JudikaturJustiz12Os77/07a

12Os77/07a – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Juli 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juli 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Schwab als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Höller als Schriftführerin in der Strafsache gegen Luis Jose C***** und andere Beschuldigte wegen der versuchten (§ 15 StGB) Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster und zweiter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Luis Jose C***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Beschwerdegericht vom 9. Mai 2007, AZ 11 Bs 174/07g (GZ 15 Ur 171/06a-274 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Luis Jose C***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 700 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 16. November 2006 leitete der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz gegen den jungen Erwachsenen Luis Jose C***** die Voruntersuchung wegen § 28 Abs 2 zweiter, dritter und vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und § 15 StGB ein (ON 12) und verhängte über ihn die Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs 1 und 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO (ON 17).

Mit Beschlüssen vom 29. November 2006 (ON 52) sowie vom 28. Dezember 2006 (ON 122) wurde die Untersuchungshaft aus denselben Haftgründen und sodann mit Beschluss vom 28. Februar (ON 237) gemäß § 180 Abs 1 und Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO fortgesetzt.

Mit Beschluss vom 30. April 2007 ordnete die Untersuchungsrichterin aus den zuletzt genannten Haftgründen neuerlich die Fortsetzung der Untersuchungshaft an (ON 274).

Der gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Graz mit dem angefochtenen Beschluss vom 9. Mai 2007 nicht Folge und ordnete seinerseits die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Haftgründen des § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO an. Dabei ging es von einem dringenden Tatverdacht in Richtung der versuchten (§ 15 StGB) Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster und zweiter Fall SMG aus.

Neben der polizeilichen Vernehmung anlässlich der Verhaftung am 16. und 17. November 2006 und der ersten gerichtlichen Vernehmung bei der Verhängung der Untersuchungshaft am 19. November 2006 fand nur eine weitere Befragung durch die Untersuchungsrichterin am 15. Februar 2007 statt (S 423a ff/I). Am 6. Dezember 2006 wurde der Beschuldigte von der Polizei ergänzend vernommen (ON 78). Bei den Haftverhandlungen wurden Luis Jose C***** zur Sache selbst keine Fragen gestellt (vgl ON 51, 121, 237 und 273). Bei den Vernehmungen wurde weder auf die Voraussetzungen für eine Qualifikation nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG (insbesondere auf die Absicht, wiederkehrend große Mengen in Verkehr zu setzen) noch auf jene zur Qualifikation nach § 28 Abs 3 zweiter Fall SMG bzw auf einen Ausschluss der Privilegierung des § 28 Abs 3 letzter Satz SMG beim süchtigen Beschwerdeführer eingegangen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den genannten Beschluss des Oberlandesgerichtes richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Luis Jose C*****, der Berechtigung zukommt.

Was die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft anlangt, prüft der Oberste Gerichtshof, ausgehend von der Vorgabe des GRBG, wonach nicht die Haft, vielmehr die vom Oberlandesgericht getroffene Entscheidung über die Haft den Prozessgegenstand bildet, in jüngerer, jedoch bereits gefestigter Rechtsprechung in zwei Schritten, ob angesichts der vom Beschwerdegericht angeführten bestimmten Tatsachen der von diesem gezogene Schluss auf ein ausgewogenes Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe vertretbar war (§ 180 Abs 1 zweiter Satz StPO) und - zusätzlich nach Maßgabe eigener Beweiswürdigung - ob die Gerichte alles ihnen Mögliche zur Abkürzung der Haft unternommen haben (§ 193 Abs 1 StPO). Eine ins Gewicht fallende Säumigkeit in Haftsachen ist auch ohne Verletzung des § 180 Abs 1 zweiter Satz StPO grundrechtswidrig im Sinn einer Verletzung des § 193 Abs 1 StPO (vgl RIS-Justiz RS0120790).

Zunächst zeigt der Beschwerdeführer zutreffend auf, dass im Hinblick auf die von Anfang an im Wesentlichen (nur eine selbst bewirkte mehrfache Weitergabe von Suchtgift an den Mitbeschuldigten Kelvin M***** leugnete er; S 423b/I) geständige und sich selbst damit in Richtung einer gewerbsmäßigen Begehungsweise belastende (vgl S 177, 191, 193/I; ON 12; ON 78) Verantwortung des Beschuldigten eine Verletzung des Beschleunigungsgebots vorliegt, zumal bei dieser Ausgangslage - ungeachtet der erst am 7. Mai 2007 eingelangten „Vollanzeige" (ON 280) - eine wesentlich frühere Schließung der Voruntersuchung samt einem Hinwirken auf eine raschere Entscheidung über die Anklage zwecks Durchführung einer Hauptverhandlung geboten gewesen wäre. Soweit der Gerichtshof II. Instanz von einer Notwendigkeit weiterer (wie der Beschwerdeführer zu Recht aufzeigt inhaltlich nicht konkretisierter) Aufklärungen zu den Qualifikationen nach § 28 Abs 3 erster und zweiter Fall SMG (BS 10 ff) ausgeht, legt er nicht dar, weshalb die seit der Inhaftierung Luis Jose C***** am 16. November 2006 verstrichene Zeit zu einer für die Schließung der Voruntersuchung zwecks Entscheidung über die Anklage entsprechenden Sachverhaltsermittlung unzureichend gewesen sein soll. In Anbetracht dieser unzulänglich geführten Voruntersuchung hätte es allerdings zur Ausschöpfung des Instanzenzuges iSd § 1 Abs 1 GRBG vorerst der Geltendmachung einer beschleunigten Verfahrensführung im Zuge einer Beschwerde bei der Ratskammer (§ 113 Abs 1 StPO) bedurft (vgl 11 Os 55/06p; 13 Os 70/06b). Erst bei fehlender Abhilfe durch diese Kontrollinstanz und dessen ungeachtet anschließender Erfolglosigkeit einer Beschwerde an das Oberlandesgericht im Haftprüfungsverfahren könnte eine bloß zögerlich geführte Voruntersuchung als Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot erfolgreich mit Grundrechtsbeschwerde gerügt werden.

Der Grundrechtsbeschwerde ist aber dahingehend beizupflichten, dass die im angefochtenen Beschluss zur Unvermeidbarkeit einer Fortführung der Untersuchung über sechs Monate hinaus dargetanen Gründe den Kriterien des § 194 Abs 3 StPO nicht genügen.

Entgegen den Ausführungen des Oberlandesgerichtes liegt - wie bereits aufgezeigt - zur gewerbsmäßigen Vorgangsweise eine grundsätzlich geständige (von der Untersuchungsrichterin aber im Umfang der Voraussetzungen des § 28 Abs 3 erster Fall SMG nicht weiter überprüfte - vgl oben) Verantwortung des Beschuldigten vor. Wenn darüber hinaus das Oberlandesgericht darauf abstellt, dass zur angelasteten Mitwirkung an einer kriminellen Vereinigung umfangreiche Erhebungen, insbesondere auch Rufdatenrückerfassungen und deren Auswertung zu führen seien (BS 10 f), zeigt es nicht auf, auf Grund welcher besonderer Schwierigkeiten konkrete Untersuchungsschritte dazu in der bislang vergangenen Ermittlungsphase von bereits mehr als sechs Monaten nicht durchführbar gewesen wären bzw worin der besondere Umfang der Untersuchung zu den vom Beschwerdeführer großteils eingestandenen Suchtgiftgeschäften liegen sollte, die im Hinblick auf das Gewicht der angenommenen Haftgründe eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus rechtfertigen könnten. Bleibt noch anzumerken, dass eine Verdachtslage nach § 28 Abs 3 zweiter Fall SMG mit dem ein Zusammenwirken mit mehreren anderen von ihm namentlich genannten Personen einbekennenden (vgl ON 78) Beschwerdeführer in keiner (sicherheitsbehördlichen oder gerichtlichen) Befragung erörtert wurde. Dass hinsichtlich leugnender Mitbeschuldigter weitere Erhebungen indiziert sein mögen (vgl BS 12), kann beim weitgehend geständigen Beschuldigten eine Fristverlängerung nach § 194 Abs 3 StPO nicht tragen.

Durch die vom Oberlandesgericht verfügte, § 194 Abs 3 StPO widerstreitende Fortsetzung der Untersuchungshaft wurde der Beschuldigte im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Angesichts der zwischenzeitigen Enthaftung des Beschwerdeführers war die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht erforderlich (§ 7 Abs 1 GRBG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.

Rechtssätze
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