JudikaturJustiz12Os71/08w

12Os71/08w – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Juni 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juni 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Nemanja P***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG aF und einer weiteren strafbaren Handlung über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe :

Nemanja P***** wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 15. Mai 2007, GZ 8 Hv 2/07v 169, des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG aF sowie des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 2 StGB schuldig erkannt und dafür mit Abänderung im Instanzenzug zu einer fünfeinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2008 begehrt der Verurteilte beim Obersten Gerichtshof, das Verfahren gemäß § 363a StPO zu erneuern.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach dargelegt (13 Os 135/06m, EvBl 2007/154, 832; 11 Os 132/06f, EvBl 2008/8, 32), dass die gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1, Abs 2 MRK sinngemäß auch für Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO gelten.

Der Antragsteller räumt vorerst selbst ein, das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht habe am 10. März 2008 (AZ 10 Bs 47/08z = ON 184 der Hv Akten des Landesgerichts für Strafsachen Graz) die ursprünglich sechsjährige Freiheitsstrafe vor allem deswegen auf fünfeinhalb Jahre herabgesetzt, weil die Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils viereinhalb Monate gedauert und ihn daher im Grundrecht auf Entscheidung in angemessener Frist (Art 6 Abs 1 MRK) verletzt hatte.

Soweit der Erneuerungswerber dies ohne weitere Ausführungen als „Verletzung des fairen Verfahrens gemäß Art 6 der MRK" geltend macht, unterlässt er ein deutliches und bestimmtes Vorbringen, aus welchem Grund er ungeachtet der zitierten Berufungsentscheidung zum Zeitpunkt der Antragstellung noch diesbezüglich Opfer dieser Grundrechtsverletzung gewesen sei (Art 34 MRK; vgl 14 Os 138/07m).

Eine weitere Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK erblickt der Verurteilte darin, dass im Verfahren erster Instanz das Gebot des § 193 „Abs 3" (gemeint: Abs 1) StPO aF dadurch verletzt worden wäre, dass in der ersten Hauptverhandlung am 31. Jänner 2007 lediglich er als Angeklagter vernommen und die Verhandlung danach zur Vernehmung von Zeugen zweimal vertagt worden sei.

Mangels Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges (Art 35 Abs 1 MRK) entzieht sich dieses Vorbringen allerdings inhaltlicher Erledigung. Denn in seiner Berufung gegen den Strafausspruch (ON 176, auch 183) machte der nunmehrige Erneuerungswerber den genannten Umstand nicht geltend (vgl Grabenwarter , EMRK³ § 13 Rz 23, 31).

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die (vorläufige) Beschränkung (siehe Antrags- und Verfügungsbogen S 3v und ON 148) der Hauptverhandlung auf eine - noch dazu sehr eingehende (hier S 49 bis 79/IV) - Vernehmung des inhaftierten Angeklagten zum (umfangreichen) Strafvorwurf keineswegs eine Verletzung des § 193 Abs 1 StPO aF (nunmehr § 9 StPO) bedeuten muss (13 Os 70/06b).

Soweit der Erneuerungswerber solcherart eine Verletzung von Art 5 MRK ansprechen wollte, geht sein Begehren vom Ansatz her fehl:

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ist zwar eine Planwidrigkeit des § 363a StPO anzunehmen und Lückenschließung dahin geboten, dass es eines Erkenntnisses des EGMR für eine Erneuerung des Strafverfahrens nicht zwingend bedarf, womit auch eine vom Obersten Gerichtshof selbst - aufgrund eines Erneuerungsantrages - festgestellte Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichts dazu führen kann (RIS Justiz RS0122229). Dabei handelt es sich aber um einen subsidiären Rechtsbehelf (11 Os 132/06f), weshalb in Bezug auf das Grundrecht auf Freiheit die Bestimmungen des GRBG zur Anwendung gelangen, das insoweit den Rechtszug an den Obersten Gerichtshof ausdrücklich regelt (15 Os 149/07m, 14 Os 56/08d).

In der Hauptverhandlung vom 26. März 2007 war gegen den Antrag des Angeklagten auf Aufhebung der Untersuchungshaft deren Fortsetzung beschlossen worden (ON 157). In seiner Beschwerde dagegen an das Oberlandesgericht (ON 160) relevierte der Inhaftierte die angeblich schleppende Verhandlungsführung nicht; gegen die bestätigende Rechtsmittelentscheidung (ON 165) erhob er keine Grundrechtsbeschwerde.

Schließlich zeigt der Verurteilte die verzögerte Erledigung seines Enthaftungsantrags vom 17. Jänner 2008 (ON 181) auf. Das Landesgericht für Strafsachen Graz hatte mit dessen Bearbeitung nämlich bis nach dem Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Graz zugewartet und ihn am 11. März 2008 mit der Begründung abgewiesen, dass sich der Enthaftungswerber mittlerweile in Strafhaft befände (ON 187). Über Beschwerde des Verurteilten dagegen (ON 191) stellte das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 17. April 2008 eine Verletzung des § 176 Abs 1 Z 2 StPO fest (ON 193).

Welches Grundrecht der Erneuerungswerber dadurch allerdings als verletzt ansieht, macht er nicht deutlich (13 Os 150/07v).

Jedenfalls müsste er wiederum gegen sich gelten lassen, auch diesbezüglich nicht alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft zu haben (Art 35 Abs 1 MRK) - hier den Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG (vgl 14 Os 62/08m).

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war demnach bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Rechtssätze
5
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.