JudikaturJustiz12Os34/21y

12Os34/21y – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. April 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. April 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Csencsits in der Strafsache gegen Philip S* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 18 Hv 107/15s des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen mehrere Beschlüsse dieses Gerichts erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 18 Hv 107/15s des Landesgerichts Klagenfurt verletzen die Beschlüsse des Landesgerichts Klagenfurt

1./ vom 28. März 2017 (ON 27) § 39 Abs 1 SMG,

2./ vom 3. Mai 2019 (ON 49) § 40 Abs 1 SMG und

3./ vom 21. Dezember 2020 (ON 62) § 40 Abs 1 SMG.

Der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 3. Mai 2019 (ON 49) wird zur Gänze aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Gewährung bedingter Strafnachsicht der zu AZ 18 Hv 107/15s des Landesgerichts Klagenfurt verhängten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten abgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Das Landesgericht Klagenfurt sprach Philip S* mit Urteil vom 4. Februar 2016, GZ 18 Hv 107/15s 8, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 SMG schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten. Zugleich fasste es den Beschluss auf Widerruf der S* zu AZ 38 Hv 35/14y des Landesgerichts Klagenfurt gewährten bedingten Strafnachsicht hinsichtlich eines Strafteils von sechs Monaten Freiheitsstrafe. Aufgrund allseitigen Rechtsmittelverzichts erwuchsen Urteil und Beschluss sofort in Rechtskraft.

[2] Am 11. Februar 2016 ordnete das Landesgericht Klagenfurt hinsichtlich beider Freiheitsstrafen gemäß § 3 Abs 1 StVG den Strafvollzug an und forderte den Verurteilten zum Strafantritt auf (ON 9). Am 21. März 2016 wurde er in den Strafvollzug übernommen, nachdem er sich zuvor ab 11. März 2016 in einem anderen Verfahren in Haft befunden hatte (ON 19).

[3] Aufgrund eines Antrags des Verurteilten vom 14. Dezember 2016 (ON 21) schob das Landesgericht Klagenfurt mit Beschluss vom 28. März 2017, GZ 18 Hv 107/15s 27, den weiteren Strafvollzug gemäß § 39 Abs 1 SMG bis 1. April 2019 auf (zum Strafaufschub nur für die Gesamtheit der den Gegenstand einer Strafvollzugsanordnung bildenden Freiheitsstrafen vgl 11 Os 98/19z).

[4] Am 3. Mai 2019 fasste das Landesgericht Klagenfurt gemäß § 40 Abs 1 SMG den Beschluss auf bedingte Strafnachsicht der mit Urteil vom 4. Februar 2016 (ON 8) verhängten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe (ON 49), obwohl diese Freiheitsstrafe bereits vollzogen war (ON 25).

[5] Mit weiterem Beschluss vom 21. Dezember 2020, GZ 18 Hv 107/15s 62, wurde auch hinsichtlich des zugleich mit dem vorgenannten Urteil widerrufenen Strafteils von sechs Monaten Freiheitsstrafe bedingte Strafnachsicht gemäß § 40 Abs 1 SMG gewährt, die Probezeit mit 17 Monaten bestimmt und die Bewährungshilfe angeordnet.

[6] Wie die Generalprokurator in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen die Beschlüsse des Landesgerichts Klagenfurt vom 28. März 2017 (ON 27), 3. Mai 2019 (ON 49) und 21. Dezember 2020 (ON 62) mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

[7] 1./ Nach § 39 Abs 1 SMG ist unter den dort genannten Bedingungen der Strafvollzug aufzuschieben, wenn die nach dem Suchtmittelgesetz außer nach § 28a Abs 2, 4 oder 5 SMG oder wegen einer Straftat, die mit der Beschaffung von Suchtmitteln in Zusammenhang steht, verhängte Freiheitsstrafe drei Jahre nicht übersteigt.

[8] Die Stammfassung dieser Bestimmung (§ 39 SMG idF BGBl I 1997/112 ) verwies für die Zulässigkeit des Aufschubs auf die „allgemeinen Voraussetzungen und Bedingungen des § 6 Abs 1 des Strafvollzugsgesetzes“ (vgl auch § 23a Abs 1 SGG [BGBl 1985/184], die Vorgängerbestimmung des § 39 SMG, die als Sonderregelung des § 6 Abs 1 StVG konzipiert war [„auch“]). Danach ist die Einleitung des Vollzugs einer Freiheitsstrafe unter bestimmten Voraussetzungen aufzuschieben, sodass eine Freiheitsstrafe, die (aktuell) bereits vollzogen wird, (grundsätzlich) nicht mehr aufgeschoben, sondern nur noch unterbrochen werden kann (vgl 14 Os 15/89 ). Für die Zulässigkeit des Strafaufschubs (sei es nach § 5 oder § 6 StVG) wird daher auf den Beginn des Vollzugs der betreffenden Strafe abgestellt (11 Os 98/19z; zum Erfordernis der Antragstellung nach § 5 oder § 6 StVG vor diesem Zeitpunkt Pieber in WK² StVG § 5 Rz 9 und § 6 Rz 4).

[9] Der Entfall des Verweises auf § 6 Abs 1 StVG in § 39 Abs 1 SMG durch die SMG-Novelle 2007 ( BGBl I 2007/110 ) sollte der besseren Übersichtlichkeit und Verständlichkeit dienen, indem die „allgemeinen Voraussetzungen und Bedingungen“ dieser Bestimmung „auf das Wesentliche komprimiert in den Gesetzestext aufgenommen werden“ (ErläutRV 301 BlgNR 23. GP 27).

[10] Anlass für den mit dieser Novelle in § 39 Abs 1 SMG einfügten Passus, wonach der Vollzug auch noch nach Übernahme in den Strafvollzug (§ 3 Abs 4 StVG) aufzuschieben ist, waren Anträge Angeklagter nach § 39 SMG, über die nicht sogleich entschieden werden konnte. Im Fall sofortiger Rechtskraft des Urteils sei der Verurteilte – so die Gesetzesmaterialien – aber unverzüglich in Strafhaft zu nehmen (§ 3 Abs 4 StVG), weshalb „(eigentlich) nicht mehr von einem Aufschub des Strafvollzugs gesprochen werden könne“. Für diese Konstellationen solle klargestellt werden, dass der Aufschub auch noch nach Übernahme in den Strafvollzug zu gewähren ist (ErläutRV 301 BlgNR 23. GP 28 f).

[11] Demnach wollte der Gesetzgeber mit der SMG Novelle 2007 die Unterscheidung zwischen Aufschub als vor Beginn des Strafvollzugs greifende Maßnahme und Unterbrechung als eine solche während des laufenden Vollzugs (vgl dazu Nimmervoll , Praxisfragen zu § 39 SMG, ÖJZ 2013, 712 [715]) nicht aufgeben, sondern den Fall der Übernahme des bereits in Haft befindlichen Verurteilten in den Strafvollzug (§ 3 Abs 4 StVG) und einer davor nicht möglichen Entscheidung über die Voraussetzung des § 39 Abs 1 SMG regeln.

[12] Somit ist der Strafaufschub nach § 39 Abs 1 SMG ebenfalls nur bis zum Beginn des Vollzugs der betreffenden Strafe zulässig (11 Os 98/19z). Einzig für die Übernahme in den Strafvollzug (§ 3 Abs 4 StVG) sieht § 39 Abs 1 SMG eine Ausnahme vor. Bei einer bis dahin erfolgten Antragstellung des Verurteilten oder von Amts wegen begonnenen Prüfung ist der Strafvollzug auch noch nach diesem Zeitpunkt aufzuschieben, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen (vgl Nimmervoll , ÖJZ 2013, 712 [716]; Matzka/Zeder/Rüdisser , SMG³ § 39 Rz 28 f, je mwN; Oshidari in Hinterhofer , SMG² § 39 Rz 33 f; Schwaighofer in WK² SMG § 39 Rz 26).

[13] Indem das Landesgericht Klagenfurt aufgrund des rund neun Monate nach Übernahme in den Strafvollzug gestellten Antrags des Verurteilten dessen Aufschub mit Beschluss vom 28. März 2017 (ON 27) anordnete, verletzte es daher das Gesetz in § 39 Abs 1 SMG.

[14] 2./ Da eine bedingte Strafnachsicht begrifflich nur in Ansehung einer noch (hier) zu vollziehenden Freiheitsstrafe in Betracht kommt, verletzt der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 3. Mai 2019, GZ 18 Hv 107/15s 49, mit dem die zur Gänze verbüßte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten gemäß § 40 Abs 1 SMG bedingt nachgesehen wurde, das Gesetz in dieser Bestimmung.

[15] 3./ Unter den Voraussetzungen des § 40 Abs 1 SMG ist jede(r) einzelne der zuvor gemeinsam nach § 39 Abs 1 SMG aufgeschobenen Strafen( teile) nachträglich bedingt nachzusehen. Zur Entscheidung hierüber ist gemäß § 40 Abs 1 erster Satz SMG (nicht das „erkennende“ iSd § 397 letzter Satz StPO, sondern) jenes Gericht zuständig, das „in erster Instanz erkannt hat“. Die diesbezügliche Entscheidungskompetenz kommt somit jeweils dem Gericht zu, das die betreffende Sanktion (ursprünglich) ausgesprochen hat (RIS Justiz RS0112525 [T1]; vgl zum insoweit wortgleichen § 410 Abs 1 StPO insbesondere 11 Ns 22/17z).

[16] Demnach wäre im Verfahren AZ 38 Hv 35/14y des Landesgerichts Klagenfurt gemäß § 40 Abs 1 SMG über die bedingte Strafnachsicht der dort verhängten (ursprünglich bedingt nachgesehenen, in der Folge zu AZ 18 Hv 107/15s des Landesgerichts Klagenfurt widerrufenen) Freiheitsstrafe zu entscheiden gewesen. Der nicht in diesem, sondern im hier gegenständlichen Verfahren AZ 18 Hv 107/15s des Landesgerichts Klagenfurt ergangene Beschluss vom 21. Dezember 2020 (ON 62) verletzt das Gesetz somit ebenfalls in § 40 Abs 1 SMG.

[17] Die zu 1./ und 3./ aufgezeigten Fehler wirken nicht zum Nachteil des Verurteilten, sodass es insoweit mit der Feststellungen der Gesetzesverletzung sein Bewenden hat (§ 292 vorletzter Satz StPO).

[18] Da aber die zu 2./ aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).