JudikaturJustiz12Ns64/21i

12Ns64/21i – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin AAss Schaffhauser in der Strafsache gegen * W* wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 3 (§ 81 Abs 2) StGB in dem zu AZ 38 U 58/21g des Bezirksgerichts Wels zwischen diesem und dem Bezirksgericht Neulengbach geführten Zuständigkeitsstreit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren ist vom Bezirksgericht Wels zu führen.

Text

Gründe:

Zum Verfahren AZ 15 U 100/20p des Bezirksgerichts Wels:

[1] Mit Strafantrag vom 23. Juli 2021 (ON 5) legte die Staatsanwaltschaft * W* ein als Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter, vierter und achter Fall SMG beurteiltes Verhalten zur Last .

[2] Am 21. August 2020 verfügte das Gericht die Zustellung dieses Strafantrags an die Angeklagte (ON 1 S 1a).

[3] Nach Einbeziehung zweier weiterer Strafverfahren gegen * W* je wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (AZ 38 U 45/21w des Bezirksgerichts Wels [ON 27] und AZ 16 U 104/21k des Bezirksgerichts Wels [ON 30]) am 26. Mai 2021 (ON 1 S 1h) und am 31. Mai 2021 (ON 1 S 1i) wurde das Verfahren mit Urteil des Bezirksgerichts Wels vom 2. Juni 2021 (ON 34) beendet.

Zum Verfahren AZ 8 U 34 /20d des Bezirksgerichts Neulengbach (nunmehr AZ 38 U 58/21g des Bezirksgerichts Wels):

[4] Mit Strafantrag vom 28. Oktober 2020 (ON 8) legte die Staatsanwaltschaft * W* eine als Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 3 (§ 81 Abs 2) StGB beurteilte Tat zur Last. Dabei wies die Anklagebehörde unter einem auf das zu AZ 15 U 100/20p des Bezirksgerichts Wels anhängige Verfahren gegen die Genannte hin (ON 1 S 1 verso).

[5] A m 31. Mai 2021 verfügte das G ericht - mit der Anmerkung „Abfragen + HV ausschreiben“ - die Kalendierung des Aktes mit 20. Juni 2021.

[6] Nach Beischaffung einer Ausfertigung des Urteils des Bezirksgerichts Wels vom 2. Juni 2021, GZ 15 U 100/20p-34, (ON 14) übermittelte das Bezirksgericht den Akt mit der Anmerkung „Rückziehung Strafantrag wg. Bedachtnahme?“ am 6. Juli 2021 an die Staatsanwaltschaft ( ON 1 S 1a).

[7] Nachdem diese am 8. Juli 2021 „den Antrag auf Anberaumung einer HV [Hauptverhandlung]“ gestellt (ON 1 S 1a) und damit der Sache nach erklärt hatte, den Strafantrag aufrecht zu halten, verfügte das Bezirksgericht Neulengbach am 16. Juli 2021 die Abtretung an das Bezirksgericht Wels „zumal das hg Verfahren gemeinsam mit dem Verfahren zu 15 U 100/20p geführt werden hätte können und daher gem. § 37 Abs 3 StPO das BG Wels zur Verfahrensführung zuständig ist (siehe RS0132460)“ (ON 1 S 1a verso).

[8] Am 28. Juli 2021 verfügte das Bezirksgericht Wels (zu AZ 38 U 58/21g) die Vorlage der Akten an den Obersten Gerichtshof unter Hinweis darauf, dass das Verfahren beim Bezirksgericht Wels am 2. Juni 2021 beendet worden sei, sodass die Voraussetzungen für eine Verbindung am 16. Juli 2021 nicht mehr vorgelegen hätten (ON 1 S 1a verso).

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[9] Gemäß § 37 Abs 3 erster Halbsatz StPO sind die Verfahren zu verbinden, sofern zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anklage rechtswirksam wird, ein weiteres Hauptverfahren gegen den Angeklagten anhängig ist. Die Verbindung zweier (im Sinn dieser Bestimmung konnexer) Verfahren setzt die Rechtswirksamkeit (§ 4 Abs 2 StPO) beider Anklagen (RIS Justiz RS0123444 und RS0123445 [T7]) und die (gleichzeitige) Anhängigkeit beider Hauptverfahren (11 Ns 3/19h mwN) voraus.

[10] Die Zuständigkeit des Gerichts zur Verfahrensverbindung und zur Führung des verbundenen Verfahrens (§ 37 Abs 3 erster Halbsatz StPO) bestimmt sich nach § 37 Abs 2 StPO mit der Maßgabe, dass das Verfahren im – hier mangels Eingreifens eines der darin normierten vorrangigen Anknüpfungspunkte vorliegenden – Fall des § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO dem Gericht zukommt, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam geworden ist (§ 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO).

[11] Wird eines der beiden (mit jeweils rechtswirksamer Anklage zugleich anhängigen) konnexen Hauptverfahren beendet, ohne dass die (nach § 37 Abs 3 StPO gebotene) Verfahrensverbindung verfügt wurde, ist für das andere, (allein) anhängig verbliebene Verfahren jenes Gericht örtlich zuständig, in dessen Kompetenz die Verbindung und gemeinsame Verfahrensführung gefallen wäre (11 Ns 3/19h mwN).

[12] Im bezirksgerichtlichen Verfahren wird die Rechtswirksamkeit der Anklage durch den positiven (das heißt die Prozessvoraussetzungen bejahenden) Ausgang einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags bewirkt, der sich in der (das Hauptverfahren einleitenden – vgl § 4 Abs 2 StPO) Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 StPO) manifestiert. Diese „Anordnung“ kann darin bestehen, dass das Bezirksgericht die Hauptverhandlung (erstmalig) „ausschreibt“ (vgl § 221 Abs 1 StPO). Werden aber – ohne dass zunächst die Hauptverhandlung „ausgeschrieben“ wird – sonstige Verfügungen getroffen oder Beschlüsse gefasst, die das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen (§ 450 erster Satz StPO, § 451 Abs 2 StPO; örtliche Zuständigkeit nach § 36 Abs 3, Abs 5, § 37 Abs 1, Abs 2 StPO) nicht in Frage stellen, ist bereits die erste solche Entscheidung des Gerichts als „Anordnung“ der Hauptverhandlung aufzufassen. Denn solche Verfügungen und Beschlüsse bringen (ebenfalls) zum Ausdruck, dass das Gericht zuvor die Prozessvoraussetzungen – isoliert, also noch ohne Rücksicht auf eine erst danach gebotene Verfahrensverbindung (§ 37 Abs 3 StPO) – für das betreffende Hauptverfahren bejaht hat (RIS Justiz RS0132157; Oshidari , WK-StPO § 37 Rz 7/1 ff mwN ).

[13] Die Verbindung von Verfahren gemäß § 37 Abs 3 erster Halbsatz StPO ist zwingend, dem Gericht kommt insoweit kein Ermessensspielraum zu (RIS Justiz RS0128876; Oshidari , WK StPO § 37 Rz 10).

[14] Vorliegend wurde der beim Bezirksgericht Wels zu AZ 15 U 100/20p eingebrachte Strafantrag ON 5 zuerst rechtswirksam, indem dieses Gericht mit Verfügung vom 21. August 2020 die Zustellung des Strafantrags an die Angeklagte verfügte. Damit ließ es die Bejahung der eigenen Zuständigkeit unmissverständlich erkennen und ordnete solcherart die Hauptverhandlung an (§ 450 StPO).

[15] Der beim Bezirksgericht Neulengbach eingebrachte Strafantrag wurde (erst) am 31. Mai 2021 rechtswirksam, als das genannte Gericht durch die Kalendierung für die dann vorzunehmende Ausschreibung der Hauptverhandlung ebenfalls die Bejahung der eigenen Zuständigkeit unmissverständlich zum Ausdruck brachte und damit die Hauptverhandlung anordnete (§ 450 StPO). Zu diesem Zeitpunkt war das Verfahren AZ 15 U 100/20p des – demnach zuständigkeitsbegründend zuvorgekommenen – Bezirksgerichts Wels noch anhängig.

[16] Daraus folgt, dass die beiden Verfahren aufgrund subjektiver Konnexität zu verbinden waren und das Bezirksgericht Wels gemäß § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO zur Führung des verbundenen Verfahrens zuständig war. Diese gemäß § 37 Abs 3 StPO (ein Mal) begründete Zuständigkeit des Bezirksgerichts Wels wurde – nach dem oben Gesagten – durch die (eine Verbindung zum gegenwärtigen Zeitpunkt hindernde) zwischenzeitliche Beendigung des Verfahrens über die beim Bezirksgericht Wels eingebrachten Strafanträge nicht verändert.

[17] Daher ist das Bezirksgericht Wels zur Führung des (verbleibenden) Verfahrens über den beim Bezirksgericht Neulengbach eingebrachten Strafantrag vom 28. Oktober 2020 zuständig.

Rechtssätze
4
  • RS0132157OGH Rechtssatz

    31. Januar 2024·3 Entscheidungen

    1. Die Verbindung zweier Hauptverfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO setzt – auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts oder dem Bezirksgericht – die Rechtswirksamkeit (§ 4 Abs 2 StPO) beider Anklagen voraus. Im Fall des § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz iVm Abs 2 zweiter Satz StPO zuständigkeitsbegründend zuvorgekommen ist jenes Gericht, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam wurde. 2. Im einzelrichterlichen Verfahren tritt die Rechtswirksamkeit der Anklage mit dem positiven Abschluss einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags ein. Sie findet dort jedoch – anders als im kollegialgerichtlichen Verfahren – keinen beschlussförmigen Ausdruck, sondern zeigt sich erst im darauf folgenden Akt der Einleitung des Hauptverfahrens. 3. Die Einleitung des Hauptverfahrens (§ 4 Abs 2 StPO) geschieht im einzelrichterlichen Verfahren durch die Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 und § 485 Abs 1 Z 4 StPO). Unter dieser Anordnung wird (keineswegs nur das "Ausschreiben" einer Hauptverhandlung, sondern) jedes Verhalten des Gerichts verstanden, das die Bejahung der Prozessvoraussetzungen (den positiven Ausgang der amtswegigen Vorprüfung) unmissverständlich erkennen lässt. Dies trifft auf jede Entscheidung zu, deren Ergebnis keines nach (im landesgerichtlichen Verfahren:) § 485 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO oder (im bezirksgerichtlichen Verfahren:) § 450 erster Satz StPO (beschlussförmiger Ausspruch sachlicher Unzuständigkeit), § 451 Abs 2 StPO (beschlussförmige Verfahrenseinstellung) oder § 38 StPO (Wahrnehmung eigener Unzuständigkeit nach § 36 Abs 3, Abs 5; § 37 Abs 1, Abs 2 StPO) ist, also jeder contrarius actus dazu. 4. Bei der amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags (noch) außer Betracht zu bleiben hat die Anhängigkeit eines im Sinn des § 37 Abs 3 StPO konnexen Hauptverfahrens bei (irgend-)einem Gericht. Vielmehr hat sich die Vorprüfung – isoliert – auf jenes (Haupt-)Verfahren zu beziehen, das durch die Einbringung dieses (einen) Strafantrags begonnen hat.