JudikaturJustiz13Os27/22b

13Os27/22b – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Mai 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Kontr. Gsellmann in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom 19. Jänner 2022, GZ 12 Hv 123/21h 63, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen, der im Übrigen unberührt bleibt, zur Eventualfrage nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung und zur Zusatzfrage sowie das darauf beruhende Urteil im Schuldspruch, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), im Ausspruch nach § 369 Abs 1 StPO sowie im Kostenausspruch, aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang an das Geschworenengericht des Landesgerichts Klagenfurt zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung mit dem Auftrag verwiesen, die unberührt gebliebenen Teile des Wahrspruchs der Entscheidung mit zugrunde zu legen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil – das auch einen unbekämpft gebliebenen Freispruch des Angeklagten von einem weiteren Vorwurf enthält – wurde * S* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 18. Juli 2021 in K * * K* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, indem er ihm mit einem Küchenmesser jeweils einen Stich in den Unterbauch und in den Brustkorb versetzte, wodurch der Genannte eine vollständige Durchtrennung der Bauchdecke, eine Perforation des Bauchfells sowie eine Teilabtrennung und Eröffnung einer Dünndarmschlinge erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die aus § 345 Abs 1 Z 8 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[4] In Bezug auf die vom Schuldspruch umfasste Tat verneinten die Geschworenen – soweit hier von Bedeutung – die (nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB gestellte) erste Hauptfrage. Hingegen bejahten sie die (nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB gestellte) „zweite“ Eventualfrage. Die (für den Fall der Bejahung der ersten Hauptfrage oder der „zweiten“ Eventualfrage gestellte) Zusatzfrage (nach Notwehr [§ 3 Abs 1 StGB], Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt [§ 3 Abs 2 StGB] oder irrtümlicher Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts [§ 8 StGB]) wiederum verneinten sie.

[5] Die – der Sache nach (allein) zugunsten des Angeklagten (§ 282 Abs 1 erster Satz StPO iVm § 344 zweiter Satz StPO) ausgeführte – Instruktionsrüge (Z 8) ist im Recht.

[6] Gegenüber dem gesetzlichen Programm unrichtig ist die Rechtsbelehrung (§ 321 StPO, § 323 Abs 1 StPO und § 327 Abs 1 StPO) jedenfalls, insoweit sie fehlt oder aus der Sicht maßgerechter Laienrichter undeutlich oder in sich widersprechend ist ( Ratz , WK-StPO § 345 Rz 56 mwN).

[7] Letzteres trifft hier auf die Rechtsbelehrung zur „zweiten“ Eventualfrage nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB zu:

[8] In der Niederschrift (§ 321 Abs 1 StPO) heißt es diesbezüglich, der Täter müsse „mit der Absicht handeln, dem anderen eine schwere Körperverletzung zuzufügen; bedingter Vorsatz genüg[e] nicht“. Konträr dazu heißt es jedoch weiter, „[d]ie Tatfolge (Körperverletzung/Gesundheitsschädigung)“ müsse „fahrlässig herbeigeführt worden sein“ (ON 62 S 39).

[9] Die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung, in Bezug auf den Taterfolg verlange § 87 Abs 1 StGB absichtliches (§ 5 Abs 2 StGB) Handeln, lasse aber (zugleich) Fahrlässigkeit (§ 6 StGB) genügen, ist in sich widersprüchlich. Richtig ist nur Ersteres (RIS Justiz RS0116244 [T1], RS0092598).

[10] Ein dem Angeklagten nachteiliger Einfluss des Instruktionsfehlers auf die Entscheidung – der vom Obersten Gerichtshof unter dem Gesichtspunkt einer die (hier zum Vorteil des Angeklagten tätig gewordene) Rechtsmittelwerberin treffenden Beschwer geprüft wird (RIS Justiz RS0122334) – ist nicht ausgeschlossen.

[11] Die von der Beschwerde zutreffend geltend gemachte Nichtigkeit (Z 8) führte daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des Wahrspruchs der Geschworenen sowie des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO iVm § 344 zweiter Satz StPO).

[12] Da der Nichtigkeitsgrund nur den Wahrspruch zur „zweiten“ Eventualfrage (und zur Zusatzfrage), nicht aber den – auf dieselbe Tat bezogenen – Wahrspruch zur ersten Hauptfrage betrifft, hatte der Wahrspruch, soweit er die Frage nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB verneint, unberührt zu bleiben (§ 349 Abs 2 StPO; Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 349 Rz 1). Gleiches gilt für den (unbekämpften) Freispruch des Angeklagten (samt dem diesem zugrunde liegenden Wahrspruch).

[13] Im Umfang der Aufhebung war die Sache an das Geschworenengericht des Landesgerichts Klagenfurt zu verweisen (§ 349 Abs 1 StPO).

[14] Mit ihrer (zum Nachteil des Angeklagten ausgeführten) Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung zu verweisen.

[15] Hinzugefügt sei, dass die Sanktionsfindung dem (gesamten) Geschworenengericht zukommt (vgl § 338 StPO, § 432 zweiter Satz StPO). Hiervon ausgehend ist die tatsächliche Grundlage der Sanktionsbefugnis (Z 13 erster Fall) – soweit sie nicht schon die Subsumtion bestimmt (und demnach Gegenstand des Wahrspruchs ist [vgl RIS-Justiz RS0101469]) – in den Entscheidungsgründen festzustellen (§ 342 erster Satz StPO iVm § 270 Abs 2 Z 5 StPO).

[16] Für den Fall eines neuerlichen Schuldspruchs des Angeklagten im zweiten Rechtsgang wird (zur Vermeidung von Nichtigkeit aus § 345 Abs 1 Z 13 erster Fall StPO) zu beachten sein:

[17] 1. Die rechtsfehlerfreie Annahme gemäß § 39 StGB erweiterter Strafbefugnis (US 3 und 4) erfordert Tatsachenfeststellungen, auf deren Grundlage die Voraussetzungen des § 39 Abs 1 (oder Abs 1a) StGB erfüllt sind (13 Os 39/21s, 13 Os 49/21m, 50/21h). Der in den Entscheidungsgründen enthaltene Hinweis auf „13 einschlägige Vorstrafen“ (US 5) genügt diesem Erfordernis nicht.

[18] 2. Entsprechende Feststellungserfordernisse bestehen auch in Bezug auf die Voraussetzungen des § 31 Abs 1 StGB (vgl RIS Justiz RS0117918 [T1]). Das Ausmaß, in dem der Strafrahmen gemäß § 31 Abs 1 letzter Satz StGB nach oben eingeengt wird, bestimmt sich nach dem Maß der Strafe, die mit einem Urteil verhängt wurde, das zur nunmehrigen (nachträglichen) Verurteilung im Verhältnis des § 31 Abs 1 erster Satz StGB steht. Die bloße Erwähnung im Urteilsspruch (§ 260 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO), die Strafe werde „unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt zu 17 U 216/20a gemäß den §§ 31 Abs 1 und 40 StGB“ (als Zusatzstrafe) ausgesprochen (US 3), vermag fehlende Feststellungen (vgl US 4 f) schon von vornherein nicht zu ersetzen (vgl RIS Justiz RS0117119 [T1]) und sagt im Übrigen zum in Rede stehenden Strafmaß nichts aus.

[19] 3. Hat der Täter eine vorsätzliche strafbare Handlung unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung unter Einsatz oder Drohung mit einer Waffe begangen (§ 39a Abs 1 Z 4 StGB), so tritt an die Stelle der Androhung einer Freiheitsstrafe, deren Mindestmaß ein Jahr beträgt, die Androhung eines Mindestmaßes von zwei Jahren Freiheitsstrafe (§ 39a Abs 2 Z 4 StGB).

[20] Im Fall der Begehung eines Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (Strafsatz: Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren) unter Einsatz eines Küchenmessers (US 2, zur Maßgeblichkeit des funktionalen Waffenbegriffs im gegebenen Zusammenhang 11 Os 16/22w mwN) im Rückfall (§ 39 StGB) reicht der Strafrahmen daher von zwei bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe (siehe demgegenüber US 4: „1 bis zu 15 Jahren“). Ist – darüber hinaus – gemäß § 31 StGB auf ein (Vor-)Urteil Bedacht zu nehmen, darf (unter anderem) die Summe der Strafen jene Strafe nicht übersteigen, die nach den Regeln über die Strafbemessung beim Zusammentreffen strafbarer Handlungen zulässig wäre (§ 31 Abs 1 letzter Satz StGB), was zu einer entsprechenden Begrenzung des Strafrahmens nach oben führt.

Rechtssätze
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