JudikaturJustiz13Os74/05i

13Os74/05i – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. August 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. August 2005 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Besenböck als Schriftführer in der Strafsache gegen Albert E***** und Ursula E***** jeweils wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde nach § 289 StGB, AZ 5 U 59/02z des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 1. Juni 2005, AZ 7 Bl 42/05b, nach öffentlicher Verhandlung in Gegenwart des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Mag. Bacher, in Abwesenheit der Verurteilten und ihres Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 5 U 59/02z des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau verletzt das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 1. Juni 2005, AZ 7 Bl 42/05b, das Gesetz in der Bestimmung des § 359 Abs 4 StPO iVm § 477 Abs 2 zweiter Satz StPO. Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Strafausspruch aufgehoben und dem Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht aufgetragen, die Strafe neu zu bemessen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 29. Mai 2002, GZ 5 U 59/02z-10, wurden Albert E***** und Ursula E***** jeweils des Vergehens der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde nach § 289 StGB schuldig erkannt und hiefür je zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

Den dagegen erhobenen gemeinsam ausgeführten Berufungen der Angeklagten wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld gab das Landesgericht Klagenfurt (nach durchgeführter Beweiswiederholung und -ergänzung) mit Urteil vom 10. Dezember 2002, AZ 7 Bl 91/02 (ON 23), nicht Folge.

Nach der über Antrag der Verurteilten mit Beschluss des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 28. Oktober 2004, GZ 5 U 59/02z-69, gemäß § 353 Z 2 StPO bewilligten Wiederaufnahme des Verfahrens wurden Albert und Ursula E***** mit Urteil des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 16. Februar 2005, GZ 5 U 59/02z-74, von dem wider sie erhobenen Antrag auf Bestrafung gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

In Stattgebung der dagegen erhobenen Berufung der Staatsanwaltschaft Klagenfurt wegen des Ausspruchs über die Schuld hob das Landesgericht Klagenfurt (nach Beweiswiederholung) mit Urteil vom 1. Juni 2005, AZ 7 Bl 42/05b, dieses freisprechende Erkenntnis auf, sprach beide Angeklagte erneut jeweils des Vergehens der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde nach § 289 StGB schuldig und verhängte über sie Geldstrafen von je 120 Tagessätzen, im Fall der Uneinbringlichkeit 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, wobei die Höhe des einzelnen Tagessatzes bei Albert E***** mit 20 Euro, jene bei Ursula E***** mit 10 Euro bestimmt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in der von ihm gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes im Ergebnis zutreffend ausführt, steht das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 1. Juni 2005 mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 359 Abs 4 StPO kann im Fall der nur zugunsten des Angeklagten erfolgten Wiederaufnahme des Strafverfahrens das neue Urteil keine schwerere Strafe über ihn verhängen, als ihm das erste Erkenntnis auferlegte.

Der darin zum Ausdruck kommende Aspekt des allgemeinen Verschlechterungsverbotes betrifft seit dem StRÄG 1987 jede einzelne Unrechtsfolge - bei in Tagessätzen bemessenen Geldstrafen jeden der Bemessungsaspekte (Anzahl und Höhe der Tagessätze; 12 Os 76/99) - und Aussprüche bedingter Nachsicht und über die Dauer von Probezeiten je für sich und meint solcherart nicht - wie vor der Novellierung der §§ 295 Abs 2, 477 Abs 2 StPO - die Gesamtsanktionslast (grundlegend: JBl 1990, 126 mit zust Anm von Liebscher).

Ohne Verletzung des § 359 Abs 4 StPO darf solcherart keine Freiheitsstrafe, gleich welcher Höhe, an die Stelle einer zuvor verhängten Geldstrafe treten, weil jene schon mit Blick auf § 37 StGB die strengere Sanktion darstellt, ist doch eine (an die Stelle einer nur durch die Höchstgrenze von sechs Monaten determinierten Freiheitsstrafe tretende) Geldstrafe nach § 37 StGB - anders als eine solche, die nach § 43a Abs 2 StGB einen genau festgelegten Teil der Freiheitsstrafe vertritt - nach der Rsp originär und unmittelbar auf den Strafzweck hin zu bemessen. Aber auch eine Geldstrafe an Stelle einer Freiheitsstrafe ist nur mit der Maßgabe zulässig, dass die nach § 19 Abs 3 StGB festgesetzte Ersatzfreiheitsstrafe die Höhe der vorangegangenen Freiheitsstrafe nicht übersteigen darf (12 Os 76/92). Dazu zwingt der prozessuale favor defensionis. Denn das verfahrensrechtliche Verschlechterungsverbot geht den materiellrechtlichen Bestimmungen über die Strafbemessung vor, müsste doch ein zum Vorteil des Angeklagten einschreitender Rechtsmittelwerber sonst befürchten, dass (etwa angesichts eines besonders streng festgesetzten Tagessatzes) an jenem letztlich an Stelle der zuvor verhängten Freiheitsstrafe eine deren Höhe übersteigende Ersatzfreiheitsstrafe vollzogen wird. Die - mit Bedacht normierte - Beschränkung des Verbotes der reformatio in peius auf den Sanktionenbereich (EvBl 1987/197) hat notwendigerweise zur Folge, dass eine Verschlechterung auch dann nicht einzutreten hat, wenn die Strafe angesichts veränderter rechtlicher Unterstellung unterhalb des daraus resultierenden Strafrahmens zu liegen kommt, sodass es des Rückgriffs auf §§ 41 f StGB nur im Fall einer Milderung gegenüber der vorangegangenen Strafe bedarf. Die in Strafdrohung und konkreter Strafe bestehenden Befugnisgrenzen für die Anwendung der §§ 37, 43a StGB jedoch bleiben von § 359 Abs 4 StPO unberührt (14 Os 69/01, EvBl 2002/8).

Die Reduktion einer Freiheitsstrafe oder Geldstrafe kann deren nunmehr unbedingte Verhängung nicht kompensieren; auch kommt eine bedingte Freiheitsstrafe an Stelle einer unbedingten Geldstrafe nicht in Frage. Trotz der unter dem Aspekt des Verschlechterungsverbotes gesondert zu bewertenden Strafzumessung iwS kann aber eine bedingte Freiheitsstrafe nach §§ 295 Abs 2 zweiter Satz, 477 Abs 2 zweiter Satz StPO durch eine unbedingte Geldstrafe, deren Ersatzfreiheitsstrafe (§ 19 Abs 3 StGB) das Maß jener nicht übersteigen darf, ersetzt werden (vgl auch JAB StRÄG 1987, 46 f). Auf Antrag des Angeklagten oder mit seiner Zustimmung kommt solcherart auch eine nach § 43a Abs 2 StGB teilbedingte Strafe an Stelle einer zuvor gänzlich bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in Betracht. Antrag oder Zustimmung müssen nicht in der Rechtsmittelschrift und können bis zur Urteilsfällung erfolgen.

§§ 295 Abs 2, 477 Abs 2 StPO tragen dem Umstand Rechnung, dass die beiden Strafen unter dem Aspekt des prozessualen Verschlechterungsverbotes im Verhältnis zueinander sowohl milder als auch strenger sind. Antrag oder Zustimmung nach §§ 295 Abs 2, 477 Abs 2 StPO können ohne weiteres bedingt nur bis zu einer bestimmten Höhe des Tagessatzes erfolgen.

Dass die Dispositionsfreiheit des § 295 Abs 2 StPO auch bei Neubemessung der Strafe (JBl 1990, 126), sei es nach § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO, sei es in einem weiteren Rechtsgang (§ 293 Abs 3 StPO) gilt, kann angesichts der völlig identischen Interessenlage nicht ernsthaft bezweifelt werden (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 48). Nichts anderes muss aber für § 359 Abs 4 StPO gelten, ist doch aus den Gesetzesmaterialien zum StRÄG 1987 kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass hinsichtlich dieser Bestimmung eine den §§ 295 Abs 2, 477 Abs 2 StPO entsprechende Regelung gezielt unterlassen wurde. Demnach war infolge analoger Anwendung des § 477 Abs 2 StPO die vorliegend geschehene Verhängung einer unbedingten Geldstrafe an Stelle der ursprünglichen bedingten Freiheitsstrafe zwar grundsätzlich zulässig, jedoch von Antrag oder Zustimmung des Angeklagten abhängig.

Da diese Voraussetzung nicht vorlag, verletzt das angefochtene Urteil das Gesetz in der Bestimmung des § 359 Abs 4 StPO iVm § 477 Abs 2 zweiter Satz StPO.

Da dies den Verurteilten zum Nachteil gereicht, war der Entscheidung auch konkrete Wirkung zuzuerkennen.

Rechtssätze
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