JudikaturJustiz12Os73/13x

12Os73/13x – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Oktober 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Oktober 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Vasak als Schriftführerin in der Strafsache gegen Bilal Y***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 148 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Semih D***** und Diyar E***** sowie über die Berufung des Bilal Y***** wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 1. Oktober 2012, GZ 7 Hv 20/11i 86, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandegericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten Semih D***** und Diyar E***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche sowie Schuldsprüche weiterer Angeklagter enthält, wurde Semih D***** des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (II./) und der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB (III./3./) und Diyar E***** mehrerer Vergehen der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB (VI./) schuldig erkannt.

Danach haben soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant in F*****

Semih D***** zwischen Herbst 2009 und Anfang März 2010 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz jeweils in wiederholten Angriffen

...

II./ fremde bewegliche Sachen, und zwar kleine Bargeldbeträge in einem 3.000 Euro nicht übersteigenden Gesamtwert dem Benjamin M***** weggenommen;

III./ dem Benjamin M***** teils durch gefährliche Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB), teils mit Gewalt gegen seine Person, fremde bewegliche Sachen, und zwar geringe Bargeldbeträge weggenommen oder abgenötigt, wobei er die Taten ohne Anwendung erheblicher Gewalt an Sachen geringen Wertes beging, und zwar

...

3./ durch Versetzen von Stößen und Schlägen, drohende Gesten mit einem Billard Queue und den drohenden Äußerungen, er würde ihn niederschlagen, wenn er ihm kein Geld gäbe;

...

VI./ Diyar E***** von Herbst 2009 und bis Anfang März 2010 bei wiederholten Gelegenheiten es mit dem Vorsatz, dass vorsätzlich mit Strafe bedrohte Handlungen, „konkret Raube und Diebstähle von Semih D*****“ begangen werden, unterlassen, ihre unmittelbar bevorstehende oder schon begonnene Ausführung zu verhindern.

Die dagegen vom Angeklagten Semih D***** aus Z 5 und vom Angeklagten Diyar E***** aus Z 1, 4, 5, 5a, 9 lit a, 9 lit b und 10a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden verfehlen ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Semih D*****:

Entgegen dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) hat sich das Schöffengericht mit den Angaben des Zeugen Roman H***** auseinandergesetzt (US 20). Es ist kein Begründungsmangel, wenn das Gericht nicht den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt alle Verfahrensergebnisse im Einzelnen erörtert und darauf untersucht, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen, und sich nicht mit jedem, gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinandersetzt. Es genügt vielmehr, wenn der Gerichtshof im Urteil in gedrängter Form die entscheidenden Tatsachen bezeichnet und logisch einwandfrei und zureichend begründet, warum er von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugt ist, ohne dagegen sprechende Umstände mit Stillschweigen zu übergehen (RIS Justiz RS0098377).

Die Angaben des Zeugen Markus S***** haben die Tatrichter bei ihrer Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Benjamin M***** ebenso berücksichtigt wie jene des Helmut G***** (US 20 iVm US 18), weshalb auch in diesem Zusammenhang von Unvollständigkeit der Urteilsbegründung nicht gesprochen werden kann (vgl RIS Justiz RS0119422).

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, die weiteren Angeklagten hätten in der Hauptverhandlung ausgesagt, in Bezug auf Benjamin M***** und Semih D***** „nichts beobachtet“ zu haben, und dem Schöffengericht neuerlich Unvollständigkeit der Urteilsbegründung (Z 5 zweiter Fall) vorwirft, bleibt offen, warum diese Angaben erörterungspflichtig sein sollten.

Die leugnende Verantwortung des Angeklagten D***** haben die Tatrichter sehr wohl berücksichtigt (US 20). Indem die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) behauptet, die Angaben des Angeklagten wären „in sich schlüssig und frei von Widersprüchen“ wird ein Begründungsmangel nicht aufgezeigt, sondern lediglich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen - Schuldberufung die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung bekämpft.

Die Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) vermeint, die dem Schuldspruch III./3./ zu Grunde liegenden Feststellungen stünden im Widerspruch zu dem erstgerichtlichen Ausspruch, wonach nicht festgestellt werden konnte, dass Semih D***** Benjamin M***** durch gefährliche Drohung zu Handlungen nötigte, die diesem am Vermögen schädigten (US 15), lässt dabei jedoch die erstgerichtliche Urteilsbegründung außer Acht, wonach der Angeklagte von den Erpressungsvorwürfen deshalb freigesprochen wurde, weil Benjamin M***** in der Hauptverhandlung angegeben hatte, dass ihm lediglich Bargeldbeträge abgenötigt oder weggenommen wurden, die er bei sich trug, und ihm nicht auch aufgetragen wurde, nicht präsente Sachen zu überbringen (US 24).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Diyar E*****:

Der Einwand der Besetzungsrüge (Z 1), ein Schöffe habe während der Hauptverhandlung geschlafen, entzieht sich einer inhaltlichen Antwort, weil der angeblich die Nichtigkeit begründende Umstand nicht (rechtzeitig) gerügt worden ist (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 136, 139).

Die Verfahrensrüge bezieht sich auf den schriftlich eingebrachten Antrag vom 17. Oktober 2011 (ON 44), welcher in der Hauptverhandlung vom 1. Oktober 2012 nicht gestellt wurde, und verkennt damit, dass in Schriftsätzen gestellte Anträge unter dem Aspekt der Z 4 irrelevant sind (RIS Justiz RS0099250 [T16]).

Indem die Nichtigkeitsbeschwerde dem Erstgericht vorwirft, es habe lediglich den Gesetzeswortlaut wiedergegeben, ohne dass das konkrete Verhalten des Angeklagten „durch entsprechende Feststellungen erfasst“ würde, es fehle daher die Angabe konkreter Orte und konkreter Zeitpunkte der angeblichen Tathandlungen (nominell Z 5 vierter Fall, inhaltlich Z 9 lit a), lässt sie die Feststellungen auf US 13 außer Acht. Die Rüge legt nicht dar, warum betreffend den Tatzeitraum über die getroffenen Konstatierungen „Herbst 2009 bis Anfang März 2010“ hinaus konkretere Feststellungen erforderlich sein sollten. Das gilt auch für das Vorbringen zum vom Erstgericht angeführten Tatort „im Jugendzentrum Sp***** in F*****“ (US 8, 13). Eine Konkretisierung des Tatzeitpunkts oder Tatorts ist im Übrigen nur dann nichtigkeitsrelevant geboten, wenn dies faktisch oder rechtlich entscheidend ist (RIS Justiz RS0098557).

Betreffend die Ausführungen zur subjektiven Tatseite verkennt der Rechtsmittelwerber, dass der „Zweifelsgrundsatz“ (in dubio pro reo) niemals Gegenstand der formellen Nichtigkeitsgründe der Z 5 und Z 5a des § 281 StPO sein kann (RIS Justiz RS0102162).

Mit dem Vorbringen, die Aussagen des Zeugen Benjamin M***** wären keinesfalls aussagekräftig und glaubwürdig, wird die dem Schöffengericht vorbehaltene Beweiswürdigung bekämpft, ohne Nichtigkeit aufzuzeigen. Der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch psychologische Vorgang als solcher ist der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen (RIS Justiz RS0106588).

Indem die Tatsachenrüge neuerlich die Glaubwürdigkeit des Zeugen Benjamin M***** in Zweifel zieht, verlässt sie den Anfechtungsrahmen der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO (RIS Justiz RS0106588 [T9]).

Die von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermissten Konstatierungen zum Vorsatz des Angeklagten finden sich auf US 13 f.

Weiters rügt der Angeklagte, das Erstgericht hätte eine Verfahrenseinstellung gemäß § 6 Abs 3 JGG (Z 9 lit b) verabsäumt, legt aber mit keinem Wort dar, weshalb mit Blick auf die wiederholte Begehung strafbarer Handlungen während eines mehrmonatigen Tatzeitraums ein solches Vorgehen spezialpräventiven Erfordernissen genügen sollte.

Die Diversionsrüge (Z 10a) erklärt nicht, weshalb mag auch ein Geständnis nicht als generelle Voraussetzung für diversionelle Erledigung angesehen werden dürfen fallbezogen eine das Unrecht des Verhaltens akzeptierende Einsicht als Voraussetzung entbehrlich wäre, um diversionshindernde spezialpräventive Bedenken im Sinn des § 7 Abs 1 JGG auszuräumen (vgl RIS Justiz RS0116299; Schroll , WK StPO § 198 Rz 36).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Bleibt mit Blick auf § 290 StPO anzumerken, dass nach § 286 Abs 1 StGB die nicht verhinderte Tat mit einer strengeren als einer einjährigen Freiheitsstrafe bedroht sein muss, was auf § 127 StGB nicht zutrifft. Es besteht jedoch kein Anlass für eine amtswegige Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO, weil der Subsumtionsfehler angesichts der Strafdrohung des § 142 Abs 2 StGB per se keinen Nachteil im Sinn der genannten Bestimmung darstellt (RIS Justiz RS0113957). Das Oberlandesgericht ist an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO nicht gebunden (RIS Justiz RS0118870).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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