JudikaturJustiz11Os19/07i

11Os19/07i – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Prammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Daniel R***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 21. November 2006, GZ 422 Hv 2/06y-118, sowie über seine Beschwerde gegen einen Widerrufsbeschluss nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Bischof

I. zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, dass die Freiheitsstrafe auf 15 (fünfzehn) Jahre herabgesetzt wird.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last;

II. den Beschluss

gefasst:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Daniel R***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 5. April 2006 in Wien Zbigniev K***** durch Versetzen eines Messerstiches in die linke Brustgegend mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von 7,5 cm vorsätzlich getötet. Die Geschworenen hatten die anklagekonform auf das Verbrechen des Mordes gerichtete Hauptfrage bejaht, die nach dem Vorliegen einer Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit (§ 11 StGB) gestellte Zusatzfrage jedoch verneint. Folgerichtig blieben die Eventualfragen nach den Verbrechen des Totschlags, der absichtlichen schweren Körperverletzung und der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang sowie die hiezu jeweils gestellten Zusatzfragen nach dem Vorliegen einer Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten sowie weitere Eventualfragen nach der Begehung der jeweiligen Taten im Zustand voller Berauschung unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 1, 6 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Aus Z 1 rügt der Beschwerdeführer, die Geschworenenbank sei nicht gehörig besetzt gewesen, weil die Geschworenen nicht in der Reihenfolge der Dienstliste zu ihrem Amt berufen worden seien. Nichtig nach § 345 Abs 1 Z 1 StPO ist ein Urteil unter anderem dann, wenn die Geschworenenbank nicht gehörig besetzt war. Da das Gesetz den Begriff der gehörigen Besetzung nicht näher definiert, ist dieser durch verfassungskonforme Interpretation zu ermitteln, die sich am verfassungsgesetzlich garantierten Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) und am Grundrecht auf ein faires Verfahren (Art 6 MRK) auszurichten hat.

Dabei ist vorweg grundsätzlich zu beachten, dass Geschworene formell nicht dem Begriff des Richters im Sinne der Art 82 Abs 2, 87 Abs 3 B-VG unterfallen, sodass die Bestimmungen über die feste Geschäftsverteilung auf diese nicht unmittelbar anwendbar sind. Eine am Zweck des Grundrechtes auf den gesetzlichen Richter orientierte Auslegung wird daher (Art 83 Abs 2 B-VG in Verbindung mit Art 6 Abs 1 MRK) Verstöße gegen die Regelungen über die Berufung der Geschworenen jedenfalls dann beachten, wenn sie eine Unfairness gegenüber dem Beschwerdeführer erkennen lassen.

Dementsprechend liegt dann eine Nichtigkeit iSd § 345 Abs 1 Z 1 StPO vor, wenn vom gesetzlich determinierten Prinzip der nach dem Zufall zu erfolgenden Besetzung der Geschworenenbank willkürlich, mithin in sachlich unvertretbarer Weise abgewichen wird (vgl insbesondere 15 Os 48/06g mit zahlreichen weiteren Nennungen).

Vorliegend wurden - nach dem Ergebnis der vom Obersten Gerichtshof angeordneten Aufklärung - von der für die Geschworenengerichte zuständigen Geschäftsabteilung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien aus der gesetzeskonform erstellten Dienstliste 100 Geschworene an einem bestimmten Tag vorgeladen und die tatsächlich erschienenen grundsätzlich nach der vorgesehenen Reihenfolge, jedoch unter Berücksichtigung ihrer Ortsanwesenheit in Wien und ihrer individuellen Abkömmlichkeit zum Dienst für die im nächsten Monat folgenden, bereits terminisierten Hauptverhandlungen eingeteilt. Diese Diensteinteilung unter Bedachtnahme auf die zeitlichen Möglichkeiten der Geschworenen ist zur Gewährleistung der verzögerungsfreien Durchführung der bereits anberaumten Hauptverhandlungen (in Haftsachen vgl § 193 Abs 1 StPO) sachgerecht und trägt dem Prinzip der zufallsbedingten Heranziehung der in der Dienstliste eingetragenen Geschworenen durchaus Rechnung. Sie lässt keine Willkür im Sinne einer nicht sachlich motivierten Einteilung der Laienrichter erkennen. Eine solche Willkür wird im Rechtsmittel nicht einmal behauptet.

Der Beschwerdestandpunkt, die bei der erwähnten Diensteinteilung ausgebliebenen Geschworenen sowie jene, bei denen die Ladung als nicht behoben bzw unzustellbar retourniert wurde, wären neuerlich, allenfalls unter ihrer neuen Adresse (offenbar gemeint nach Durchführung entsprechender Aufenthaltsermittlungen) vorzuladen gewesen, findet in der das Nichtbefolgen der Ladung regelnden Bestimmung des § 14 Abs 4 GSchG keine Stütze; ebenso wenig in jener des § 16 Abs 1 GSchG, derzufolge ein der Verhandlung ferngebliebener Geschworener unter anderem seines Amtes zu entheben und von der Dienstliste zu streichen ist. Die geforderten weitergehenden Anforderungen lassen sich auch aus der Rechtsprechung des EGMR nicht ableiten (vgl Frowein/Peukert EMRK2 Art 6 Rz 123; Grabenwarter EMRK2 § 24 Rz 31).

Fallbezogen kann daher von der behaupteten, Nichtigkeit im Sinne des § 345 Abs 1 Z 1 StPO bewirkenden willkürlichen Auswahl der Geschworenen keine Rede sein. Da an der Hauptverhandlung die nach der gültigen Dienstliste geladenen Geschworenen nach vorschriftsmäßiger Beeidigung teilnahmen, war die Geschworenenbank gehörig besetzt. Unbegründet ist ferner die Kritik des Beschwerdeführers an der Fragestellung (Z 6), mit welcher er gegen die Unterlassung der Stellung eigentlicher Zusatzfragen nach Notwehr, Notwehrüberschreitung und Putativnotwehr remonstriert. Eine Zusatzfrage setzt ein Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung voraus (§ 314 StPO), durch welches die Annahme der reklamierten Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe indiziert ist. Dass ein solcher Tatumstand vom Angeklagten behauptet wird, ist nicht erforderlich; es genügt, wenn sich aus den Beweisergebnissen der Klärung bedürftige Indizien ergeben (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 42). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Angeklagte selbst hatte lediglich angegeben, sich an das Tatgeschehen nicht erinnern zu können (S 109, 202/I, 335/II). Aus den Angaben der Zeugen Azra B***** und Sanija R***** und dem Foto Nr 2 der Lichtbildserie S 139 f/I wiederum, auf welche sich die Beschwerde beruft, lässt sich ein Indiz für die Annahme einer Notwehrsituation nicht gewinnen. Nach Darstellung der Zeugin Sanija R***** (S 87/I ff, 356 ff/II) war es zwischen dem Tatopfer und zwei jüngeren Männern zu einem heftigen Streit gekommen. Als die beiden Männer das Geschäft verließen, folgte ihnen Zbigniew K*****, zog den jüngeren der beiden an der Jacke zu sich und stieß ihn schließlich weg, sodass dieser ins Straucheln geriet, ging dann aber zurück ins Geschäft. Die beiden Männer folgten ihm und schlugen sofort auf ihn ein. Die Zeugin Azra B***** (S 77/I, 357/II) hatte nur gesehen, dass sich drei Männer schlugen (vgl dazu Leukauf/Steininger Komm3 § 3 RN 84). Das von der Überwachungskamera stammende Lichtbild Nr 2 in ON 6 hält ein Handgemenge fest, welches nach den Verfahrensergebnissen und dem Beschwerdevorbringen (arg: „Vorfeld der Tat") zum Zeitpunkt der Tötungshandlung bereits beendet war. Im Übrigen wird durch die gesamte Lichtbildserie (S 139 ff/I) die Version der Verteidigung, der Beschwerdeführer sei von Zbigniew K***** angegriffen worden, in keiner Weise bestätigt. Mangels eines entsprechenden Tatsachenvorbringens war daher die Stellung der vermissten Zusatzfragen nicht geboten.

Gleiches gilt für den Einwand, es sei eine Eventualfrage „nach §§ 80 ff StGB" zu stellen gewesen. Das bloße Leugnen eines Tötungsvorsatzes bei gleichzeitiger Einlassung, sich an die Geschehnisse nicht erinnern zu können, reicht für eine Eventualfrage nach fahrlässiger Tatbegehung nicht hin (vgl Schindler, WK-StPO § 314 Rz 12 iVm § 313 Rz 6, 10). Die übrigen angeführten Beweisergebnisse aber - so die Aussage des medizinischen Sachverständigen, das Tatopfer könnte auch nach vorne gebeugt gewesen sein (S 387/II), jene des psychiatrischen Sachverständigen, der erklärte, „wer so berauscht ist, ist nicht in der Lage, mit so einer Wucht zuzustechen" (S 389/II), die Verantwortung des Angeklagten, er habe das Messer nur zum Entfernen von Diebstahlssicherungen mit sich geführt (S 337/II), und dessen von Zeugen bekundete Rauschmittelbeeinträchtigung - bilden kein Tatsachensubstrat, welches darauf hindeutet, das Opfer sei „in das Messer gerannt", weshalb dem Beschwerdeführer lediglich ein Sorgfaltsverstoß iSd § 6 Abs 1 oder Abs 2 StGB unterlaufen sein könnte.

Die Tatsachenrüge (Z 10a) vermag keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten aufzuzeigen, sondern versucht prozessordnungswidrig nach Art einer Schuldberufung Beweisergebnisse dahin zu deuten, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig gewesen sei. Insbesondere ergeben sich solche Bedenken nicht aus dem behaupteten, in Wahrheit nicht vorliegenden Widerspruch zwischen dem schriftlichen Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen und dessen Ausführungen in der Hauptverhandlung. Ging nämlich der Sachverständige beim Verfassen des schriftlichen Gutachtens vom bloß leichte Alkoholisierung konstatierenden amtsärztlichen Gutachten (S 195/I) und den nur vagen Angaben des nach der Tat die Blutabnahme verweigernden (S 65/I) Angeklagten zur Menge der eingenommenen bewusstseinsverändernden Stoffe aus (vgl Gutachten S 155, 159 ff/II), nahm er im mündlich erstatteten Gutachten Bezug auf die Angaben des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung, der sich nunmehr ungeachtet früherer Erinnerungslücken in der Lage sah, über die seinerzeitige Konsumation von Alkoholika und Drogen doch genauere Angaben zu machen (S 333 f/II). Die Schlussfolgerung des Sachverständigen, „wenn er diese Menge wirklich, eingenommen hätte, würden wir nicht hier sitzen" (S 391/II) steht daher nicht im Widerspruch zu den schriftlichen Gutachtensausführungen. Darüber hinaus hat der Sachverständige unmissverständlich deponiert, dass eine massive Überdosierung von Praxiten nicht vorgelegen habe (S 391/II).

Die Rüge vermag somit keine Bedenken gegen die tatrichterliche Annahme der Zurechnungsfähigkeit auszulösen.

Unter Wiederholung des Vorbringens zur - unbestrittenen - Beeinträchtigung des Beschwerdeführers durch Alkohol und Praxiten beklagt die Rüge, dass der Sachverständige dem im Zwischenverfahren erteilten gerichtlichen Auftrag (ON 104), sein Gutachten im Sinne eines Antrages des Angeklagten (ON 103) zu ergänzen, nicht nachgekommen ist, und vermisst die Erörterung verschiedener Fragen zur Intoxikation des Angeklagten.

Diese Aufklärungsrüge scheitert an der gebotenen Darlegung, wodurch der Angeklagte, der nach Anhörung des Sachverständigen auf weitere Beweisanträge verzichtet hat (S 393/II), daran gehindert war, weitere Fragen oder Beweisanträge zu stellen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über Daniel R***** nach § 75 StGB

eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Bei der Strafzumessung wertete es als mildernd keinen Umstand, als erschwerend hingegen eine einschlägige Vorstrafe, den Konsum von Alkohol und Praxiten, obwohl dem Angeklagten bewusst war, dass er dadurch aggressiv werde, den Umstand, dass das Opfer keine Vorsicht gegen die Tat walten lassen konnte, und die besondere Brutalität der Tat ohne jeglichen Anlass.

Gleichzeitig widerrief das Geschworenengericht eine mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 26. Mai 2004 gewährte bedingte Entlassung aus in den Verfahren 11 Hv 232/02g sowie 11 Hv 51/04t jeweils des Landesgerichtes für Strafsachen Graz verhängten Freiheitsstrafen sowie eine vom Landesgericht für Strafsachen Graz zu 6 Hv 51/05g gewährte bedingte Nachsicht einer Freiheitsstrafe.

Der gegen den Strafausspruch erhobenen Berufung kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Der am 22. August 1984 geborene, im Tatzeitpunkt knapp über 21 Jahre alte Angeklagte ist ohne besondere familiäre Bindungen aufgewachsen. Demgemäß musste seine lebensgeschichtliche Entwicklung vom Sachverständigen Prim. Dr. Heinz P***** als ungünstig bezeichnet werden (S 171/II). Ihm ist daher der besondere Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 1 StGB zugute zu halten.

Unter Berücksichtigung der durch dieses Vorleben bewirkten Persönlichkeitsstruktur, den näheren Tatumständen (vgl hiezu die Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO) und der vom Erstgericht richtig angeführten Erschwerungsgründe ergibt sich, dass die persönliche Täterschuld nicht so hoch ist, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe erforderlich wäre. Vielmehr reicht eine zeitliche Freiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Jahren gerade noch aus, um auch der aggressiven Täterpersönlichkeit in entsprechender Weise zu begegnen. Die Freiheitsstrafe war daher auf dieses Ausmaß zu ermäßigen.

Auf Basis dieser Herabsetzung bedarf es aber zusätzlich des Vollzuges der restlichen Freiheitsstrafe aus einer gnadenweise bedingten Nachsicht sowie der vom Landesgericht für Strafsachen Graz zunächst bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, um den Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Daher war der (implizierten) Beschwerde ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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