JudikaturJustiz12Os101/20z

12Os101/20z – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. September 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Rechtshörers Hunger MSc als Schriftführer in der Strafsache gegen Dragan K***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 318 HR 93/20s des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerden der Emine Y***** und der Elif Y***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 23. Juli 2020, AZ 21 Bs 204/20h, 21 Bs 205/20f, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Emine Y***** und Elif Y***** wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Dem Bund wird hinsichtlich der Genannten der Ersatz der Beschwerdekosten von jeweils 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

In dem von der Staatsanwaltschaft Wien gegen Dragan K***** und andere Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren (AZ 701 St 8/20a) wurde mit Beschlüssen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. Juli 2020 über Emine Y***** und Elif Y***** wegen des Verdachts des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach „§ 278 Abs 1 StGB“ und des Verbrechens der Geldwäscherei nach „§ 165 Abs 1, Abs 2 und Abs 4 erster Fall StGB“ aus den Haftgründen der Flucht , Verdunkelungs und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1, Z 2 und Z 3 lit a und b StPO die Untersuchungshaft verhängt (ON 221, 223).

Rechtliche Beurteilung

Den dagegen von beiden Beschuldigten erhobenen Beschwerden gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 23. Juli 2020, AZ 21 Bs 204/20h, 21 Bs 205/20f, nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus denselben Haftgründen fort.

Nach den Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts besteht folgender dringender Tatverdacht:

„Es werden von einer Tätergruppe Betrugsdelikte an betagten Personen durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die Vorgabe, Polizeibeamte zu sein und aus unterschiedlichen Sicherheits- bzw Vorsichtsgründen Bargeld und Wertsachen der Pensionisten kurzzeitig verwahren zu müssen, verübt, wobei als Kopf der Organisation Mehmet ***** Y***** (Sohn bzw Bruder der Beschwerdeführerinnen) agiert, welcher sich im Ausland (Türkei) befindet und durch geschickte Befragungen per Telefon mittels Verwendung von gespooften Telefonnummern von den Opfern an die Bekanntgabe ihrer Vermögensverhältnisse herankommt. Sodann werden 'Abholer' mit total gefälschten Polizeiausweisen zu den Opfern geschickt, welche Geld und Wertgegenstände zwecks Eigentumssicherung entgegennehmen und diese dann unter anderem an den Mitbeschuldigten Dragan K***** abliefern, welcher dann die Wertgegenstände an weitere Abnehmer übergibt, unter anderem an die Schwester von Mehmet ***** Y*****, Elif ***** Y*****, sowie an dessen Mutter Emine ***** Y***** oder auch an den Mittäter Mehmet T***** und andere Personen, sodass über weitere Mitglieder der umfangreichen kriminellen Vereinigung die Wertgegenstände schließlich an den Kopf der Vereinigung Mehmet ***** Y***** gelangen.

Die in der Verfügungsgewalt der beiden Beschwerdeführerinnen stehende Wohnung *****gasse ***** wurde als „Bunkerwohnung“ verwendet, wo die Gegenstände, die den Opfern abgenommen wurden, zur Abholung gelagert wurden. Am 28. 2. 2020 reisten Emine und Elif Y***** von Istanbul nach Budapest, wurden von Manuel K***** abgeholt und nach Wien gebracht. Am 11. 3. 2020 flogen die beiden wieder von Budapest in die Türkei zurück und informierten sich vorher ausdrücklich über Vorschriften wegen Übergepäcks. Die Einreise über Budapest wurde gewählt, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits fürchteten, in Österreich gesucht zu werden. Tatsächlicher Zweck ihrer Fahrt nach Österreich war, Geld, das von der kriminellen Vereinigung betrügerisch erlangt worden war, abzuholen und in die Türkei zu bringen; Dragan K***** soll sich mit den beiden Beschwerdeführerinnen getroffen haben und ihnen c a 100.000 Euro ausgehändigt haben. Auch eine Tasche mit ca 200.000 Euro soll Dragan K***** den beiden Beschwerdeführerinnen übergeben haben. Dabei soll es sich um Beute aus den als Polizisten getarnt begangenen Betrugshandlungen gehandelt haben.

Dragan K***** soll den beiden Beschwerdeführerinnen bereits auch zwischen Februar und April 2020 20.000 Euro übergeben haben, auch dieses Geld sollte letztlich Mehmet Y***** zukommen.

Die beiden Beschwerdeführerinnen stehen im dringenden Verdacht, gewusst zu haben, dass die ihnen übergebenen Geldbeträge aus betrügerischen Tathandlungen einer kriminellen Vereinigung stammen und sie diese Beträge an den Kopf der Organisation, ihren Sohn bzw. Bruder Mehmet Y*****, abzuliefern haben“ (BS 5 bis 7). Disloziert (im Rahmen der Beweiswürdigung) stellte das Oberlandesgericht weiters fest, dass der dringende Verdacht bestehe, dass die beiden Beschuldigten „in den gesamten Ablauf der Tathandlungen eingeweiht waren und die ihnen übergebenen Beutegelder in die Türkei verbringen wollten“ (BS 9).

Eine Subsumtion dieses als sehr wahrscheinlich angenommenen Sachverhalts unter einen strafrechtlichen Tatbestand nahm das Beschwerdegericht nicht vor ( vgl jedoch § 174 Abs 3 Z 2, Abs 4 StPO; RIS Justiz RS0116421).

Gegen diesen Beschluss wenden sich die Grundrechtsbeschwerden der Emine Y***** und der Elif Y*****, welchen Berechtigung zukommt.

Die vom Erstgericht festgestellte dringende Verdachtslage lässt eine Subsumtion unter das Verbrechen der Geldwäscherei nach § 165 Abs 2 und Abs 4 erster Fall StGB zu (vgl zur Vortat – §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB – Kirchbacher in WK 2 StGB § 165 Rz 12/3, Rz 13; Ratz , WK StPO § 281 Rz 19; RIS-Justiz RS0117228 ).

Nach § 174 Abs 3 Z 4, Abs 4 StGB hat jeder Beschluss eines Oberlandesgerichts über die Fortsetzung der Untersuchungshaft „die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht“ für den Gerichtshof zweiter Instanz ergibt, zu enthalten. Das bedeutet, dass mit Bestimmtheit anzugeben ist, welcher in Hinsicht auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit als begründet angesehenen strafbaren Handlungen (rechtlichen Kategorien, also Tatbeständen; vgl § 260 Abs 1 Z 2 StPO) rechtlich entscheidend beurteilte – Sachverhalt angenommen wurde (Feststellungsebene) und klarzustellen ist, auf welchen ganz bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen, sogenannten erheblichen Tatsachen) diese Sachverhaltsannahmen über die entscheidenden Tatsachen beruhen (Begründungsebene; RIS Justiz RS0120817). Geschieht dies nicht, liegt eine Grundrechtsverletzung vor.

Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden (RIS Justiz RS0110146).

Zutreffend rügen die Beschwerdeführerinnen, dass das Oberlandesgericht im angefochtenen Beschluss die leugnenden Verantwortungen der Beschuldigten – abgesehen von der Aussage der Emine Y***** betreffend ein sichergestelltes Notizbuch (BS 9 f) – gänzlich unerwähnt ließ (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO; vgl etwa ON 201 S 271 und ON 203 S 209 f betreffend die Reise über Budapest).

Das von den Grundrechtsbeschwerden zutreffend aufgezeigte Defizit des Beschlusses des Oberlandesgerichts erfordert eine unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen, nicht jedoch die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 7 Abs 1 GRBG; RIS Justiz RS0119858).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.

Rechtssätze
4