JudikaturJustiz12Os44/85

12Os44/85 – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. April 1985

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.April 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral (Berichterstatter), Hon.Prof.

Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Loidl als Schriftführer in der Strafsache gegen Robert A wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach § 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Robert A gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11.Jänner 1985, GZ 5 e Vr 12445/84-22, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Panzer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und die Strafe auf 1 (ein) Jahr herabgesetzt.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Robert A des Vergehens des schweren Diebstahls nach § 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z. 1 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Dem Schuldspruch und den hiezu getroffenen Urteilsfeststellungen zufolge hat der Angeklagte Robert A am 31.Oktober 1984 dem Ronald B, während jener auf dem Gang der ersten Unfallstation des Wiener Allgemeinen Krankenhauses nach seiner Röntgenisierung auf die weitere ärztliche Versorgung seines bei einem Sportunfall erlittenen Bänderrisses im linken Knöchel wartete, mithin unter Ausnützung eines Zustandes, der Ronald B hilflos machte, die neben dem Bett des Patienten stehende Sporttasche samt darin befindlichen Gegenständen - einem grünen Trainingsanzug, einem Paar Turnschuhe, einem Handtuch, mehreren Plastiktaschen und einem Schlüsselbund im Gesamtwert von 800 S - mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen; sodann entnahm er daraus den Schlüsselbund sowie fünf Ausweise und steckte sie in die Innentasche seines Sakkos, wodurch er die Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, mit dem (bedingten) Vorsatz unterdrückte, zu verhindern, daß sie im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache gebraucht werden. Als Ronald B einige Zeit später zu einer weiteren Röntgenaufnahme abgeholt wurde, stellte er fest, daß seine Tasche mittlerweile verschwunden war. Während er auf seinem Bett an einer offenstehenden Tür vorbeigerollt wurde, sah er jedoch in dem betreffenden Zimmer seine Tasche, welche neben dem dort auf einem Stuhl sitzenden (wegen einer leichten Verletzung nach einem Radunfall ebenfalls auf ärztliche Versorgung wartenden) Angeklagten A lag. Dieser verweigerte zunächst die Herausgabe mit der Behauptung, die Tasche gehöre ihm; später erklärte er, die Tasche gehöre einem Freund, den er gerade erst im Wartesaal kennengelernt habe. Bei einer Personsdurchsuchung wurden in seiner Sakkotasche der Schlüsselbund und die Urkunden gefunden.

Seinen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte Robert A mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z. 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Strafausspruch wird mit Berufung angefochten.

Rechtliche Beurteilung

Soweit der Beschwerdeführer darzulegen sucht, daß nach den Verfahrensergebnissen an seiner Täterschaft erhebliche Bedenken bestünden, zeigt er solcherart weder einen formellen Begründungsmangel in der Bedeutung der Z. 5 des § 281 Abs 1 StPO, noch materielle Urteilsnichtigkeit im Sinne der Z. 9 lit a dieser Gesetzesstelle auf; vielmehr wendet er sich lediglich gegen die schlüssige und lebensnahe Beweiswürdigung des Schöffengerichtes, das aufgrund der Zeugenaussagen des Ronald B und des Helmut C die Verantwortung des Angeklagten, er sei bewußtlos auf einem Bett gelegen und erst von der Polizei geweckt worden, von einer Tasche wisse er nichts, er habe diese nicht berührt und wisse auch nicht, wie der Schlüsselbund und die Urkunden in seine Sakkotasche gekommen seien, für widerlegt erachtet hat. Auf gewisse Divergenzen zwischen den Angaben des Ronald B in der Hauptverhandlung und dem Inhalt des mit ihm aufgenommenen Polizeiprotokolls ist in den Entscheidungsgründen hinreichend eingegangen worden (vgl. S. 85 d. A.). Daß der Vorsatz des Angeklagten darauf gerichtet gewesen ist, Robert B die Sporttasche samt Inhalt wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern und durch das Ansichnehmen der darin befindlichen Urkunden deren Gebrauch durch den Berechtigten zu verhindern, ist ebenfalls ausdrücklich festgestellt und mängelfrei begründet worden (vgl. S. 82, 90 d.A.).

Mit dem Einwand, der ihm angelastete Diebstahl sei beim Versuch geblieben, weil er noch nicht die Herrschaft über die Sachen erlangt habe und der Ansicht des Erstgerichtes zuwider gar keine Möglichkeit gehabt hätte, sich mit der Tasche unbemerkt aus der Sphäre des Ronald B zu entfernen, macht der Beschwerdeführer der Sache nach den Nichtigkeitsgrund der Z. 10 des § 281 Abs 1 StPO geltend.

Laut ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl. SSt.

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u. a.) ist zwar eine Sache erst dann 'weggenommen' und der Diebstahl vollendet, wenn der Täter die Sachherrschaft über die Sache erlangt hat und der bisherige Gewahrsamsinhaber nicht mehr in der Lage ist, über die Sache zu verfügen.

Hiebei ist jedoch von einem sozialen täterbezogenen Gewahrsamsbegriff auszugehen, nach welchem unter Gewahrsam jene Zugehörigkeit einer Sache zu einer Person zu verstehen ist, die auch ein Außenstehender nicht nur als eine räumliche Beziehung, sondern als eine auf sozialen Gepflogenheiten beruhende Verbundenheit von Sache und Person zu erkennen vermag (vgl. ÖJZ-LSK. 1979/91). Ein Gewahrsamswechsel ist daher in der Regel vollzogen, sobald der Dieb das Tatobjekt vor einer unverzüglichen Wahrnehmung seitens des Bestohlenen geborgen hat (vgl. ÖJZ-LSK. 1976/127, 1977/9). Daß der Täter die Beute darüber hinaus (im Sinne der sogenannten Illationstheorie) auch schon in Sicherheit gebracht haben müßte, ist für die Annahme vollendeten Diebstahls nicht erforderlich. Im vorliegenden Fall ist das Schöffengericht in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, daß der Angeklagte Robert A die Diebsbeute heimlich aus dem Gewahrsamsbereich des Ronald B weggeschafft hat, womit sie dessen faktischem Zugriff entzogen war, und in einen anderen Raum verbracht hat, wo sie auch der unmittelbaren Wahrnehmung des bisherigen Gewahrsamsträgers entrückt war. Demgemäß war es einem bloßen Zufall zu verdanken, daß Ronald B später beim Vorbeifahren auf dem Krankenbett durch eine offenstehende Türe die verschwundene Tasche wieder bemerkt hat, noch bevor der Angeklagte mit dieser das Krankenhaus verlassen hatte. Gewahrsam am Diebsgut (unter Bruch fremden Gewahrsams) ist vom Angeklagten aber schon dadurch begründet worden, daß er die eigenmächtig an sich genommene Tasche neben sich gestellt und damit jene räumliche Beziehung hergestellt hat, die nach allgemeiner Verkehrsauffassung für die Ausübung der Sachherrschaft an einem solchen Gegenstand charakteristisch ist. Darüber hinaus hat der Angeklagte Gegenstände aus der Tasche an sich genommen und auch durch seine Erklärung, diese gehöre ihm, in unmißverständlicher Weise seinen Herrschaftswillen bekundet. So gesehen erweist sich die Beurteilung des festgestellten Tatverhaltens des Angeklagten als vollendeter Diebstahl zutreffend, die gegenteilige Ansicht des Beschwerdeführers, es liege höchstens (allenfalls) ein Versuch vor, hingegen als verfehlt.

Gleichfalls zu Unrecht zieht der Beschwerdeführer unter dem Nichtigkeitsgrund der Z. 10 des § 281 Abs 1 StPO auch die Annahme der Qualifikation des § 128 Abs 1 Z. 1 StGB in Zweifel: Nach den Konstatierungen des Erstgerichtes war Ronald B wegen seiner akuten schweren Verletzung, welche ihm Schmerzen verursachte, die Anlegung eines Gipsverbandes notwendig machte und ihn am Gehen hinderte, nicht in der Lage, die gewöhnliche Aufmerksamkeit zur überwachung seiner neben dem Krankenbett stehenden Tasche aufzubringen (vgl. S. 89 d.A.). Der Verletzte befand sich demnach in einem Zustand der Hilflosigkeit, der es ihm unter den gegebenen Umständen beträchtlich erschwerte, seine Habe vor Angriffen zu schützen, und der es anderseits dem Angeklagten erleichterte, die Beute unbeobachtet an sich zu nehmen (vgl. SSt. 50/57). Das Verhalten des Angeklagten wurde sohin ohne Rechtsirrtum auch der Qualifikation des § 128 Abs 1 Z. 1 StGB unterzogen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Robert A war daher zu verwerfen.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe an.

Die Berufung ist berechtigt.

Gemäß § 32 Abs 1 StGB ist Grundlage für die Bemessung der Strafe die Schuld des Täters. Das Maß der strafbestimmenden Schuld wird wesentlich durch das objektive Gewicht der verschuldeten Tat konstituiert. Der Unrechtsgehalt der vorliegenden strafbaren Handlungen ist jedoch mit Rücksicht auf den niedrigen Wert und das rasche Zustandebringen des Diebsgutes gering. Die Urkundenunterdrückung fällt nicht ins Gewicht. Trotz der in der enormen Vorstrafenbelastung des Angeklagten zum Ausdruck kommenden hohen personalen Täterschuld war daher der Berufung Folge zu geben und die Freiheitsstrafe auf die auch dem Unwert der verschuldeten Tat angemessenen Höhe von einem Jahr herabzusetzen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO

Rechtssätze
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