JudikaturJustiz13Os7/21k

13Os7/21k – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Pateisky in der Strafsache gegen Visar Z***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Leotrim Z***** sowie die Berufungen des Angeklagten Visar Z***** und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 14. September 2020, GZ 6 Hv 47/20s 71, ferner über die Beschwerden der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen zugleich ergangene Beschlüsse nach § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus ihrem Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Visar Z***** betreffenden Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (4) und in der Subsumtion der vom Leotrim Z***** betreffenden Schuldspruch wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 3 SMG (2) umfassten Tat nach § 28a Abs 2 Z 3 SMG, demzufolge auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen), ferner in den Aussprüchen über die Konfiskation und über die Einziehung, sowie die Beschlüsse nach § 494a StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit ihren Berufungen und ihren Beschwerden werden die Angeklagten sowie die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung verwiesen.

Dem Angeklagten Leotrim Z***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden Visar Z***** und Leotrim Z***** jeweils mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG (3), Letzterer darüber hinaus des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 3 SMG (2) und Ersterer eines solchen Verbrechens nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (1) sowie jeweils eines Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (4) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (5) schuldig erkannt.

[2] Danach haben – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde und für die amtswegige Maßnahme von Bedeutung – in G***** und andernorts

(2) Leotrim Z***** vom Jahresanfang 2019 bis zum 28. Jänner 2020 mit auf Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtetem Vorsatz, der auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Zeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt umfasste, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er in einer Vielzahl von Angriffen „insgesamt mindestens 5.500 bis 6.000 Gramm Cannabiskraut (mit einem Reinheitsgehalt von mindestens 10 % und einem unbekannten Verhältnis der Wirkstoffe Delta-9-THC und THCA)“ verschiedenen Abnehmern verkaufte, und

(4) Visar Z***** bis zum 30. Jänner 2020, wenn auch nur fahrlässig, eine verbotene Waffe (§ 17 WaffG), nämlich „einen Teleskopschlagstock mit einer Gesamtlänge von 65,5 cm“, unbefugt besessen.

[3] Das Schöffengericht sprach die Konfiskation (§ 19a StGB) eines Mobiltelefons und einer digitalen Feinwaage des Angeklagten Leotrim Z***** und eines Mobiltelefons des Angeklagten Visar Z***** sowie die Einziehung (§ 26 StGB) des erwähnten Teleskopschlagstocks aus.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen den (ihn betreffenden) Schuldspruch 2 wendet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Leotrim Z*****.

[5] Das Erstgericht ging davon aus, der – wenngleich „an Suchtmittel gewöhnt[e]“ – Beschwerdeführer habe den aus seinen Suchtgiftverkäufen erzielten Gewinn „überwiegend zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes“ zu verwenden getrachtet (US 6 und 11). Auf dieser Sachverhaltsgrundlage verneinte es die Privilegierung nach § 28a Abs 3 (iVm § 27 Abs 5) SMG (US 12, dazu RIS-Justiz RS0125836 und RS0124622).

[6] Die dagegen gerichtete Mängelrüge behauptet, die Tatrichter hätten bestimmte – im Rechtsmittel isoliert hervorgekehrte – Angaben des Beschwerdeführers und des Zeugen Lukas P***** „ungewürdigt übergangen“ (Z 5 zweiter Fall), aus deren eigenständiger „mathematische[r] Auswertung“ sie die These entwickelt, der Beschwerdeführer habe mehr als die Hälfte des Gewinns zur Deckung seines Eigenbedarfs an Suchtmitteln benötigt.

[7] Sie versäumt es bereits, an der Gesamtheit der diesbezüglichen Beweiswerterwägungen der Tatrichter (US 11) Maß zu nehmen, und bringt solcherart den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS-Justiz RS0119370).

[8] Soweit das übrige Vorbringen der Mängelrüge deutlich genug entscheidende Tatsachen anspricht, strebt es eine „Reduktion“ der tatverfangenen Suchtgiftmenge auf ein die Qualifikationsgrenze des § 28a Abs 2 Z 3 SMG unterschreitendes Quantum an.

[9] Dies geht schon deshalb ins Leere, weil die festgestellte Quantität des betreffenden Suchtgifts das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) gar nicht übersteigt:

[10] Den Urteilskonstatierungen zufolge verkaufte der Beschwerdeführer anderen Personen insgesamt „zumindest 5.500 Gramm bis 6.000 Gramm Cannabiskraut“ (US 9). Dessen Wirkstoffgehalt an Delta-9-THC und THCA betrug zusammen „zumindest“ 10 %. Innerhalb dieser Reinsubstanz (von demnach mindestens 550 Gramm) betrug der Anteil an Delta-9-THC zumindest 8 %, der Anteil an THCA demnach höchstens 92 %. Im darüber hinausgehenden Umfang lasse sich das konkrete Verhältnis der beiden Wirkstoffe zueinander, wie es zu den jeweiligen Verkaufszeitpunkten bestand, nicht mehr feststellen (US 10).

[11] Demzufolge hätte die – auch vom Vorsatz des Beschwerdeführers umfasste (US 7) – tatverfangene Suchtgiftmenge „zumindest“ 44 Gramm Delta-9-THC und 506 Gramm THCA betragen, was rechtlich gesehen dem 14,85-Fachen der Grenzmenge (§ 28b SMG) entspricht. Bei – nach den Feststellungen indes bloß möglichem höherem Anteil an Delta-9-THC (und entsprechend geringerem Anteil an THCA) wäre dieser Wert größer, weil in der Suchtgift-Grenzmengenverordnung die Grenzmenge für Delta-9-THC mit 20 Gramm, für THCA jedoch mit 40 Gramm festgesetzt ist.

[12] Auf der Basis des Urteilssachverhalts hat der Beschwerdeführer damit zwar § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, nicht aber § 28a Abs 2 Z 3 SMG verwirklicht.

[13] Weshalb die vom Schuldspruch umfasste Tat gleichwohl „§ 27 Abs 1 Z 1 Fall SMG“ (und nicht jedenfalls § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG) zu unterstellen sein sollte, versäumt die Subsumtionsrüge (Z 10) aus dem Gesetz abgeleitet darzulegen (siehe aber RIS-Justiz RS0116565).

[14] Hinzugefügt sei:

[15] Zwar trifft es zu, dass sich die in § 28a Abs 1 SMG angeführten Tathandlungen auf in der Suchtgiftverordnung erfasste, die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende und im Tatzeitpunkt tatsächlich vorhandene Wirkstoffe beziehen, weshalb im Urteil Feststellungen zur Beschaffenheit tatverfangener Substanzen im Zeitpunkt der Tatbegehung und zu einem darauf bezogenen Vorsatz erforderlich sind (RIS-Justiz RS0132031). Wahldeutige Feststellungen (hier Delta-9-THC und THCA in dieser oder in jener Quantität) reichen dafür jedoch aus, wenn sie – wie hier im für die Subsumtion nach dieser Bestimmung relevanten Umfang – zum gleichen rechtlichen Schluss führen (RIS Justiz RS0098710).

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[17] Aus ihrem Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht mit – nicht geltend gemachter – materieller Nichtigkeit (nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a, 10 und 11 StPO) behaftet ist, die zum Nachteil der Angeklagten wirkt und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[18] Die zum Schuldspruch 2 des Leotrim Z***** getroffenen Feststellungen tragen – wie bereits in Erledigung der Mängelrüge dieses Angeklagten ausgeführt – nur die rechtliche Unterstellung der Tat nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, nicht auch jene nach § 28a Abs 2 Z 3 SMG (Z 10).

[19] Zum Schuldspruch 4 des Visar Z***** ging das Erstgericht davon aus, der „Teleskopschlagstock“, den dieser Angeklagte nach dem Urteilssachverhalt besaß (US 7), sei eine gemäß § 17 (Abs 1 Z 6) WaffG verbotene Waffe und somit taugliches Tatobjekt des § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (US 12 f). Ob dies insofern zutrifft, als der betreffende Gegenstand zu den als „Totschläger“ und „Stahlruten“ bekannten Hiebwaffen (§ 17 Abs 1 Z 6 WaffG) zählt, kann jedoch ohne Feststellungen zu Materialbeschaffenheit, Gewicht, Funktion und Wirkungsweise nicht beurteilt werden (RIS-Justiz RS0133245, zu den Beurteilungskriterien eingehend 14 Os 56/20x mwN; vgl auch RIS Justiz RS0082026 und RS0082028). Mangels derartiger Feststellungen im Ersturteil ist der diesbezügliche Schuldspruch wegen eines Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG verfehlt (Z 9 lit a).

[20] Hiervon ausgehend tragen die Feststellungen ebenso wenig die (rechtliche) Annahme, der betreffende „Teleskopschlagstock“ sei vom Angeklagten Visar Z***** zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung verwendet (§ 26 Abs 1 StGB) worden (zur angesprochenen Einziehungsvoraussetzung Ratz in WK 2 StGB § 26 Rz 3 ff). Das Ersturteil ist daher im diesbezüglichen Einziehungserkenntnis (US 5) mit Nichtigkeit aus Z 11 erster Fall belastet.

[21] Im Konfiskationserkenntnis (US 5) wiederum haftet ihm Nichtigkeit aus Z 11 dritter Fall an, weil das Schöffengericht die in § 19a Abs 2 StGB zwingend vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung gänzlich unterließ (RIS Justiz RS0088035 [insbesondere T7]).

[22] Dies führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO). Die Kassation der Strafaussprüche hatte jene der nach § 494a StPO gefassten Beschlüsse zur Folge.

[23] Mit ihren Berufungen und ihren Beschwerden waren die Angeklagten sowie die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

[24] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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