JudikaturJustiz11Os60/21i

11Os60/21i – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. September 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum als Schriftführerin in der Strafsache gegen Zvonko V* wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1, Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. Jänner 2021, GZ 72 Hv 128/20z 42, weiters über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen zugleich gefassten Beschluss gemäß § 494a StPO, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft werden zurückgewiesen.

Über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und einer bedingten Entlassung ist nicht mehr zu entscheiden.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Zvonko V* – neben einem in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB – gemäß § 259 Z 3 StPO von dem wider ihn erhobenen Vorwurf freigesprochen, er habe am 23. Mai 2020 in W* D* S* durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) eine fremde bewegliche Sache, und zwar eine 50-Euro-Banknote, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er äußerte „Ich werde dich ficken, ich werde dein Leben nehmen, du wirst schon sehen“, S* die 50-Euro-Banknote, die dieser in der Hand hielt, wegnahm und daraufhin die Drohung mit den Worten „Willst du, dass ich dir alles nehme oder jetzt diese 50 Euro? Willst du, dass ich dich auch ficke, D*?“ bekräftigte, wobei er den Raub ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Wertes beging.

Rechtliche Beurteilung

[2] Gegen diesen Freispruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3 und 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[3] Vorauszuschicken ist, dass den Ankläger bei der Geltendmachung von Verfahrensmängeln zum Nachteil des Angeklagten eine verschärfte (dreifache) Rügeobliegenheit trifft (§ 281 Abs 3 zweiter Satz StPO; Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 281 Rz 118; Ratz , WK StPO § 281 Rz 7 3 5; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.45; Mühlbacher in Schmölzer/Mühlbacher , StPO 2 § 281 Allg StPO Rz 32; Birklbauer in LiK StPO § 281 Rz 15). Demnach hat er sich der Formverletzung bzw dem Vorgang zu widersetzen , eine Entscheidung des Schöffengerichts über seinen auf Einhaltung der (verletzten) Verfahrensvorschrift abzielenden Antrag (Widerspruch) zu begehren und sich sofort nach der negativen Entscheidung darüber die Nichtigkeitsbeschwerde vorzubehalten. Das Gesetz sagt nicht, wie ein solches „Widersetzen“ (ein solcher Widerspruch) zu geschehen hat. Entsprechend der Rügeobliegenheit nach § 281 Abs 1 Z 2 StPO (dazu näher Ratz , WK StPO § 281 Rz 191) ist aber zu verlangen, dass dies unmissverständlich, ausdrücklich und vor der kritisierten Formverletzung bzw dem Vorgang erfolgt. In tatsächlicher Hinsicht muss alles für die Formverletzung Sprechende entweder gesagt werden oder aus den Umständen ohne weiteres ersichtlich sein, ansonsten die Rügeobliegenheit keinen Sinn hätte.

[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) kritisiert die in der Hauptverhandlung am 26. Jänner 2021 vorgenommene Verlesung der Aussagen der Zeugen Danijel S* und Zeljko V* (ON 41 S 3 und 5) als unzulässig.

[5] Hinsichtlich des Zeugen S* erklärte sich d er Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung am 18. Dezember 2020 nicht mit der Verlesung dessen Aussagen einverstanden, nachdem der Genannte trotz einer Vorladung unentschuldigt nicht erschienen war (ON 30 S 12). Aufgrund des einige Vorgänge später gestellte n Antrags de s Staatsanwalts auf (unmittelbare) Vernehmung des Zeugen wurde die Hauptverhandlung schließlich vertagt (ON 30 S 13). In der Hauptverhandlung am 26. Jänner 2021 wies der Schöffen senat diesen Antrag sodann mit der Begründung ab , dass eine Vernehmung wegen des (pandemiebedingt längeren) Aufenthalts des Zeugen in Serbien in absehbarer Zeit nicht durchführbar sei. Unmittelbar daran anschließend wurde ein „Beschluss“ des Schöffengerichts auf Verlesung der im Ermittlungsverfahren (nicht kontradiktorisch zustande gekommenen) Aussage des Zeugen gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO verkündet (ON 41 S 3).

[6] Ohne dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanw a ltschaft daraufhin sogleich einen Widerspruch gegen die so lcherart angekündigte Verlesung erklärt , im Hinblick auf die ihr bekannt gemachte Einschätzung des Schöffengerichts von der Unerreichbarkeit des Zeugen allfällige Umstände dargelegt, die (dennoch) gegen die Verlesungsvoraussetzungen sprechen, und sodann eine (neuerliche) Entscheidung über die Verlesungsfrage verlangt hätte, wurde die entsprechende Aussage verlesen (ON 41 S 3). Erst nachdem der Angeklagte im Anschluss daran zu diesen Depositionen Stellung genommen hatte, behielt sich die Staatsanwältin die „Geltendmachung einer Nichtigkeitsbeschwerde“ vor (ON 41 S 4).

[7] Damit hat sie es aber verabsäumt, ihrer oben dargestellten Rügeobliegenheit zur Gänze zu entsprechen.

[8] I n Ansehung des Zeugen V* kann der aus Z 3 erhobenen Rüge schon deshalb kein Erfolg beschieden sein, weil sich eine Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, sich die Nichtigkeitsbeschwerde vorzubehalten (§ 281 Abs 3 StPO), nach dem ungerügt gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung ausdrücklich bloß auf die Abweisung ihres Antrags auf Vernehmung dieses Zeugen , nicht aber auf die gegen ihren (hier tatsächlich erfolgten) Widerspruch (ON 41 S 4) erfolgte Verlesung des Protokolls über seine frühere Vernehmung bezog (ON 41 S 5).

[9] Im Übrigen wurde nach dem Hauptverhandlungsprotokoll vor Schluss des Beweisverfahrens der gesamte Akteninhalt (einschließlich der die Aussagen der Zeugen S* und V* enthaltenden ON 2 und ON 4) ohnedies mit Zustimmung auch der Staatsanwaltschaft v o r getragen (ON 41 S 5; dazu RIS Justiz RS0127712), sodass die behauptete Formverletzung von vornherein keinen die Anklage beeinträchtigenden Einfluss auf die Entscheidung zu üben vermochte (§ 281 Abs 3 StPO).

[10] Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die in der Hauptverhandlung am 26. Jänner 2021 erfolgte Abweisung (ON 41 S 3 f) der in der Hauptverhandlung am 18. Dezember 2020 gestellten A nträge auf Vernehmung der Zeugen S* und V* (ON 30 S 13).

[11] Hinsichtlich des Zeugen S* ist abermals auf die bereits oben dargestellten Vorgänge in der Hauptverhandlung am 26. Jänner 2021 hinzuweisen. Indem d er Vorbehalt einer Nichtigkeitsbeschwerde nicht unmittelbar nach der Abweisung des Beweisantrags, sondern erst nach der Verlesung der Angaben dieses Zeugen und der Stellungnahme des Angeklagten dazu erfolgte , entsprach er nicht de n engen zeitlichen Vorgaben der dritten Rüge obliegenheit des § 281 Abs 3 zweiter Satz StPO („sofort nach der Verkündung dieser Entscheidung“).

[12] Gleiches gilt für den Beweisantrag betreffend den Zeugen V*. Denn auch hier gab die Sitzungsvertreterin der Anklagebehörde eine entsprechende Erklärung nicht unmittelbar nach dessen Abweisung, sondern erst ab, nachdem ein „Beschluss“ des Schöffengerichts auf Verlesung der Zeugenaussage umgesetzt und der Angeklagte dazu ergänzend befragt worden war (ON 41 S 4 f).

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[14] Ebenso war mit der Berufung der Staatsanwaltschaft zu verfahren, weil der Anmeldung (ON 44) dieses in der Folge nicht ausgeführten Rechtsmittels keine Festlegung über die Richtung der Sanktionsanfechtung (zu Gunsten oder zum Nachteil des Angeklagten) zu entnehmen war (RIS Justiz RS0100560).

[15] D ie Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den gemäß § 494a StPO zugleich mit dem angefochtenen Urteil gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu AZ 161 Hv 52/15w des Landesgerichts Wiener Neustadt und der bedingten Entlassung zu (nunmehr) AZ 186 BE 194/18m des Landesgerichts für Strafsachen Wien ist als gegenstandslos zu betrachten.

[16] Denn das angestrebte Beschwerdeziel ist dem vom Obersten Gerichtshof eingeholten (und durch Einsichtnahme in die in der Verfahrensautomation Justiz [VJ] verfügbare Urteilsausfertigung und Strafvollzugsanordnung verifzierten) Strafregisterauszug zufolge bereits im Verfahren AZ 63 Hv 7/21s des Landesgerichts für Strafsachen Wien erreicht, in welchem gleichzeitig mit dem dort am 28. April 2021 gefällten (inzwischen rechtskräftigen) Strafurteil ein entsprechender (inzwischen rechtskräftiger) Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO erging.

[17] Letzterer konnte – ungeachtet der Anhängigkeit der Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den im gegenständlichen Verfahren gefassten (also noch nicht rechtskräftigen) Beschluss – rechtswirksam ausgesprochen werden, weil dem (bloßen) Absehen vom Widerruf keine einen Widerruf aus Anlass einer weiteren Verurteilung (wegen einer anderen Folgetat) hindernde Sperrwirkung entgegenstand. Da ein solcher Widerruf auch ohne Aufhebung eines zeitlich vorangehenden (in einem anderen Verfahren wegen einer anderen Folgetat getroffenen) Beschlusses auf (bloßes) Absehen vom Widerruf mit Letzterem (selbst im Fall dessen Rechtskraft) begrifflich und rechtslogisch ohne Weiteres vereinbar ist, war der hier betroffene Entscheidungsgegenstand noch nicht materiell erledigt (vgl vom Ansatz her 14 Os 117/90 [= RIS Justiz RS0100454 {T3}] und Jerabek in WK² § 53 Rz 30; anders in Fällen von begrifflich und rechtslogisch miteinander unvereinbaren Entscheidungen – siehe dazu RIS Justiz RS0091864, RS0100454, RS0101040; Jerabek in WK² § 53 Rz 29; Lewisch , WK StPO Vor §§ 352–363 Rz 47 ff).

[18] Über die Beschwerde war im vorliegenden Fall somit nicht mehr zu entscheiden.

Rechtssätze
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