JudikaturJustiz12Os147/14f

12Os147/14f – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. März 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. März 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Dr. Oshidari sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaltenbrunner als Schriftführerin in der Auslieferungssache betreffend Ivica S*****, AZ 301 St 54/14s der Staatsanwaltschaft Wien (= AZ 313 HR 69/14s des Landesgerichts für Strafsachen Wien), über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Oktober 2014, GZ 313 HR 69/14s 13, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, und der Verteidigerin Dr. Wolf zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Oktober 2014, GZ 313 HR 69/14s 13, verletzt im Umfang der Bewilligung der Auslieferung des Ivica S***** zur Strafvollstreckung an Serbien auch wegen der im Urteil des Bezirksgerichts Uzice vom 11. Juli 2008 unter 2./ beschriebenen Handlung, wonach er am 5. März 2008 dem Edis Sk***** und der Dubravka K***** rechtswidrig eine Wohnung zum Zwecke des Gebrauchs von Suchtgift überlassen hat, was schwere Folgen, nämlich den Tod des Edis Sk***** zur Folge hatte, für zulässig erklärt wurde, das Gesetz in Art 2 Abs 1 des Europäischen Auslieferungs-übereinkommens vom 13. Dezember 1957, BGBl 1969/320 (ergänzt durch dessen 2. Zusatzprotokoll vom 17. März 1978, BGBl 1983/297) und § 27 Abs 1 Z 1 SMG.

Der Beschluss, der im Übrigen unberührt bleibt, wird in diesem Umfang aufgehoben und die Auslieferung des Ivica S***** insoweit für unzulässig erklärt.

Text

Gründe:

In der Auslieferungssache AZ 301 St 54/14s der Staatsanwaltschaft Wien (= AZ 313 HR 69/14s des Landesgerichts für Strafsachen Wien) ersuchte das Ministerium für Justiz der Republik Serbien um Auslieferung des (derzeit zu AZ 26 St 338/14h der Staatsanwaltschaft Wien [= AZ 352 HR 184/14i des Landesgerichts für Strafsachen Wien] in Untersuchungshaft angehaltenen [vgl ON 3]) serbischen Staatsangehörigen Ivica S***** zur Vollstreckung der mit Urteil des Bezirksgerichts Uzice vom 11. Juli 2008 verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten.

Nach dem Inhalt dieses Urteils hat der Genannte (1./) am 4. März 2008 in P***** bewusst und gewollt 0,31 Gramm Betäubungsmittel, nämlich Heroin als Mischung mit Koffein und Paracetamol sowie vier Tabletten Xalol 1 mg mit dem Inhaltsstoff Alprazolam, zum Vertrieb besessen und teilweise dem zwischenzeitlich verstorbenen Edis Sk***** überlassen und (2./) in der Nacht zum 5. März 2008 dem Edis Sk***** und der Dubravka K***** durch bewusstes Überlassen einer Wohnung eine Gelegenheit zum unbefugten Gebrauch von Suchtgift verschafft, wobei der Konsum von Heroin zu schweren Folgen, nämlich zum Tod des Edis Sk***** aufgrund einer Gehirn und Lungenschwellung führte.

Ivica S***** hat hiedurch die Straftaten (zu 1./) der unerlaubten Herstellung, des Besitzes und des Vertriebs von Betäubungsmitteln nach Art 246 Abs 1 des serbischen Strafgesetzbuches (mit einer Strafdrohung von zwei bis zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe), sowie (zu 2./) der Verschaffung von Gelegenheit zum unbefugten Gebrauch von Betäubungsmitteln nach Art 247 Abs 1 und 2 des serbischen Strafgesetzbuches (mit einer Strafdrohung von zwei bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe) begangen.

Mit dem in der Auslieferungsverhandlung am 8. Oktober 2014 (ON 12) gefassten Beschluss, GZ 313 HR 69/14s 13, erklärte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Auslieferung des Ivica S***** zur Strafvollstreckung wegen der im Auslieferungsersuchen angeführten Straftaten unter Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität für zulässig und schob die tatsächliche Übergabe bis zur Beendigung des vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 352 HR 184/14i anhängigen Strafverfahrens und eines allenfalls daran anschließenden Strafvollzugs auf.

Begründend wurde ausgeführt, dass auf den Sachverhalt das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957, BGBl 1969/320 (ergänzt durch dessen 2. Zusatzprotokoll, BGBl 1983/297), anwendbar sei. Nach Art 2 Abs 1 dieses Übereinkommens sei eine Auslieferung wegen strafbarer Handlungen zulässig, soweit diese sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch nach dem Recht des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder mit strengerer Strafe bedroht sind, wobei überdies ein zu vollstreckender Strafrest von zumindest vier Monaten offen sein müsse. Im vorliegenden Fall lägen diese Voraussetzungen vor, zumal die dem Auszuliefernden anzulastenden Taten nach österreichischem Recht dem „§ 27 Abs 1 Z 1 SMG“ (mit einer Strafdrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe) zu unterstellen wären.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Oktober 2014, GZ 313 HR 69/14s 13, im Umfang der Bewilligung der Auslieferung zur Strafvollstreckung betreffend den Urteilsvorwurf, wonach Ivica S***** am 5. März 2008 dem Edis Sk***** und der Dubravka K***** durch Überlassen einer Wohnung die Gelegenheit zum unbefugten Gebrauch von Betäubungsmitteln mit schweren Folgen verschafft (und dadurch dem Art 247 Abs 1 und 2 des serbischen Strafgesetzbuches zuwider gehandelt) hat, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Das einen Grundpfeiler des traditionellen Auslieferungsrechts (§ 11 Abs 1 und 2 ARHG; Murschetz , Auslieferung und Europäischer Haftbefehl 119; Medigovic , Der Europäische Haftbefehl in Österreich Eine Analyse der materiellen Voraussetzungen für eine Übergabe nach dem EU JZG,

JBl 2006, 627 [630]) darstellende Prinzip beiderseitiger Strafbarkeit gilt wie das Landesgericht für Strafsachen Wien zutreffend ausführte gemäß Art 2 Abs 1 des im Verhältnis zur Republik Serbien zur Anwendung gelangenden Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957, BGBl 1969/320 (samt dem 2. Zusatzprotokoll vom 17. März 1978, BGBl 1983/297), uneingeschränkt (vgl zur Einschränkung dieses Prinzips weiterführend: Zeder , Der Europäische Haftbefehl: Das Ende der Auslieferung in der EU? AnwBl 2003, 381): Danach muss die den Gegenstand einer Auslieferung bildende Tat sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch nach dem Recht des ersuchten Staates gerichtlich strafbar sein. § 2 Abs 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens verlangt überdies, dass die der Auslieferung zu Grunde liegende strafbare Handlung sowohl im Rechtssystem des ersuchenden als auch in jenem des ersuchten Staates mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedroht und ein zu vollstreckender Strafrest von zumindest vier Monaten offen sein muss. Zu prüfen ist also, ob bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts (dh der Sachverhalt ist so zu beurteilen, als wäre er im Inland verwirklicht worden) auch eine Strafbarkeit nach österreichischem Recht gegeben ist ( Göth Femmich in WK 2 ARHG § 11 Rz 7).

Das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 SMG begeht, wer vorschriftswidrig Suchtgift erwirbt, besitzt, erzeugt, befördert, einführt, ausführt oder einem anderen anbietet, überlässt oder verschafft.

Die zu 2./ des Urteilstenors des Bezirksgerichts Uzice vom 11. Juli 2008 inkriminierte Tat, nämlich das Überlassen einer Wohnung zum Zwecke des Gebrauchs von Suchtgift durch andere, enthält kein Sachverhaltssubstrat, das wäre es im Inland gesetzt worden geeignet wäre, eine gerichtlich strafbare Handlung, insbesondere den Tatbestand des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 SMG zu begründen.

Im Übrigen stellt das zu Punkt 1./ des serbischen Urteils inkriminierte Überlassen von Suchtgift keinen Beitrag zum gleichzeitig verwirklichten Erwerb und in der Folge fortdauernden Besitz durch den Käufer dar (Exklusivität; vgl 14 Os 9/04).

Eine Beurteilung des Überlassens der Wohnung zum „ungestörten“ Suchtgiftkonsum zu Punkt 2./ des Schuldspruchs als objektiv sorgfaltswidriges Verhalten im Hinblick auf den durch den Suchtgiftmissbrauch eingetretenen Tod des Edis Sk***** und demgemäß als Vergehen der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB scheitert schon daran, dass das Überlassen der Drogen wie auch der Wohnung zum Suchtgiftkonsum einen Fall der straflosen Mitwirkung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung darstellt (vgl Kienapfel/Schroll StudB BT I 3 § 80 Rz 67; Kienapfel/Höpfel/Kert AT 14 Z 27 Rz 8; Schütz , Burgstaller FS 180).

Doch auch ein sonstiger Beitrag zum fortdauernden Suchtgiftbesitz durch das Überlassen der Wohnung zum Drogenkonsum käme nicht in Betracht:

Besitz von Suchtgift ist nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG strafbar und bedeutet Allein oder Mitgewahrsam, wobei die Innehabung des Suchtgifts ohne Besitzwillen genügt. Es kommt auch nicht auf die Dauer der Innehabung an, schon die kurzfristige Übernahme eines Suchtgifts zum Zwecke des sofortigen Konsums genügt (RIS Justiz RS0010122, RS0088349; Litzka / Matzka / Zeder , SMG 2 § 27 Rz 8; Kirchbacher / Schroll , RZ 2005, 116 [120]; vgl auch Hochmayr , Strafbarer Besitz [2005] 14; aA Schwaighofer in WK 2 SMG § 27 Rz 19 ff; Bertel , Jesionek FS, 297 [301]).

Nach § 12 dritter Fall StGB ist Beitragstäter, wer sonst somit auf andere Weise als durch Bestimmung eines anderen zur Ausführung einer strafbaren Handlung beiträgt. Als Beitragshandlungen kommen grundsätzlich alle Handlungen in Frage, welche die Tatausführung durch einen anderen ermöglichen, erleichtern, absichern oder in anderer Weise fördern ( Kienapfel / Höpfel / Kert AT 14 E 5 Rz 8; Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 87). Zwischen der Beitragshandlung und der Tatausführung muss ein kausaler Zusammenhang vorliegen. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Beitragshandlung zur Vollendung der Tat notwendig war und ohne diese die Tatausführung unmöglich gewesen wäre. Es reicht aus, dass die Tat ohne die Förderungshandlung jedenfalls nicht so geschehen wäre, wie sie sich tatsächlich ereignet hat ( Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 83).

Darüber hinaus muss die Beitragshandlung dem Beitragstäter objektiv zurechenbar sein. Die objektive Zurechnung setzt voraus, dass der Beitrag das bereits bestehende Risiko der Tatausführung durch einen anderen in rechtlich missbilligter Weise erhöht hat ( Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 92a).

Gerade die zuletzt genannte Voraussetzung liegt im hier zu beurteilenden Fall nicht vor. Durch das Überlassen der Wohnung zum Suchtgiftkonsum hat sich an der rechtlichen Qualität des Suchtgiftbesitzes als dessen Innehabung nichts geändert. Die Möglichkeit, die Drogen in der zur Verfügung gestellten Wohnung zu konsumieren, hat daher das Risiko fortdauernder Innehabung jedenfalls nicht wesentlich erhöht (vgl Kienapfel / Höpfel / Kert AT 14 Z 27 Rz 17). Fehlende

Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten betrifft bei Vorsatzdelikten in der Regel (nur) die Abgrenzung zwischen versuchter und vollendeter Tat (13 Os 131/12g). In der hier zu beurteilenden Konstellation ist die Risikoerhöhung aber im Rahmen der Beitragstäterschaft zu prüfen und wie dargestellt zu verneinen. Der Versuch eines sonstigen Beitrags ist jedoch straflos ( Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 108).

Die fallaktuell vom Landesgericht für Strafsachen Wien undifferenziert vorgenommene rechtliche Beurteilung der im Urteil des Bezirksgerichts Uzice vom 11. Juli 2008 enthaltenen Schuldsprüche nach § 27 Abs 1 Z 1 SMG läuft daher dieser Bestimmung, die uneingeschränkte Zulässigerklärung der Auslieferung des Ivica S***** hingegen Art 2 Abs 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957, BGBl 1969/320 (ergänzt durch dessen 2. Zusatzprotokoll, BGBl 1983/297), zuwider. Das Landesgericht für Strafsachen Wien hätte die Auslieferung zur Strafvollstreckung des Ivica S***** wegen der vom Schuldspruch 2./ des Urteils des Bezirksgerichts Uzice vom 11. Juli 2008 erfassten Tat für unzulässig erklären müssen.

Da diese Gesetzesverletzungen dem Betroffenen zum Nachteil gereichten, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 292 letzter Satz StPO wie aus dem Spruch ersichtlich

konkrete Wirkung zuzuerkennen.

Rechtssätze
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