JudikaturJustiz12Os16/19y

12Os16/19y – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. März 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 2019 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rögner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Nenad P***** wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB, AZ 28 U 165/17y des Bezirksgerichts Leopoldstadt, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des genannten Gerichts vom 26. September 2018 (ON 25) sowie weitere Vorgänge in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Oberstaatsanwalt Mag. Schneider, LL.M., zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 28 U 165/17y des Bezirksgerichts Leopoldstadt verletzen

1./ die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung am 26. September 2018 in Abwesenheit des Angeklagten § 427 Abs 1 StPO,

2./ die Verlesung des die Vernehmung des Zeugen Alexander S***** beinhaltenden Teils des Hauptverhandlungsprotokolls vom 28. Februar 2018 (ON 9) in der Hauptverhandlung am 26. September 2018 § 252 Abs 1 StPO iVm § 447 StPO,

3./ der unter einem mit dem Urteil vom 26. September 2018 (ON 25) gefasste Beschluss auf Widerruf der Nenad P***** mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. Jänner 2015, AZ 162 Hv 117/14k, gewährten bedingten Strafnachsicht § 494a Abs 3 StPO und

4./ das Urteil vom 26. September 2018 (ON 25) § 31 Abs 1 StGB.

Das Abwesenheitsurteil vom 26. September 2018 sowie der unter einem gefasste Beschluss (ON 25) werden aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Leopoldstadt verwiesen.

Text

Gründe:

Im Verfahren AZ 28 U 165/17y des Bezirksgerichts Leopoldstadt legte die Staatsanwaltschaft Wien Nenad P***** mit Strafantrag vom 28. November 2017 (ON 4) ein am 3. Februar 2017 in W***** gesetztes und als Vergehen der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB beurteiltes Verhalten zur Last. Ferner beantragte die Staatsanwaltschaft, die Nenad P***** mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. Jänner 2015, AZ 162 Hv 117/14k, gewährte bedingte Strafnachsicht (vgl ON 2 S 32) zu widerrufen, und wies darauf hin, dass der Widerruf der mit Urteil des genannten Gerichts vom 19. September 2017, AZ 44 Hv 88/17g, gewährten bedingten Strafnachsicht dem zuständigen Gerichtshof vorzubehalten sei.

Trotz Zustellung der (auch einen Hinweis auf die Folgen des Fernbleibens enthaltenden [siehe das nicht einjournalisierte Konvolut nach ON 27]) Ladung sowie des Strafantrags durch Hinterlegung (ON 6) und Kenntnis vom Termin (ON 8) blieb der Angeklagte der Hauptverhandlung am 28. Februar 2018 fern. Die Verhandlung wurde daraufhin in seiner Abwesenheit durchgeführt (ON 9). Im Anschluss an die Vernehmung des Zeugen Alexander S***** (ON 9 S 2 f) vertagte die Richterin des Bezirksgerichts die Hauptverhandlung zur Vorführung des Angeklagten (ON 9 S 3). Nach zwei negativen Versuchen der Vorführung zur Hauptverhandlung am 2. Mai 2018 (ON 10a, 11) und am 27. Juni 2018 (ON 17, 18) führte das Bezirksgericht Leopoldstadt die – wiederholte (§ 276a zweiter Satz StPO) – Hauptverhandlung am 26. September 2018 in Abwesenheit des Angeklagten durch (ON 24), weil auch zu diesem Termin ein Vorführungsversuch erfolglos geblieben war (ON 23).

Nach Eröffnung des Beweisverfahrens verlas die Richterin des Bezirksgerichts unter anderem die vom Zeugen Alexander S***** in der Hauptverhandlung am 28. Februar 2018 abgelegte Aussage (ON 9 S 2 f; ON 24 S 2).

Mit Abwesenheitsurteil vom 26. September 2018 (ON 25) sprach das Bezirksgericht Leopoldstadt Nenad P***** des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe. Eine Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. September 2017, AZ 44 Hv 88/17g, (unjournalisiert im Akt einliegend nach ON 27; vgl ON 22 Punkt 2./) gemäß § 31 StGB, erfolgte nicht. Zugleich fasste es den Beschluss auf Widerruf (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) der Nenad P***** mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. Jänner 2015, AZ 162 Hv 117/14k, gewährten bedingten Strafnachsicht einer Freiheitsstrafe, ohne zuvor diesen Akt oder zumindest eine Abschrift des Urteils beigeschafft zu haben. In Ansehung der dem Angeklagten mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. September 2017, AZ 44 Hv 88/17g, gewährten bedingten Strafnachsicht erging ein auf § 494a Abs 2 letzter Satz StPO gestützter Vorbehaltsbeschluss.

Das Abwesenheitsurteil erwuchs in Rechtskraft (Zustellnachweis an den Angeklagten bei ON 25).

Über die rechtzeitige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsicht (ON 28) wurde noch nicht entschieden (AZ 131 Bl 94/18x des Landesgerichts für Strafsachen Wien).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, wurde im Verfahren AZ 28 U 165/17y des Bezirksgerichts Leopoldstadt das Gesetz mehrfach verletzt:

1./ Die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten setzt gemäß (des auch im bezirksgerichtlichen Verfahren unmittelbar geltenden [ Bauer , WK-StPO § 427 Rz 1 und § 447 Rz 7/1]) § 427 Abs 1 StPO unter anderem voraus, dass dem Angeklagten die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt wurde. Während die Beurteilung der Erforderlichkeit der Anwesenheit des Angeklagten (§ 427 Abs 2 erster Satz zweiter Fall StPO) im Ermessen des Gerichts steht, normiert § 427 Abs 1 erster Satz StPO zwingende Zulässigkeitsvoraussetzungen, die auch im Fall einer fortgesetzten – oder (wie hier:) wiederholten – Hauptverhandlung vorliegen müssen (vgl Bauer , WK-StPO § 427 Rz 9). Da eine persönliche Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung am 26. September 2018 an Nenad P***** unterblieb, verstößt die Verhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten gegen § 427 Abs 1 StPO (RIS Justiz RS0128226, RS0101563).

2./ Nach § 252 Abs 1 StPO dürfen Protokolle über die Vernehmung von Zeugen sowie Amtsvermerke und andere amtliche Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen festgehalten worden sind (vgl dazu Kirchbacher , WK-StPO § 252 Rz 30), in der Hauptverhandlung – neben hier nicht relevanten weiteren Ausnahmen vom Grundsatz der Unmittelbarkeit (§ 252 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO) – nur verlesen werden, wenn Ankläger und Angeklagter einverstanden sind (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO).

Da eine solche Zustimmung des Angeklagten wegen dessen Abwesenheit nicht vorlag (vgl RIS-Justiz RS0117012, RS0099242 [T7]), widersprach die Verlesung des die Vernehmung des Zeugen Alexander S***** beinhaltenden Teils des Protokolls der Hauptverhandlung vom 28. Februar 2018 (ON 9 S 2 f) in der (gemäß § 276a zweiter Satz StPO wiederholten) Hauptverhandlung am 26. September 2018 § 252 Abs 1 iVm § 447 StPO.

3./ Der Widerruf einer bedingten Strafnachsicht gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO setzt die Anhörung (unter anderem) des Angeklagten sowie die Einsichtnahme in die Akten über die frühere Verurteilung oder zumindest in die Abschrift des früheren Urteils voraus (§ 494a Abs 3 erster und letzter Satz StPO).

Der Strafantrag vom 28. November 2017, aus dem der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu AZ 162 Hv 117/14k des Landesgerichts für Strafsachen Wien ersichtlich ist (ON 4), wurde dem Angeklagten durch Zustellung zur Kenntnis gebracht. Damit wurde ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zum allfälligen Widerruf eingeräumt, sodass bei Fällung des Abwesenheitsurteils von seiner Anhörung abgesehen werden konnte (vgl RIS-Justiz RS0101961 [T8, T9], insbesondere 11 Os 53/09t; Jerabek , WK-StPO § 494a Rz 8). Allerdings unterblieb eine Beischaffung und Einsichtnahme in den vom Widerrufsbeschluss betroffenen Vorstrafakt (oder auch nur einer Abschrift dieses früheren Urteils), sodass § 494a Abs 3 StPO verletzt wurde (RIS-Justiz RS01111829 [T3, T7]).

4./ Wird jemand, der bereits zu einer Strafe verurteilt worden ist, wegen einer anderen Tat verurteilt, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können, ist gemäß § 31 Abs 1 erster Satz StGB eine Zusatzstrafe zu verhängen. Die unterbliebene Bedachtnahme auf das aktenkundige Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. September 2017, AZ 44 Hv 88/17g, verletzt daher mit Blick auf den Zeitpunkt der dem Abwesenheitsurteil zugrunde liegenden Tat (3. Februar 2017) § 31 Abs 1 StGB.

Da ein aus den aufgezeigten Gesetzesverletzungen resultierender Nachteil für den Verurteilten nicht auszuschließen ist, war deren Feststellung mit konkreter Wirkung wie aus dem Spruch ersichtlich zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Rechtssätze
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