JudikaturJustiz13Os78/04

13Os78/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Juli 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Felbab als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Bernhard T***** wegen der Verbrechen der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 22. April 2004, GZ 23 Hv 62/04f-46, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Anordnung der Unterbringung des Bernhard T***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB aufgehoben und im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht Innsbruck zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Über die gegen den Strafausspruch ergriffene, vorerst unerledigt bleibende Berufung wird das Oberlandesgericht Innsbruck zu entscheiden haben, ausgenommen den Fall, dass aufgrund erneuter Nichtigkeitsbeschwerde gegen das zu fällende Urteil des Schöffengerichts vom Obersten Gerichtshof ein Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung anzuberaumen wäre (§ 296 StPO). Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Aufgrund eines bereits in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs wegen (richtig:) mehrerer Verbrechen der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB (A/2 und 3), des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (B) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (C) wurde mit dem angefochtenen Urteil die Unterbringung des Bernhard T***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.

Inhaltlich des Schuldspruchs hat er in L*****

A. seinen (Adoptiv )Vater Dr. Erwin T***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz durch gefährliche Drohung zu vermögensschädgenden Handlungen genötigt, und zwar

2. am 22. Mai 2003 durch die Erklärung, wenn er nicht sofort 300 Euro erhalte, verwüste er die Ordination und schlage alles zusammen, zur Übergabe dieses Geldbetrages;

Rechtliche Beurteilung

Der (nominell) aus Z 5, 5a, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Angesichts des bereits im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs kann allerdings die Frage der Zurechnungsfähigkeit (§ 11 StGB) nicht Gegenstand der Anfechtung der auf dieser Basis ergangenen Unterbringungsanordnung sein. Ebenso wie Begehung und Subsumtion der Anlasstat(en) ist auch die Zurechnungsfähigkeit stets (also auch in den Fällen des § 21 Abs 1 StGB) Gegenstand der Rechts- und Subsumtions- (Z 9 und 10), nicht aber der Sanktionsrüge (Ratz in WK2 Vorbem §§ 21-25 Rz 8 und in WK-StPO § 281 Rz 674).

Da § 21 StGB jedoch die Befugnis zur Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher neben einer Mindeststrafdrohung für die Anlasstat und einem auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand auch an dessen Einfluss auf die Anlasstat bindet, kann diese Sanktionsbefugnisgrenze aus Z 11 erster Fall in Frage gestellt werden, deren Tatsachengrundlage zugunsten des Angeklagten aus Z 11 erster Fall iVm Z 1 bis 5a (WK2 Vorbem §§ 21-25 Rz 9, WK-StPO § 281 Rz 27, 322, 400, 673).

Die in den Urteilsgründen erfolgte Bejahung der für die angesprochene Sanktionsbefugnisgrenze entscheidenden Frage, ob Bernhard T***** die - aufgrund ihres Strafsatzes von mehr als einem Jahr allein in Betracht kommenden - Verbrechen der Erpressung (A/2 und 3) "unter dem Einfluss" seiner zugleich - in Form „einer instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ" (US 5) - festgestellten geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad begangen hat, wurde vom Schöffengericht nur unter Verweis auf das als schlüssig und nachvollziehbar beurteilte Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen begründet. Der psychiatrische Sachverständige hinwieder hatte die Kausalität jener Abartigkeit nur hinsichtlich der am 22. Mai 2003 "um 23.00 Uhr" begangenen Vergehen der gefährlichen Drohung (B) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (C) eindeutig bejaht, nicht aber in Betreff der Verbrechen der Erpressung (Bd I, S 226 bis 228; vgl S 7 des im ersten Rechtsgang ergangenen Urteils, ON 23).

Zwar können sowohl Feststellungen als auch deren Begründung durch Verweis auf Aktenbestandteile vorgenommen werden (WK-StPO § 281 Rz 396). Erfolgt die Begründung einer aus Z 5 vierter Fall kritisierten Feststellung hingegen durch den Verweis auf ein als schlüssig beurteiltes Gutachten, ohne dass diesem eine zureichende Begründung für die getroffene Feststellung zu entnehmen ist, liegt der angezogene Nichtigkeitsgrund (hier Z 11 erster Fall iVm Z 5 vierter Fall) vor.

Dazu kommt, dass der Sachverständige in keinem der Erpressungsfälle den Einfluss der Abartigkeit eindeutig bejaht, gleichwohl die - vom Schöffengericht geteilte (US 5) - Befürchtung geäußert hatte, der Angeklagte werde (auch) unter deren Einfluss speziell derartige Straftaten begehen (Bd II, S 107), was Nichtigkeit der Unterbringungsanordnung auch aus Z 11 erster Fall iVm Z 5 erster Fall nach sich zieht (WK-StPO § 281 Rz 438; vgl auch § 126 StPO). Die aufgezeigten Begründungsmängel führen bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zur Aufhebung der Maßnahmenanordnung samt Rückverweisung an das Erstgericht in diesem Umfang (§ 285e erster Satz StPO; Ratz, WK-StPO § 285i Rz 4 f).

Im nunmehr bereits dritten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass eine Handlung, die der Mindeststrafdrohung nicht entspricht, auch dann nicht Anlasstat sein kann, wenn gleichzeitig Taten, die diesem Erfordernis genügen, abgeurteilt werden (Ratz in WK2 § 21 Rz 5). Andererseits reicht es hin, wenn die Abartigtkeit für die Anlasstat (mit-)ursächlich geworden ist, sich in der Anlasstat also fassbar, nicht aber notwendigerweise dominierend ausgewirkt hat. Mit den Worten "unter dem Einfluss" und "beruht" ist nämlich jeweils bloß Kausalität angesprochen. Der Feststellung des Kausalzusammenhanges jedoch kommt entscheidende Bedeutung zu (WK2 § 21 Rz 11). Werden die Unterbringungsvoraussetzungen - einschließlich der von § 21 StGB verlangten Gefährlichkeit - bejaht, ist darüber abzusprechen, ob die in einem solchen Fall angebrachte Unterbringung im Zeitpunkt der Unterbringungsanordnung (noch) notwendig oder die Maßnahme nach § 45 Abs 1 StGB bedingt nachzusehen ist, weil deren Vollzug durch eine Behandlung außerhalb der Anstalt substituiert werden kann (dazu: Ratz in WK2 § 45 Rz 9-17; aus psychiatrischer Sicht Haller, RZ 2002, 102). Erst nach der Entscheidung des Schöffengerichtes über die Maßnahme wird das Oberlandesgericht Innsbruck über die gegen die Freiheitsstrafe ergriffene Berufung zu befinden haben, es sei denn, der Oberste Gerichtshof sähe sich - im Fall einer erneuten Nichtigkeitsbeschwerde - veranlasst, über diese in einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung zu entscheiden (§ 296 StPO). Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
8
  • RS0090390OGH Rechtssatz

    29. Februar 2024·3 Entscheidungen

    Liegen dem Betroffenen mehrere Taten zur Last, von denen nur eine den Voraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB entspricht, während die anderen zufolge der für sie maßgebenden Strafdrohung nicht einweisungsrelevant sein können, so hat das Gericht den Einweisungsantrag, soweit er auch diese Taten betrifft, abzuweisen; stützt es jedoch (rechtsirrig) sein Einweisungserkenntnis spruchgemäß auch auf diese Taten, dann hat es insoweit seine Einweisungsbefugnis überschritten, womit das Erkenntnis in diesem Punkt nichtig im Sinn der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO ist, uzw unbeschadet dessen, dass dem Betroffenen daneben auch eine einweisungsrelevante Anlasstat zur Last liegt. Denn der im Urteilstenor dekretierte Tatvorwurf kann von der darauf gestützten Sanktion nicht getrennt werden; diese basiert damit aber auch auf Taten, die die Einweisung nicht zu tragen vermögen, wobei die darin gelegene Urteilsnichtigkeit den Betroffenen beschwert, weil nicht gesagt werden kann, dass die nicht einweisungsrelevanten Taten bloß überflüssigerweise und ohne irgendwelche nachteiligen Wirkungen für ihn in den Urteilsspruch aufgenommen worden seien. Daher kann eine Unanfechtbarkeit des Ausspruchs über die Anstaltseinweisung nicht daraus abgeleitet werden, dass die Einweisung ohnedies bereits durch eine andere, diese recte tragende Tat gedeckt ist (Ablehnung der gegenteiligen Auffassung in 10 Os 162/79 = EvBl 1980/203).