JudikaturJustiz13Os73/06v

13Os73/06v – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. August 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. August 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll, Mag. Hetlinger und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schreuer als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Christoph Herbert E***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Verteidigers (§ 431 Abs 3 StPO) gegen das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Schöffengericht vom 3. Mai 2006, GZ 13 Hv 4/06t-24, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Unterbringung des Christoph Herbert E***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet, weil er am 7. Dezember 2004 in E***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhte, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, das Verbrechen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 zweiter Fall StGB (1) und mehrere Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB (2) begangen hatte, indem er dem Polizeibeamten Rev. Insp. Ewald R***** einen Gegenstand ins Gesicht warf, gegen ihn sprang, sodass dieser zu Sturz kam, in der Folge gegen ihn und den zu Hilfe eilenden Polizeibeamten Insp. Ronald H***** einschlug, weshalb beide über eine Stiege stürzten, weiter gegen die Beamten trat, auf sie einschlug und versuchte, Rev. Insp. Ewald R***** die Dienstpistole zu entreißen, wobei er äußerte: „Soll i schiaßn? I hobs glei! I druck glei ob!" und solcherart

1. versuchte, Beamte mit Gewalt und gefährlicher Drohung mit dem Tod an einer Sachverhaltsaufnahme und seiner Festnahme zu hindern sowie

2. Beamte während oder wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben oder der Erfüllung ihrer Pflichten am Körper verletzte, und zwar Rev. Insp. Ewald R***** in Form einer Hautabschürfung in der rechten Augenregion, einer Hautabschürfung an der Oberlippe rechts, einer Prellung des Brustkorbs rechts und des rechten Knies sowie Insp. Ronald H***** in Form einer Prellung der linken Schulter und des rechten Knies.

Der nominell aus Z 4, 5, 10 und 11 des § 281 Abs 1 (§ 433 Abs 1) StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Verteidigers (§ 431 Abs 3 StPO) kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Mit der Behauptung, andernfalls hätten während der Voruntersuchung die Voraussetzungen für die bedingte Nachsicht der Maßnahme geschaffen werden können, kritisiert die Verfahrensrüge (Z 4) unter Berufung auf § 439 Abs 2 StPO die unterlassene Beiziehung eines zweiten Sachverständigen und mit dem Hinweis auf § 429 Abs 2 Z 1 StPO die Tatsache, dass dem Betroffenen erst einige Monate nach Einleitung der Voruntersuchung ein Verteidiger beigegeben wurde, ohne sich jedoch - wie für die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes erforderlich - auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag zu stützen.

Das Vorbringen ist auch unter dem Aspekt allfälliger Nichtigkeit aus Z 3 unbeachtlich, weil § 430 Abs 4 StPO nur die Beiziehung eines Sachverständigen zur Hauptverhandlung verlangt und die Vertretung des Betroffenen durch einen Verteidiger nur während der Hauptverhandlung mit Nichtigkeit bewehrt ist (§ 430 Abs 3 StPO). Zudem betreffen beide Vorschriften nur die - von der Verfahrensrüge gar nicht in Frage gestellte - Unterbringungsanordnung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 261, 734; vgl aber Medigovic aaO § 433 Rz 6, 8, § 439 Rz 3).

Mit der Behauptung, die Aussagen dreier Zeugen, welche bekundet hätten, dass der Betroffene sich ihnen gegenüber „nie aggressiv oder auffallend gefährlich verhalten habe", seien unerörtert geblieben, wird Nichtigkeit des Sanktionsausspruchs ebenso wenig geltend gemacht, wie mit dem Vorbringen, vor dem 7. Dezember 2004 habe es „keinen vergleichbaren Vorfall gegeben".

Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall liegt nämlich nur vor, wenn die solcherart in Frage gestellte Gefährlichkeitsprognose zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt oder die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Ableitung der Befürchtung, also der rechtlichen Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde eine oder mehrere bestimmte Handlungen begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wären, als willkürlich erscheinen lässt (WK-StPO § 281 Rz 715 bis 721).

Angeblich indiziert gewesene Feststellungen, „warum sich der Betroffene ausschließlich seiner Großmutter gegenüber feindselig verhält", waren unter dem Aspekt der von § 21 Abs 1 StGB verlangten Prognosetat deshalb nicht erforderlich, weil die Unterbringungsanordnung auch zulässig ist, wenn sich die Gefährlichkeit des Täters nur gegen eine bestimmte Person richtet (Ratz in WK2 § 21 Rz 29), wovon vorliegend schon angesichts des gegen die Polizeibeamten gesetzten Verhaltens ohnehin keine Rede sein kann (Z 10, der Sache nach Z 11 zweiter Fall).

Aus der Kritik am Fehlen einer Aussage zur Frage, „welche Gründe die einschreitenden Exekutivbeamten dem Betroffenen für ihr Eindringen genannt haben", wird nicht klar, welche Feststellung der Beschwerdeführer vermisst. Zudem entbehrt sie des Hinweises auf ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Tatsachensubstrat (WK-StPO § 281 Rz 600).

Mit dem aus einer Bemerkung des Sachverständigen, wonach der Betroffene während der Hauptverhandlung „deutlich ruhiger und weniger impulsiv war als noch vor der medikamentösen Behandlung" (S 177), abgeleiteten Schluss auf einen die bedingte Nachsicht der Maßnahme rechtfertigenden Behandlungserfolg wird erneut nur ein Berufungsgrund geltend gemacht.

Insoweit ist der Ansicht des Schöffengerichtes (welches auf eine von Fabrizy StGB9 § 45 Rz 1a übernommene Bemerkung der EBRV rekurriert) gegenüber klarzustellen, dass Sachverhalte, „in denen während der vorläufigen Anhaltung nach § 429 Abs 4 StPO ein Behandlungserfolg erzielt wird, der die Gefährlichkeit in einem Maß reduziert erscheinen lässt, dass von einer Unterbringung im Maßnahmenvollzug Abstand genommen werden kann", keineswegs (bloß) zur bedingten Nachsicht der Unterbringung führen, vielmehr bereits der Unterbringungsanordnung als solcher entgegenstehen. Denn ohne die vom Gesetz verlangte Gefährlichkeit darf die freiheitsentziehende vorbeugende Maßnahme nach dem Gesetzlichkeitsprinzip des § 1 Abs 1 StGB (Art 7 Abs 1 MRK) überhaupt nicht, also auch nicht bedingt, angeordnet werden (treffend: Medigovic, JBl 2001, 495; aus psychiatrischer Sicht sieht Haller, RZ 2002, 107, just in der strikten Trennung von - normativ verstandener - Gefährlichkeit und Substituierbarkeit der Maßnahme einen entscheidenden Fortschritt; eingehend Ratz in WK2 § 45 Rz 9 ff).

Die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285d Abs 1 StPO) hat die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Linz zur Entscheidung über die Berufung zur Folge (§ 285i StPO).

Rechtssätze
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