JudikaturJustiz12Os114/16f

12Os114/16f – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. November 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Krenn, LL.M. (WU), als Schriftführerin in der Strafsache gegen Fikret B***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 3. März 2016, GZ 8 Hv 141/15x 1418, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Fikret B***** je eines Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (I./1./ und 2./) und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er in G***** ab Juni 2014

„I./ sich an der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat im Irak und in Syrien, ab 29. Juni 2014 Islamischer Staat, im Wissen (§ 5 Abs 3 StGB), dadurch diese terroristische Vereinigung in ihrem Ziel, in Syrien und im Irak einen radikal islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren strafbare Handlungen, nämlich die zur Erreichung dieses Zieles als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten gemäß dem § 278c Abs 1 StGB, zu fördern, als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) beteiligt, indem er

1./ bis Ende Oktober 2014 den wegen des Verdachts der Verbrechen der terroristischen Vereinigung gemäß dem § 278b Abs 2 StGB und der kriminellen Organisation gemäß dem § 278a StGB abgesondert verfolgten Nermin J***** in zahlreichen Gesprächen darin bestärkte, mit seiner Ehegattin und Tochter nach Syrien zu übersiedeln und sich als Kämpfer der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat anzuschließen, und im Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Dardan C***** und Suayib Ba***** sowie weiterer Kontaktpersonen den für die Übersiedlung des Nermin J***** erforderlichen Kontakt zu dem sich als Kämpfer dieser terroristischen Vereinigung in ar-Raqqa in Syrien aufhaltenden Lorik C***** und zu weiteren namentlich unbekannten Verbindungspersonen herstellte;

2./ bis 16. Dezember 2014 mit Unterstützung der abgesondert verfolgten Dardan C***** und Suayib Ba***** sowie weiterer Kontaktpersonen den für seine Übersiedlung nach Syrien erforderlichen Kontakt zu dem sich in ar-Raqqa in Syrien als Kämpfer der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) aufhaltenden Lorik C***** und zu weiteren namentlich unbekannten Verbindungspersonen dieser terroristischen Vereinigung herstellte und am 11. November 2014 nach Auflösung seines Hausstandes in G***** nach Bosnien reiste, von wo aus er am 12. Dezember 2014 mit seiner Ehegattin Mirha Ja***** B***** nach Istanbul in die Türkei flog, um nach Syrien weiter zu reisen und sich der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat als Kämpfer anzuschließen, wobei sein Vorhaben scheiterte, weil die türkischen Behörden ihn bei der Einreise aufgrund des mittlerweile von der Staatsanwaltschaft Graz gegen ihn erlassenen und vom Landesgericht für Strafsachen Graz bewilligten Europäischen Haftbefehls nach Bosnien zurückwiesen und er schließlich bei seiner Ausreise nach Kroatien am 16. Dezember 2014 von den kroatischen Behörden in Slawonski Brod festgenommen wurde;

II./ sich bis Ende November 2014 durch die zu Punkt I./1./ und I./2./ dargestellten Handlungen an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, nämlich der international agierenden terroristischen Vereinigung Islamischer Staat, als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) beteiligt,

1./ die, wenn auch nicht ausschließlich auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, ausgerichtet ist, indem sie seit Sommer 2011 in Syrien und im Irak auch unter der Bezeichnung Jabhat al-Nusra und Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten gemäß § 278c Abs 1 StGB durch ihre Kämpfer die Zerstörung des syrischen Staates und des irakischen Staates betreibt, in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak die sich nicht ihren Zielen untergeordnete Zivilbevölkerung tötet oder vertreibt und sich deren Vermögen aneignet, durch Geiselnahme große Geldsummen erpresst, die vorgefundenen Kunstschätze veräußert, Bodenschätze, insbesondere Erdöl und Phosphat, zu ihrer Bereicherung ausbeutet,

2./ die dadurch eine Bereicherung im großen Umfang anstrebt,

3./ die andere durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge in Syrien und im Irak einschüchtert und sich auf besondere Weise, nämlich Geheimhaltung ihres Aufbaus, ihrer Finanzierungsstruktur, der personellen Zusammensetzung der Organisation und der internen Kommunikation gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht, wobei Fikret B***** wusste, dass er dadurch diese Verbindungen in ihrem Ziel, in Syrien und im Irak einen radikal islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten und deren strafbare Handlungen, nämlich die zur Erreichung dieses Zieles als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten gemäß dem § 278c Abs 1 StGB fördert.“

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 1, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl.

Wie die Besetzungsrüge (Z 1) selbst zugesteht, handelt es sich bei der Entscheidung in der Straffrage sowie bei den kritisierten Urteilsausführungen zur Beweiswürdigung (wonach ein Erklärungsversuch des Angeklagten „kläglich“ sei) und zur Strafzumessung (betreffend die Einstufung des Angeklagten als „Schwerstverbrecher“ und den Vergleich mit neonazistischen Straftaten) lediglich um dem Standpunkt des Angeklagten zuwiderlaufende Ansichten zu Tat- und Rechtsfragen, die nicht geeignet sind, die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des erkennenden Senats in Zweifel zu ziehen (vgl Lässig , WK StPO § 43 Rz 12).

Derartige Zweifel können auch nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass der Vorsitzende in einem dieselbe terroristische Vereinigung betreffenden Verfahren als Beisitzer fungierte.

Der Mängel- (Z 5) und Rechtsrüge (Z 9 lit a) ist voranzustellen, dass wiederholte, gleich- oder verschiedenartige Beteiligungen (§ 278b Abs 2 StGB iVm § 278 Abs 3 StGB) des Täters an derselben terroristischen Vereinigung eine tatbestandliche Handlungseinheit darstellen, die im Sinn einer Tatbestandsverwirklichung dem § 278b Abs 2 StGB zu unterstellen ist (RIS Justiz RS0124166; Plöchl in WK 2 StGB § 278 Rz 71, § 278b Rz 17). Daraus folgt, dass mit der Bekämpfung einzelner (hier:) Beteiligungshandlungen – solange dadurch die rechtliche Beurteilung nicht tangiert wird – keine für die Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache angesprochen wird (RIS-Justiz RS0122006 [T6], RS0120233 [T9]). Das ist hier der Fall, weil sich die Beschwerde nur gegen einen Teil des dem Angeklagten angelasteten Tatgeschehens (I./1./) richtet und selbst bei Wegfall der in Zweifel gezogenen Sachverhaltselemente die vorliegende Subsumtion unverändert bliebe.

Die weitere Beschwerde (Z 5 fünfter Fall) kommt selbst zum (zutreffenden) Ergebnis, dass es sich bei der Urteilsannahme zum Zeitpunkt der Buchung des Flugtickets von Sarajevo nach Istanbul um keinen schuld- oder subsumtionsrelevanten Umstand handelt. Allenfalls nur für die Strafzumessung erhebliche Tatsachenannahmen sind aber mit Mängelrüge nicht bekämpfbar (vgl RIS-Justiz RS0117499).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
4
  • RS0122006OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Soweit in früherer Rechtsprechung unter dem Begriff des „fortgesetzten Delikts" (nach Maßgabe zuweilen geforderter, indes uneinheitlich gehandhabter weiterer Erfordernisse) mehrere den gleichen Tatbestand (ob versucht oder vollendet) erfüllende, mit einem „Gesamtvorsatz" begangene Handlungen zu einer dem Gesetz nicht bekannten rechtlichen Handlungseinheit mit der Konsequenz zusammengefasst wurden, dass durch die je für sich selbständigen gleichartigen Straftaten doch nur eine einzige strafbare Handlung begründet würde, hat der Oberste Gerichtshof diese Rechtsfigur der Sache nach bereits mit der Bejahung ihrer prozessualen Teilbarkeit durch die Grundsatzentscheidung SSt 56/88 = EvBl 1986/123 aufgegeben. Seither reduziert er deren Bedeutung auf den unverzichtbaren Kernbereich der der Rechtsfigur zugrunde liegenden Vorstellung, den er als tatbestandliche Handlungseinheit bezeichnet. In der Anerkennung des Fortsetzungszusammenhangs bloß nach Maßgabe tatbestandlicher Handlungseinheiten liegt gezielte Ablehnung einer absoluten Sicht des fortgesetzten Delikts und ein Bekenntnis zur deliktsspezifischen Konzeption. Denn der Unterschied zwischen der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts und der tatbestandlichen Handlungseinheit besteht darin, dass die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts aus dem allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts abgeleitet wird, die der tatbestandlichen Handlungseinheit aber gleichartige Handlungen nach Maßgabe einzelner Tatbestände zusammenfasst. Die Kriterien einer Zusammenfassung können demnach durchaus deliktsspezifisch verschieden sein, ohne dass daraus das ganze Strafrechtssystem erfassende Widersprüche auftreten. Von einer tatbestandlichen Handlungseinheit spricht man im Anschluss an Jescheck/Weigend5 (711ff) bei einfacher Tatbestandsverwirklichung, also der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands, insbesondere bei mehraktigen Delikten und Dauerdelikten (tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn) und dort, wo es nur um die Intensität der einheitlichen Tatausführung geht (SSt 56/88), demnach bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), auch wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt werden, sowie bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage, etwa beim Übergang vom Versuch zur Vollendung oder bei einem Einbruchsdiebstahl in zwei Etappen (tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinn).