JudikaturJustiz12Os98/20h

12Os98/20h – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Dezember 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in der Strafsache gegen Mag. Alfred U***** wegen Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 26 Hv 88/19y des Landesgerichts Innsbruck, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Innsbruck vom 1. Oktober 2019 (ON 52) wurde Mag. Alfred U***** zweier Ver brechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (I./2./ und 3./) sowie je eines Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB (I./1./) und der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt und zu einer zur Hälfte bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt.

Dagegen erhob der Angeklagte volle Berufung (ON 53).

Mit Urteil vom 6. Februar 2020, AZ 11 Bs 338/19x (ON 62 der Hv Akten) gab das Oberlandesgericht Innsbruck der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld nicht, hingegen der Berufung wegen Nichtigkeit teilweise Folge, hob das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt blieb, in den Schuldsprüchen wegen der Ver brechen der Verleumdung (I./2./ und 3./) und wegen des Ver gehens der Verleumdung (I./1./) und demgemäß im Strafausspruch auf und sprach den Angeklagten von den den aufgehobenen Schuldsprüchen zugrunde liegenden Vorwürfen frei. Für den aufrecht gebliebenen Schuldspruch wegen des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB verurteilte das Oberlandesgericht den Angeklagten zu einer zur Hälfte bedingt nachgesehenen Geldstrafe.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die dargestellten Urteile des Landesgerichts Innsbruck und des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht richtet sich der – nicht auf ein Erkenntnis des EGMR gestützte – Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens, mit welchem – ersichtlich in Ansehung des Schuldspruchs wegen des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB – eine Verletzung im Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK behauptet wird.

Voranzustellen ist, dass für einen nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraus-setzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß gelten (RIS Justiz RS0122737).

Der Antrag ist teils unzulässig, teils offenbar unbegründet:

1. Soweit er sich gegen das (auch tatsächlich mit Berufung an das Oberlandesgericht Innsbruck bekämpfte) Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Innsbruck vom 1. Oktober 2019 (ON 52) richtet, war er gemäß § 363b Abs 2 Z 2 StPO zurückzuweisen, weil Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber mit Berufung anfechten kann, unzulässig sind (Art 35 Abs 1 MRK; RS0124739 [T4]).

2. Da Opfereigenschaft im Sinn des Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 13 Rz 16), hat ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine Grundrechtsverletzung iSd § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS-Justiz RS0122737 [T17]).

Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Würdigung von Beweismitteln grundsätzlich den nationalen Gerichten vorbehalten. Der EGMR prüft lediglich, ob Beweisaufnahmen und Beweiswürdigung in einer Weise vorgenommen wurden, die das gesamte Strafverfahren unfair erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0120958, RS0105692; vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 69). An diesem Maßstab orientiert sich der Oberste Gerichtshof, wenn ein ohne vorherige Befassung des EGMR gestellter Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens dahingehende Defizite behauptet.

Eine Verletzung der Begründungspflicht liegt aus dem Blickwinkel des Art 6 Abs 1 MRK nur bei willkürlichen oder grob unvernünftigen (im Sinne der Rechtsprechung des EGMR: „arbitrary or manifestly unreasonable“) Urteils- oder Beschlussannahmen vor. Dies ist dann der Fall, wenn die Begründung eindeutig unzureichend oder offensichtlich widersprüchlich ist oder eindeutig einen Irrtum erkennen lässt (RIS-Justiz RS0129981).

Mängel in diesem Sinn behauptet der Antrag nicht einmal. Vielmehr wiederholt er bloß das Berufungsvorbringen ohne substantielle Auseinandersetzung mit den Begründungserwägungen des Berufungsgerichts und zieht auf Basis eigenständiger Erwägungen die vom Gericht bejahte Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen in Zweifel (vgl RIS-Justiz RS0106588 [T9]), womit er jenseits der gerade genannten Kriterien die Beweiswürdigung über die Grundrechtskonformität hinaus bekämpft – dazu dient der in Anspruch genommene Rechtsbehelf gerade nicht.

Die Behandlung von Erneuerungsanträgen bedeutet nämlich nicht Prüfung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde oder Berufungsinstanz. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle (vgl RIS Justiz RS0124359, RS0126458, RS0129606 [T2, T3]).

Soweit der Erneuerungswerber das Unterbleiben des im Rahmen der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld beantragten Lokalaugenscheins (ON 61 S 2 iVm ON 53 S 8; zum Beweisantragsrecht im Rechtsmittelverfahren vgl Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 6.43 ff) durch das Oberlandesgericht Innsbruck als Verstoß gegen Art 6 MRK kritisiert, macht er nicht klar, aus welchem Grund der den Zugang zu einem Gericht absichernde Art 6 MRK ein Recht auf eine zweite Instanz einräumen sollte (vgl RIS-Justiz RS0074613) und weshalb (ungeachtet des Gesetzesvorbehalts im letzten Satz des Art 2 Abs 1 7. ZPMRK) ein generelles (Grund-)Recht auf Beweisaufnahme im Berufungsverfahren (vgl §§ 473 Abs 2, 489 Abs 1 StPO) bestehen sollte (RIS Justiz RS0132214; vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 171).

Eine Verletzung von Art 6 Abs 1 MRK erblickt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Übrigen nur dann, wenn das Berufungsgericht (bei voller Kognitionsbefugnis in der Schuldfrage) von der Beweiswürdigung des Erstgerichts zum Nachteil des Angeklagten ohne unmittelbare Beweisaufnahme abweicht (vgl 17 Os 18/17a; EGMR 29. 3. 2016, 61112/12, Gómez Olmeda/Spanien [Z 33 ff]; RIS Justiz RS0105692; Wiederin , WK StPO § 6 Rz 65; Meyer Ladewig/Harrendorf/König in Meyer Ladewig/Nettesheim/von Raumer , EMRK 4 Art 6 Rz 176). Im vorliegenden Fall hegte das Berufungsgericht hingegen gerade keine Bedenken gegen die Feststellungen (samt korrespondierender Beweiswürdigung) des Erstgerichts (US 22; vgl §§ 489 Abs 1, 473 Abs 2 StPO; Ratz , WK-StPO § 473 Rz 6 und 8/1).

Hinzuzufügen bleibt, dass der EGMR die unterbliebene Zulassung eines (wie hier begehrten) Erkundungsbeweises unter dem Aspekt des Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d MRK nicht beanstandet (vgl RIS-Justiz RS0099353 [T17]; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 330; EGMR 4. 4. 2013, 30465/06, C. B./Österreich [Z 45]).

Soweit der Antrag erstmals im Verfahren die Protokollierung der Hauptverhandlung durch das Erstgericht (ON 51) als „unfair“ kritisiert, verfehlt er schon mangels Ausschöpfung des Rechtswegs sein Ziel (RIS-Justiz RS0122737 [T13]; vgl § 271 Abs 7 StPO, § 281 Abs 1 Z 4 StPO, RS0113211).

Der Antrag war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 363b Abs 1 und Abs 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Rechtssätze
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