 1 StPO).

[6] Die erfolgte Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 5 f) aus dem äußeren Tatgeschehen (US 12) ist – der weiteren Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0116882).

[7] Entgegen dem Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) haben die Tatrichter den Inhalt der – in der Hauptverhandlung vorgekommenen (ON 80, 23) – Aussage der P* vor der Kriminalpolizei, R* habe sein Bein gegen das ihre gedrückt (ON 2.7, 4 in ON 29), richtig wiedergegeben (vgl US 10).

[8] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) leitet die Behauptung, die rechtliche Wertung der über einen Zeitraum von ein bis zwei Minuten wiederholt vorgenommenen intensiven sexualbezogenen (US 15 ff) Selbstberührung des bekleideten Penis als geschlechtliche Handlung sei ohne (vom Erstgericht erkennbar verneinte [vgl US 10]) Masturbationsbewegungen verfehlt, nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (vgl aber RIS-Justiz RS0116565; Philipp in WK² StGB § 218 Rz 5; allgemein zur Berührung zur Geschlechtssphäre gehöriger, bekleideter Körperpartien RIS-Justiz RS0095733 [T9, T10]).

[9] Der Einwand eines Rechtsfehlers bei der Bejahung der Eignung, berechtigtes Ärgernis zu erregen, beschränkt sich auf die Bestreitung „nötige[r] Intensität“ der Selbstberührungen und berücksichtigt deshalb nicht sämtliche dieser rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegten Tatumstände (vgl aber RIS-Justiz RS0099810), nämlich die wiederholte Vornahme der geschlechtlichen Handlung am unmittelbar benachbarten Sitzplatz des Opfers in einem Waggon der öffentlichen Bahn unter gleichzeitigem Drücken des Beins gegen jenes des Opfers (vgl Philipp in WK² StGB § 218 Rz 15).

[10] Die Kritik (nominell Z 9 lit a), dem Urteilssachverhalt sei nicht zu entnehmen, dass das inkriminierte Verhalten bei P* (tatsächlich) „zu einer negativen Gefühlsempfindung im erforderlichen Ausmaß geführt“ habe, spricht mit Blick auf die Feststellung, der Beschwerdeführer habe eine (tatbildliche) Belästigung in seinen Vorsatz aufgenommen (US 6), bloß einen für die Abgrenzung von Versuch und Vollendung, mithin aus Z 11 zweiter Fall relevanten Umstand an (vgl RIS Justiz RS0122137; zu § 218 Abs 1 Z 2 StGB als Erfolgsdelikt vgl List , SbgK § 218 Rz 32 und 37; Kienapfel/Schmoller , BT III² § 218 Rz 18). Da P* nach den Urteilskonstatierungen das Verhalten des R* derart unangenehm war, dass sie ihn aufforderte, sich von ihr wegzusetzen, stellt die Annahme von Tatvollendung (US 2 und 18) keine rechtsfehlerhafte Beurteilung von Strafzumessungstatsachen dar (vgl Philipp in WK² StGB § 218 Rz 13).

Zu 2. des Schuldspruchs:

[11] Der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) zuwider betreffen die Körpergröße des R* und der Umstand, dass er (trotz geringerer Körpergröße) den Kopf zur Brust des Opfers senken musste (US 7), keine entscheidenden Tatsachen, sodass der dagegen erhobene Einwand widersprüchlicher Feststellungen den Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes verfehlt (vgl erneut RIS-Justiz RS0117499).

[12] Die (einen Freispruch anstrebende) Rechtsrüge (Z 9 lit a) moniert das Fehlen von Feststellungen zur subjektiven Tatseite hinsichtlich der abgenötigten Duldung eines circa 50 Sekunden andauernden Bisses in die bekleidete Brust des weiblichen Opfers, übergeht aber die gerade dazu getroffenen Urteilskonstatierungen (US 7; vgl aber wiederum RIS-Justiz RS0099810).

[13] Indem die (einen Schuldspruch nach § 105 Abs 1 StGB anstrebende) Subsumtionsrüge (Z 10) behauptet, der zu einer Verletzung führende Biss in die weibliche (bekleidete) Brust sei nicht als geschlechtliche Handlung zu beurteilen, dabei aber von urteilsfremden Sachverhaltsannahmen zur Zielrichtung der Handlung, Sexualbezogenheit und Bissstelle ausgeht, verfehlt auch sie den im Urteilssachverhalt (US 7 und US 15 f) gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (vgl erneut RIS-Justiz RS0099810; im Übrigen RIS-Justiz RS0095733 [T9]).

[14] Zum vom Erstgericht versagten vorläufigen Absehen vom Vollzug der strafrechtlichen Unterbringung nach § 157a StVG (US 8 f) erstattet die Beschwerde (nominell Z 11) mit dem Vorwurf des Unterbleibens von Erhebungen und der Erstattung eines Berichts des Leiters des forensisch-therapeutischen Zentrums nach § 434g Abs 1 zweiter Satz StPO bloß ein Berufungsvorbringen (§ 434g Abs 5 StPO; vgl RIS-Justiz RS0099865 [T5], RS0100032 [T2]; siehe im Übrigen zur bedingten Strafnachsicht als Voraussetzung für das vorläufige Absehen vom Vollzug § 157a Abs 1 letzter Satz StVG).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[16] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.