JudikaturJustiz13Os63/94

13Os63/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. April 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.April 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel und Dr.Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Jannach als Schriftführerin, in der bei dem Landesgericht Feldkirch zum AZ Vr 1721/93 anhängigen Strafsache gegen Malen K***** wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1, 130 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Malen K***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 15.März 1994, AZ 8 Bs 130/94, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 15.März 1994, AZ 8 Bs 130/94, wurde Malen K***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Dieser Beschluß des Oberlandesgerichtes wird aufgehoben.

Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 8.000 S, zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer, aufgetragen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Gegen Malen K***** wird beim Landesgericht Feldkirch seit 23.November 1993 die Voruntersuchung wegen Verbrechens nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1, 130 StGB ua geführt (S 1). Auf Grund eines Haftbefehles dieses Gerichtes (ON 4) wurde er am 29.November 1993 um 19.15 Uhr festgenommen (S 59). Mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 2. Dezember 1993 wurde über ihn gemäß § 180 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO die Untersuchungshaft verhängt, die sich auf den dringenden Verdacht stützte, er habe zwischen 22.September und 2.Oktober 1992 in Feldkirch durch Einbruch einen Möbeltresor mit Goldmünzen, Schmuck, Wertpapieren und anderen Gegenständen (Wert der Goldmünzen ca. 600.000 S, Wertpapiere in der Folge von einer anderen Person für 480.000 S realisiert) gestohlen (ON 11). Über Beschwerde dagegen entschied die Ratskammer des Landesgeichtes Feldkirch am 6.Dezember 1993, daß die Untersuchungshaft aus den Haftgründen des § 180 Abs 2 Z 1 und 2 StPO fortzudauern habe (ON 15, 16).

Am 10.Feber 1994 beantragte Malen K***** seine Enthaftung, weil die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht gegeben seien. Nach ablehnender Stellungnahme des Staatsanwaltes dazu legte der Untersuchungsrichter (entgegen der Vorschrift des Art IV Abs 1 und 3 StPÄG 1993, s JAB 19 bei Pleischl-Soyer, StPO, S 312), diesen Antrag dem Vorsitzenden der Ratskammer beim Landesgericht vor (S 4 c verso), ohne selbst eine Haftverhandlung (im Sinne der §§ 181, 182 StPO idF des StPÄG 1993) anzuberaumen und durchzuführen.

Nach Durchführung einer neuerlichen Haftprüfungsverhandlung, in der der Untersuchungsrichter zur Haftfrage nicht Stellung bezog (s Protokoll ON 31), beschloß die Ratskammer am 18.Februar 1994, also noch vor Ablauf der gesetzlichen Haftfrist nach Art IV Abs 3 Z 1 StPÄG 1993, daß die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 1 StPO fortzudauern habe und bestimmte als Ablauftag der Haftfrist den 18.April 1994 (ON 32).

Gegen diesen Beschluß erhob Malen K***** in Bestreitung des dringenden Tatverdachtes und des Haftgrundes (rechtzeitig) Beschwerde, in der er insbesondere die Unzuständigkeit der Ratskammer zur Entscheidung über seinen Enthaftungsantrag (vom 10.Februar 1994) geltend machte und seine Enthaftung allenfalls gegen Kaution beantragte (ON 33).

Das Oberlandesgericht Innsbruck sprach in seinem darüber gefaßten Beschluß (ON 35) zwar aus, daß der Beschwerde Folge gegeben werde, verfügte aber zugleich die Fortsetzung der Untersuchungshaft (aus demselben Haftgrund wie die Ratskammer), bestimmte den Tag des Ablaufes der Haftfrist mit 15.Mai 1994 und hob die Untersuchungshaft gegen gelindere Mittel im Sinne des § 180 Abs 5 Z 1, 2, 5 und 7 StPO, unter gleichzeitiger Festsetzung der Höhe der Sicherheitsleistung auf. Es ging dabei (zunächst rechtsrichtig) davon aus, daß die Ratskammer des Landesgerichtes Feldkirch zur Entscheidung über die Haftfrage nicht mehr zuständig war. Im Gegensatz dazu gelangte es aber zum Schluß, diese Entscheidung wäre dennoch nicht aufzuheben, weil sie von einem sachlich und örtlich zuständigen Gericht "durch eine höher organisierte Instanz (Untersuchungsrichter: der Ratskammer)" gefällt wurde und dem Beschuldigten (weil das Vorliegen der Untersuchungshaft Voraussetzungen des dringenden Tatverdachtes und eines Haftgrundes bejaht wurde) keinen Nachteil erbracht hätte.

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde ist im Recht. Sie macht, neben (neuerlicher) Bestreitung des dringenden Tatverdachtes und des Vorliegens eines Haftgrundes, der Bestimmung der Kautionshöhe durch das Oberlandesgericht selbst, deren sowie mangelnde fallbezogene Begründung zum Tatverdacht, im wesentlichen geltend, die Durchführung der Haftprüfungsverhandlung und Entscheidung der Ratskammer verletze das Grundrecht des Beschuldigten auf persönliche Freiheit, weil diese ihm nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden könne (Art 2 Abs 1 PersfrG), ihm sei aber das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter vorenthalten worden.

Mit Art IV Abs 3 Z 1 StPÄG 1993 wurden alle jene Verfahren, in denen vor dem 1.Jänner 1994 die Untersuchungshaft verhängt (oder aufrecht erhalten) wurde, in das neue Untersuchungshaftrecht übergeführt, indem ihnen mit 1.Jänner 1994 eine zweimonatige, am 28.Februar 1994 endende Haftfrist zugeordnet wurde (s JAB, aaO). Seit 1.Jänner 1994 ist zur Entscheidung über einen Enthaftungsantrag auch in solchen Fällen ausschließlich der Untersuchungsrichter nach Durchführung einer von ihm zu führenden kontradiktorischen Haftverhandlung (§ 182 StPO idgF) berufen. Seither steht der Ratskammer in Haftsachen keine Kompetenz mehr zu (JAB zu § 12 StPO 3 f; Pleischl-Soyer, aaO, S 19). Sie ist daher diesbezüglich gegenüber dem ausschließlich zuständigen (das heißt jede andere Zuständigkeit ausschließenden) Untersuchungsrichter keineswegs mehr, wie das Oberlandesgericht meinte, eine "höher organisierte Instanz" (vgl auch Mayerhofer-Rieder3, Nr 8 zu § 13 StPO). Die Mißachtung dieser Kompetenzregelung stellt keinen bloßen Verstoß gegen eine Geschäftsverteilungsvorschrift sondern die Verletzung einer ausdrücklich durch die Verfahrensvorschriften angeordneten Zuständigkeit dar (s auch Mayerhofer-Rieder3, Nr 31 und 67 zu § 292 StPO).

Bei dieser Verfahrenslage durfte das Oberlandesgericht nicht in der Sache selbst entscheiden. Eine meritorische Entscheidung des Beschwerdegerichtes setzt voraus, daß die bekämpfte Entscheidung durch das zuständige Entscheidungsorgan erster Instanz gefällt wurde. Das Oberlandesgericht Innsbruck hätte sich demnach nicht über den Mangel einer unterinstanzlichen Entscheidung des dazu berufenen Entscheidungsorgans hinwegsetzen und in Übergehung einer Instanz sogleich eine Entscheidungskompetenz arrogieren dürfen. Es wäre vielmehr verpflichtet gewesen, in Sicherung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes des Beschuldigten auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG), das auch verletzt ist, wenn zwar in oberer Instanz das zuständige Organ eingeschritten ist, aber von der entscheidenden unteren Instanz die sachliche Zuständigkeit gesetzwidrig in Anspruch genommen wurde (vgl VfSlg 9599, 11.061 ua), vorerst die Entscheidung des gesetzlichen Richters erster Instanz, im vorliegenden Fall des Untersuchungsrichters, herbeizuführen. Erst dessen Entscheidung über die Haft hätte es sachlich im Rechtsmittelzug überprüfen können (15 Os 13/93).

Der (erste) Beschluß der Ratskammer vom 6.Dezember 1993 (ON 16) auf Fortsetzung der Untersuchungshaft war ex lege (siehe oben) nur bis 28. Februar 1994 wirksam. Die spätere Entscheidung des Oberlandesgerichtes, die Untersuchungshaft bis 15.Mai 1994 fortzusetzen, war für die weitere Anhaltung des Beschuldigten in Untersuchungshaft ursächlich. Somit war sie, weil bei der Entscheidung über die weitere Anhaltung des Beschuldigten ("sonst") das Gesetz unrichtig angewendet wurde, auch grundrechtsverletzend im Sinn des § 2 Abs 1 (letzter Fall) GRBG und demzufolge spruchgemäß zu entscheiden, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Gemäß § 7 Abs 2 GRBG sind demnach die Gerichte verpflichtet, mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mittel unverzüglich den der Rechtsanschauung des Obersten Gerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Allfällige noch formal aufrechte entgegenstehende Beschlüsse wären unbeachtlich (14 Os 63/93).

Die Kostenentscheidung gründet sich dem Grunde nach auf § 8 GRBG, der Höhe nach auf die Verordnung des Bundesministeriums für Justiz, BGBl 35/93.

Rechtssätze
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