JudikaturJustiz11Os66/23z

11Os66/23z – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Juli 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Juli 2023 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als Vorsitzende sowie durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Obergruber LL.M. als Schriftführer in der Strafsache gegen * A* wegen Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 3 U 84/22k des Bezirksgerichts Kufstein, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 29. November 2022, AZ 21 Bl 207/22g (ON 34) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer und des Verteidigers Mag. Krall zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 3 U 84/22k des Bezirksgerichts Kufstein verletzt der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 29. November 2022, AZ 21 Bl 207/22g, § 86 Abs 1 iVm §§ 88 Abs 1 zweiter Satz, 89 Abs 2 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird dem Landesgericht Innsbruck die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgetragen.

Text

Gründe:

[1] Im Verfahren AZ 3 U 84/22k des Bezirksgerichts Kufstein legte die Staatsanwaltschaft * A* mit Strafantrag vom 9. Mai 2022 (ON 22) als Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (1) und der (gemeint:) mittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung nach § 228 Abs 1 StGB (2) subsumierte Sachverhalte zur Last.

[2] In der hierüber durchgeführten Hauptverhandlung am 16. September 2022 verkündete die Richterin nach Zahlung eines Geldbetrags durch * A* den Beschluss, das Strafverfahren gegen den Genannten „wegen §§ 223 Abs 2, 228 Abs 1 StGB“ „gemäß §§ 199, 200 Abs 1 StPO“ einzustellen. Die Verfahrensbeteiligten beantragten eine Protokolls- und Beschlussausfertigung (ON 30 S 3).

[3] Am 28. September 2022 wurde die Zustellung einer schriftlichen Beschlussausfertigung (ON 31 – die irrig auf „28. September 2022“ datiert ist) „samt Akt“ an die Staatsanwaltschaft verfügt (ON 1 S 33 verso).

[4] Die von der Staatsanwaltschaft an das Bezirksgericht Kufstein gerichtete (ON 32 S 1 und 3) und am 29. September 2022 abgefertigte (ON 1 S 35) Beschwerde gegen den am 16. September 2023 mündlich verkündeten Einstellungsbeschluss (ON 30 S 3) wurde zunächst der Bezirkshauptmannschaft Kufstein zugestellt (vgl ON 41 Beilage ./A Punkt 5 und aus der Verfahrensautomation Justiz ersichtliche Übersendungsnote vom 30. September 2022) und langte am 17. Oktober 2022 beim Bezirksgericht Kufstein ein (Eingangsstampiglien auf ON 1 S 35 und ON 32 S 1).

[5] Mit Beschluss vom 29. November 2022, AZ 21 Bl 207/22g (ON 34), gab das Landesgericht Innsbruck als Beschwerdegericht der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und ordnete die Fortsetzung des Verfahrens an. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck „vom 28. 09. 2022“ (BS 2) sei insofern berechtigt, als gewichtige generalpräventive Gründe einem Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der Strafprozessordnung entgegenstünden (BS 6).

Rechtliche Beurteilung

[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht der in Rede stehende Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[7] Ergeht in der Hauptverhandlung ein Beschluss auf Einstellung des Verfahrens nach dem 11. Hauptstück der Strafprozessordnung, ist diese Entscheidung mündlich zu verkünden. Der Staatsanwaltschaft steht dagegen die binnen 14 Tagen nach Verkündung einzubringende Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof zu (§ 88 Abs 1 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0118013; Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 88 Rz 2 und § 209 Rz 5, je mwN).

[8] Gemäß § 89 Abs 2 StPO hat das Beschwerdegericht eine Beschwerde, die verspätet oder von einer Person eingebracht wurde, der ein Rechtsmittel nicht zusteht (§ 87 Abs 1 StPO), als unzulässig zurückzuweisen. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist demnach (auch) die Frage der Rechtzeitigkeit, allenfalls aufgrund von Aufklärungen gemäß § 89 Abs 5 StPO, zu lösen (11 Os 114/12t [11 Os 115/12i]). Nur wenn kein Grund für eine Zurückweisung der Beschwerde besteht, kommt die Entscheidung in der Sache in Betracht.

[9] Gerichtliche Entscheidungen (§ 35 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StPO) sind rechtsfehlerhaft, wenn die Ableitung der Rechtsfolge aus dem vom Entscheidungsträger zugrunde gelegten Sachverhaltssubstrat das Gesetz verletzt oder die Sachverhaltsannahmen entweder in einem rechtlich mangelhaften Verfahren zustande gekommen oder mit einem formalen Begründungsmangel behaftet und demnach willkürlich getroffen sind (RIS-Justiz RS0126648; Ratz , WK StPO § 292 Rz 17).

[10] Ein Beschluss hat gemäß § 86 Abs 1 StPO neben Spruch und Rechtsmittelbelehrung eine Begründung zu enthalten (§ 86 Abs 1 erster und vierter Satz StPO). Die Pflicht zur Angabe des rechtlich als entscheidend beurteilten Sachverhalts umfasst auch jene zur Darlegung der Tatsachen (Beweisergebnisse), auf denen diese Sachverhaltsannahmen beruhen. Erst dadurch wird die Tatsachengrundlage der Entscheidung (§ 35 Abs 2 erster Fall StPO) dahin überprüfbar, ob sie in formal einwandfreier Weise – also ohne Begründungsmängel i Sd § 281 Abs 1 Z 5 StPO und demnach nicht willkürlich – geschaffen worden ist (siehe auch § 89 Abs 2a Z 3 StPO; [zuletzt] 13 Os 109/22m, 13 Os 13/23w Rz 9). Demzufolge verletzen die Tatsachenannahmen eines Beschlusses das Gesetz, wenn sie ein Begründungsdefizit iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufweisen und solcherart als willkürlich zu beurteilen sind (RIS Justiz RS0132725; Fabrizy/ Kirchbacher , StPO 14 § 86 Rz 1/1).

[11] Letzteres ist hier der Fall:

[12] Die vom Landesgericht Innsbruck als Beschwerdegericht (implizit) zum Ausdruck gebrachte und zur meritorischen Entscheidung führende Annahme der Rechtzeitigkeit der Beschwerde der Staatsanwaltschaft blieb unter bloßem Hinweis auf deren Datierung – „Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 28. 09. 2022“ – (BS 2) offenbar unzureichend begründet (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) und ist insoweit rechtsfehlerhaft (RIS Justiz RS0118317 und RS0132725; Ratz , WK StPO § 281 Rz 444).

[13] Wollte das Rechtsmittelgericht mit der in Rede stehenden Wortfolge hingegen das Datum des Einlangens der Beschwerde bei Gericht zum Ausdruck bringen, steht dem die im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung aktenkundige, das Datum „17. Oktober 2022“ aufweisende Eingangsstampiglie des Bezirksgerichts Kufstein iSd § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO erörterungsbedürftig entgegen (RIS Justiz RS0118316; Ratz , WK StPO § 281 Rz 420 ff).

[14] Der Oberste Gerichtshof sah sich gemäß § 292 letzter Satz StPO veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verbinden.