JudikaturJustiz13Os74/23s

13Os74/23s – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Oktober 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Maringer in der Strafsache gegen * C* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und § 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. April 2023, GZ 63 Hv 157/22a 290, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen der von II A und B umfassten Taten sowie in der zum Schuldspruch II gebildeten Subsumtionseinheit als Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung und des Unterlassens eines Ausspruchs nach § 266 Abs 1 StPO) und im Ausspruch des Verfalls eines Geldbetrags, soweit dieser 12.522,38 Euro übersteigt, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen gegen den Strafausspruch werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte, Letzterer auch mit jener gegen den Ausspruch des Verfalls eines 12.522,38 Euro übersteigenden Betrags, auf die aufhebende Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch des Verfalls im Umfang von 12.522,38 Euro wird das Landesgericht für Strafsachen Wien notwendige Aktenteile dem Oberlandesgericht Wien zuzuleiten haben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * C* jeweils eines Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz, Abs 2 und 3 SMG (I A 1 a und I B 4), des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (I A 1 b und I B 1), der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster Satz zweiter Fall, Abs 2 und 3 SMG (I A 2 und I B 2) und des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG und § 15 StGB (I B 3) sowie eines Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (II) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W* und andernorts

I) als Mitglied einer kriminellen Vereinigung bestehend aus ihm und

A) zumindest sechs weiteren im Urteil namentlich bezeichneten Personen, indem er als faktisch Verfügungsberechtigter die erforderlichen Räumlichkeiten zum Zweck des Betriebs einer industriellen Cannabisplantage zur Verfügung stellte, andere als Scheinmieter und eine Scheineigentümerin zur Verschleierung einsetzte und teilweise Aufsichtstätigkeiten durchführte,

1) dazu beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB), dass andere Mitglieder dieser kriminellen Vereinigung im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) vorschriftswidrig

a) vom September 2020 bis zum 10. Dezember 2020 Cannabispflanzen zum Zweck der Gewinnung einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge Suchtgift anbauten, indem sie insgesamt 1.354 Cannabisstecklinge zur Gewinnung von Cannabiskraut mit einer Reinsubstanz von etwa 3.315 Gramm THCA und 249 Gramm Delta-9-THC (rund 95,3 Grenzmengen) aufzogen, wobei er mit dem Vorsatz handelte, dass das gewonnene Suchtgift in Verkehr gesetzt werde, und

b) vom 6. Dezember 2020 bis zum 10. Dezember 2020 Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge erzeugten, indem sie von den Cannabispflanzen der Plantage 76.575 Gramm Cannabiskraut mit einer Reinsubstanz von zumindest 4.898 Gramm THCA und 373,3 Gramm Delta-9-THC (rund 141,1 Grenzmengen) abernteten, sowie

2) im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (richtig § 12 erster Fall StGB) zumindest am 10. Dezember 2020 vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich das zu I A 1 b bezeichnete Cannabiskraut in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, weiters mit

B) zumindest neun weiteren, im Urteil teils namentlich bezeichneten Personen, indem er eines der anderen Mitglieder der kriminellen Vereinigung in seinem Tatentschluss, eine Cannabisplantage zu betreiben und Cannabiskraut zu erzeugen, bestärkte, andere zwecks Rekrutierung von Gärtnern und Vertrieb des geernteten Cannabiskrauts an diese vermittelte, hinsichtlich des Betriebs der Cannabisplantage und der Veräußerung des geernteten Cannabiskrauts laufend beriet und unterstützte, den Betrieb der Cannabisplantage und die Veräußerung des Cannabiskrauts mitorganisierte sowie potentielle Abnehmer vermittelte und in Aussicht stellte, dazu beigetragen, dass mehrere Mitglieder dieser kriminellen Vereinigung im bewussten und gewollten Zusammenwirken

1) im Mai 2021 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge erzeugten, indem sie von einer in L* betriebenen Plantage insgesamt zumindest 28.000 Gramm Cannabiskraut, davon 21.000 Gramm beinhaltend einen Durchschnittsgehalt von zumindest 12,47 % THCA und 0,95 % Delta-9-THC sowie 7.000 Gramm mit einer Reinsubstanz von zumindest 1.003 Gramm THCA und 76,9 Gramm Delta-9-THC (insgesamt rund 104 Grenzmengen) abernteten,

2) vom Mai 2021 bis zum 13. Juli 2021 vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich ca 1.000 Gramm des zu I B 1 beschriebenen Cannabiskrauts mit einer Reinsubstanz von 158,8 Gramm THCA und 12,08 Gramm Delta-9-THC (rund 4,6 Grenzmengen) besaßen, indem sie es in den Räumlichkeiten der Plantage lagerten, wobei er mit dem Vorsatz handelte, dass es in Verkehr gesetzt werde,

3) anderen vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich zumindest 27.000 Gramm Cannabiskraut (rund 101 Grenzmengen) des zu I B 1 beschriebenen Cannabiskrauts, überließen und zu überlassen versuchten (§ 15 StGB), und zwar Ende Juni/Anfang Juli 2021 zumindest 7.000 Gramm beinhaltend einen Durchschnittsgehalt von zumindest 12,47 % THCA und 0,95 % Delta-9-THC (rund 25,1 Grenzmengen), am 12. Juli 2021 ca 7.000 Gramm mit einer Reinsubstanz von zumindest 1.003 Gramm THCA und 76,9 Gramm Delta-9-THC (rund 28,9 Grenzmengen), vom Mai 2021 bis zum Juli 2021 zumindest 13.000 Gramm beinhaltend einen Durchschnittsgehalt von zumindest 12,47 % THCA und 0,95 % Delta-9-THC (rund 46,6 Grenzmengen), und

4) vom Juni 2021 bis zum 13. Juli 2021 vorschriftswidrig Cannabispflanzen zum Zweck der Gewinnung einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge Suchtgift anbauten, indem sie in den Räumlichkeiten insgesamt 2.276 Cannabisstecklinge zur Gewinnung von zumindest 50.000 Gramm Cannabiskraut beinhaltend einen Durchschnittsgehalt von zumindest 12,47 % THCA und 0,95 % Delta-9-THC (rund 179,7 Grenzmengen) aufzogen, wobei er mit dem Vorsatz handelte, dass dieses in Verkehr gesetzt werde, sowie

II) mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte des A* durch Vorspiegelung, ihm sei die Befriedigung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich (§ 33 Abs 3 AlVG), obwohl er tatsächlich über erhebliche Vermögenswerte verfügte und ein Einkommen bezog, das deutlich über der Geringfügigkeitsgrenze lag, somit durch Täuschung über Tatsachen, zur Zahlung von Notstandshilfe, mithin zu Handlungen verleitet, die das A* in der Höhe der geleisteten Zahlungen von insgesamt 16.523,78 Euro, sohin in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag, am Vermögen schädigten, und zwar

A) am 12. Juni 2018, wodurch er bis zum 30. Oktober 2018 insgesamt 2.513,70 Euro erhielt,

B) am 22. Jänner 2019, wodurch er bis zum 20. März 2019 insgesamt 1.487,70 Euro erhielt, und

C) am 24. März 2020, wodurch er bis zum 19. März 2021 insgesamt 12.522,38 Euro erhielt, wobei er es auch unterließ, die in Zusammenhang mit seiner Flucht stehenden Auslandsaufenthalte mitzuteilen, obwohl er hierzu nach § 50 Abs 1 AlVG verpflichtet gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a, 9 lit b, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit b) zu II A und B einen Rechtsfehler mangels Feststellungen hinsichtlich der (impliziten rechtlichen) Verneinung des Eintritts von Strafbarkeitsverjährung geltend macht, kommt ihr, wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt, Berechtigung zu:

[5] Die Strafbarkeit von Taten erlischt nach § 57 Abs 2 erster Satz StGB – außer in den in § 57 Abs 1 StGB genannten Fällen – durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beginnt, sobald die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufhört (§ 57 Abs 2 zweiter Satz StGB). Tritt ein zum Tatbild gehörender Erfolg erst ein, nachdem die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufgehört hat, so endet die Verjährungsfrist nicht, bevor sie – soweit hier relevant – auch vom Eintritt des Erfolgs ab verstrichen ist (§ 58 Abs 1 StGB).

[6] Bei Tatmehrheit verjähren die einzelnen Taten – abgesehen vom Fall des § 58 Abs 2 StGB – grundsätzlich jeweils für sich, woran auch deren Zusammenfassung zu einer Subsumtionseinheit nach § 29 StGB nichts ändert ( Marek in WK² StGB § 57 Rz 12, Ratz in WK² StGB § 29 Rz 7, RIS Justiz RS0090586 [T9 und T10]). Es ist daher jede einzelne Tat (historisches Geschehen) anhand im Urteil getroffener Feststellungen einer (oder mehreren) strafbaren Handlung(en) zu unterstellen und auf dieser Basis der Eintritt der Verjährung zu beurteilen (vgl erneut Marek in WK² StGB § 57 Rz 12, RIS Justiz RS0128998).

[7] Nach dem Urteilssachverhalt zum Schuldspruch II A und B erhielt der Angeklagte aufgrund der Antragstellung vom 12. Juni 2018 (oder 12. Juli 2018) bis zum 30. Oktober 2018 insgesamt 2.513,70 Euro (US 15) und aufgrund der Antragstellung vom 22. Jänner 2019 bis zum 20. März 2019 insgesamt 1.487,70 Euro (US 15). Da diese Taten – bei isolierter Betrachtung – jeweils § 146 StGB zu subsumieren sind, trat unter Berücksichtigung des § 58 Abs 2 StGB zufolge der einjährigen Verjährungsfrist des § 57 Abs 3 letzter Fall StGB hinsichtlich beider Taten mit Ablauf des 20. März 2020 Verjährung ein.

[8] Feststellungen zu verjährungshemmenden Umständen (die vom Schuldspruch II C umfasste Tat beging der Angeklagte nach den Entscheidungsgründen erst am 24. März 2020 [US 15]) wurden im Urteil nicht getroffen.

[9] Machen fehlende Feststellungen die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung eines (nach dem Urteilssachverhalt gegebenen) Ausnahmesatzes (vorliegend mit Ablauf des 20. März 2020 eingetretene Verjährung) unschlüssig, liegt ein (hier aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO relevanter) Rechtsfehler mangels Feststellungen vor (RIS Justiz RS0122332 [T1, T6 und T11]).

[10] Dies führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO).

[11] Ein Eingehen auf die Sanktionsrüge erübrigt sich daher.

[12] Der Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen kommt keine Berechtigung zu:

[13] Nach den Feststellungen des Erstgerichts zum Schuldspruch I schloss sich der Angeklagte spätestens ab Sommer 2020 zumindest konkludent mit sechs weiteren Personen zu einer kriminellen Vereinigung zusammen, deren Zweck die Erzeugung von Cannabiskraut mit den Wirkstoffen THCA und Delta-9-THC in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge, der Anbau von Cannabispflanzen zum Zweck der Suchtgiftgewinnung einer vielfach das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge sowie der Handel mit Suchtgift, nämlich mit Cannabiskraut mit den Wirkstoffen THCA und Delta-9-THC in einer vielfach die Grenzmenge bzw das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge war (US 8). Der Angeklagte hielt es jeweils (I A 1 a) ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass er durch kontinuierliche Tatbegehung jeweils zum Anbau von Cannabispflanzen, beinhaltend die Wirkstoffe THCA und Delta-9-THC, in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge durch andere beiträgt. Der Angeklagte wusste auch, dass er und die anderen Mitglieder der kriminellen Vereinigung nicht zum Anbau von Cannabispflanzen zum Zweck der Suchtgiftgewinnung, nämlich der Gewinnung von THCA und Delta-9-THC, berechtigt waren (US 14).

[14] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch I A 1 a die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 8 f und 14) bestreitet, verfehlt sie den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810).

[15] Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) den Wegfall der Qualifikationstatbestände des § 28a Abs 2 Z 2 SMG und des § 28 Abs 3 SMG anstrebt, leitet sie nicht aus dem Gesetz ab (RIS Justiz RS0116565), weshalb über die Feststellungen des Erstgerichts hinaus zur Subsumtion noch weitere Konstatierungen, und zwar zur Unterwerfung der einzelnen Mitglieder unter den Willen der Gemeinschaft, notwendig gewesen wären. Gleiches gilt (RIS Justiz RS0118429) für die ins Treffen geführte Kommentarmeinung ( Plöchl in WK² StGB § 278 Rz 15). Zur gegenteiligen Rechtsprechung siehe im Übrigen 12 Os 81/22m, 14 Os 22/22z (14 Os 23/22x) und 13 Os 47/21t.

[16] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde somit gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[17] Mit ihren Berufungen gegen den Strafausspruch waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte, Letzterer auch mit jener gegen den Ausspruch des Verfalls eines 12.522,38 Euro übersteigenden Betrags, auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.

[18] Über die Berufung des Angeklagten gegen das Verfallserkenntnis im Übrigen hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[19] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
4