JudikaturJustiz11Os166/13s

11Os166/13s – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Februar 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Februar 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sattlberger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter L***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1 und 2, 130 dritter und vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Abd Al Karem S*****, Rachid T***** und Nazim Sa***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 7. Juni 2013, GZ 16 Hv 50/13w 69, und die Beschwerde des Angeklagten Nazim Sa***** gegen den Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Nazim Sa*****, Abd Al Karem S***** und Rachid T***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden (soweit vorliegend von Relevanz) Abd Al Karem S***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1, 130 vierter Fall, 12 dritter Fall StGB (A/II und IV), Rachid T***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB (A/IV und VI) sowie des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (B) und Nazim Sa***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1, 130 vierter Fall, 12 dritter Fall und 15 StGB (A/III und V) sowie des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (B) schuldig erkannt.

Danach haben in Graz

A) gewerbsmäßig mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Gewahrsamsträgern durch Einbruch fremde bewegliche Sachen weggenommen (IV und VI) oder zur Ausführung einer solchen strafbaren Handlung sonst beigetragen (II), und zwar

II) Abd Al Karem S***** in der Zeit zwischen 8. und 12. Dezember 2012, indem er dem Walter L***** eine Räuberleiter machte, wodurch dieser dem Burhan Lo***** durch Aufdrücken eines defekten Fensters sowie Einsteigen in das Gebäude im einzeln bezeichnete Gegenstände wegnehmen konnte,

IV) Abd Al Karem S***** und Rachid T***** in einverständlichem Zusammenwirken nachts zum 4. Dezember 2012 Hichem D***** 15 Mobiltelefone und Bargeld durch Aufbrechen der Eingangstüre,

VI) Rachid T***** am 31. Jänner 2013 Gewahrsamsträgern des Handelsunternehmens „S*****“ zwei Dosen Bier, zwei Becher Milcheis und einen Schokoriegel;

B) Rachid T***** und Nazim Sa***** in einverständlichem Zusammenwirken im Jänner 2013 Walter L***** mit Gewalt, nämlich durch Verabreichen einer intravenösen Injektion mit einer Dosis von etwa 300 Gramm „Compensan“, fremde bewegliche Sachen, nämlich zumindest 3.000 Euro Bargeld mit dem Vorsatz abgenötigt, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Abd Al Karem S*****, Rachid T***** und Nazim Sa*****, die Rachid T***** auf Z 5, 5a, 9 lit a und 11 und Nazim Sa***** auf Z 10 jeweils des § 281 Abs 1 StPO stützen. Abd Al Karem S***** führte das Rechtsmittel nicht aus.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Nazim Sa*****:

Die Subsumtionsrüge (Z 10) legt ihrer Argumentation die urteilsfremde Prämisse zugrunde, wonach der Vorsatz des Angeklagten „zunächst lediglich die gemeinsame Konsumation von Alkohol und Cannabis als Tatmittel umfasst“ habe. Davon ausgehend erklärt sie nicht, weshalb trotz der Konstatierungen zur nachfolgenden Mitwirkung (§ 12 dritter Fall StGB) bei der Wegnahme des Geldes durch Nazim Sa***** (US 17) eine Tatbeurteilung nach § 142 Abs 1 StGB ausgeschlossen sein soll.

Lediglich der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass mit Blick auf die Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen des § 12 StGB (RIS-Justiz RS0117604) die in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich gelöste Frage, ob (bzw unter welchen Voraussetzungen) einem in einer späteren Deliktsphase hinzutretenden Täter sukzessive Mittäterschaft (§ 12 erster Fall StGB) oder sukzessive Beteiligung (§ 12 dritter Fall StGB) anzulasten ist, dahingestellt bleiben kann (vgl 10 Os 102/80; zum Meinungsstand Fuchs , AT 8 33/62 ff; Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 30 jeweils mwN; vgl auch ders aaO Rz 94; sukzessive Mittäterschaft bejahend 11 Os 206/83; 10 Os 183/84; Schönke/Schröder/Heine , StGB 28 Vorbem §§ 25 ff Rz 81; [nur] bei [„gleichem bösen“] Vorsatz in Bezug auf die dem Einschreiten vorangegangene Deliktsphase RIS-Justiz RS0089759 [insb T2 und T5]; vgl auch RIS-Justiz RS0094036 [T5], RS0089844).

Zu den Nichtigkeitsbeschwerden des Rachid T***** und des Abd Al Karem S*****:

Der (undifferenziert ausgeführten) Mängel- und Tatsachenrüge (Z 5 und 5a) des Rachid T***** ist vorauszuschicken, dass eine Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung, wie sie nur die im einzelrichterlichen Verfahren vorgesehene Schuldberufung ermöglicht, im Verfahren vor den Kollegialgerichten nicht vorgesehen ist (vgl § 283 Abs 1 StPO). Das Gericht ist gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO verpflichtet, die schriftliche Urteilsbegründung in gedrängter Darstellung abzufassen und darin mit Bestimmtheit anzugeben, welche Tatsachen es als erwiesen oder als nicht erwiesen annahm und aus welchen Gründen dies geschah. Dabei hat es die Beweismittel nicht nur einzeln, sondern (vor allem) in ihrem inneren Zusammenhang sorgfältig zu prüfen und nicht nach starren Beweisregeln, sondern nach seiner freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 258 Abs 2 StPO). Die Tatrichter sind ferner nicht gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen und Verfahrensergebnisse im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen. Auch kann nicht verlangt werden, dass sich das Gericht mit den Beweisresultaten in Richtung aller denkbaren Schlussfolgerungen auseinander setzt. Dass aus den ermittelten Prämissen auch für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich wären, die Erkenntnisrichter sich aber dennoch (mit logisch und empirisch einwandfreier Begründung) für eine dem Angeklagten ungünstigere Variante entschieden haben, ist als Akt freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) mit Mängelrüge unbekämpfbar.

Keine oder nur offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) liegt vor, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe angegeben sind, aus denen sich nach Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungssätzen über Kausalzusammenhänge ein Schluss auf die zu begründende Tatsache nicht ziehen lässt. Der gegen bloß willkürlich getroffene Feststellungen gerichtete Nichtigkeitsgrund ist jedoch nicht gegeben, wenn die angeführten Gründe bloß nicht überzeugend genug scheinen oder wenn neben dem nichtigkeitsfrei gezogenen Schluss auch noch andere Folgerungen denkbar sind.

Auf dieser Basis ist dem Rechtsmittel Folgendes zu erwidern:

Bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik gegen die zum Schuldspruch A/IV führenden Urteilsannahmen übt der Beschwerdeführer, soweit er die belastenden Depositionen des Nazim Sa***** als unglaubwürdigen Versuch darstellt, ihm die Verantwortung für den in Rede stehenden Einbruchsdiebstahl zuzuschieben. Dass das Erstgericht den Angaben des Angeklagten Sa***** folgte, obwohl dieser in der Hauptverhandlung im Gegensatz zu dessen polizeilicher Vernehmung keine Angaben mehr zu seinen Beobachtungen hinsichtlich der erlangten Diebesbeute machte, ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

Gleiches gilt für die weiters bemängelte bei leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch aber nicht zu ersetzende Ableitung der subjektiven Tatseite aus dem objektiven Geschehen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 452).

Mit Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird Nichtigkeit aus Z 5 oder 5a des § 281 Abs 1 StPO ebenfalls nicht geltend gemacht (RIS-Justiz RS0117445), was die Beschwerde (mehrfach) übersieht.

Einen neuerlich unzulässigen Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung (zum Schuldspruch B) unternimmt der Beschwerdeführer, soweit er seiner leugnenden Verantwortung mit den Hinweisen auf den „äußerst unglaubwürdigen Eindruck“, den der Angeklagte Nazim Sa***** „im Prozess“ hinterlassen habe und die Drogensucht des Angeklagten L***** zum Durchbruch zu verhelfen sucht.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) entzieht sich schon deshalb inhaltlicher Erwiderung, weil sie die Verletzung einer gar nicht existenten Vorschrift („§ 352 Z 3 StPO“) rügt.

Die von der Beschwerde vermissten Feststellungen zur subjektiven Tatseite hinsichtlich der Tathandlungen laut Schuldsprüchen A/IV und B finden sich auf US 15 f und 17.

Mit der Kritik der Sanktionsrüge (Z 11) an der Höhe des Strafausmaßes wird lediglich ein Berufungsvorbringen erstattet.

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Nazim Sa***** und Rachid T***** waren daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Gleiches gilt für die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Abd Al Karem S*****, der ohne Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt zu bezeichnen die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung bloß rechtzeitig angemeldet (ON 73), die Rechtsmittel jedoch nicht ausgeführt hat (§§ 285 Abs 1 letzter Satz, 285a Z 2, 285d Abs 1 Z 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen (§ 285i StPO).

Das Berufungsgericht wird zu berücksichtigen haben, dass der Schöffensenat hinsichtlich des Angeklagten Abd Al Karem S***** nur auf das (tatnächste) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 23. Jänner 2013, AZ 7 Hv 174/12p, Bedacht genommen hat, obwohl dieses auch zum (Vor-)Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 20. März 2013, AZ 7 U 30/13d (ON 49 S 3) im Verhältnis des § 31 StGB steht (vgl dazu Fabrizy , StGB 11 § 31 Rz 10a).

Bleibt anzumerken, dass es dem Oberlandesgericht auch unbenommen bleibt, eine Urteilsangleichung hinsichtlich allfälliger, in die Urteilsausfertigung jedoch nicht aufgenommener Aussprüche über privatrechtliche Ansprüche (vgl die auch diesbezüglich erfolgte Anmeldung der Berufung des Nazim Sa***** [ON 68 S 31] und den handschriftlichen Vermerk „Pb-Zuspruch lt. ON 46“ betreffend Walter L***** [ON 68 S 34]) vornehmen zu lassen, liegt doch insoweit noch keine meritorische Rechtsmittelentscheidung vor (vgl RIS-Justiz RS0098973).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
5