JudikaturJustiz11Os137/86

11Os137/86 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Oktober 1986

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Oktober 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bittmann als Schriftführer, in der Strafsache gegen Erich W*** wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1 und 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 4 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6.März 1986, GZ 8 b Vr 13.341/81-104, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Strasser, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Pribik zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Erich W*** wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe in der Zeit von Mai 1979 bis November 1980 in Wien in Gesellschaft des gesondert verfolgten Peter S*** als Beteiligten (§ 12 StGB) in zahlreichen Angriffen fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 S übersteigenden Wert der Firma Z*** mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch Zueignung dieser Sachen unrechtmäßig zu bereichern, und zwar:

freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde - im zweiten Rechtsgang - der am 12.Juni 1939 geborene Erich W*** des Vergehens des schweren Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 4 StGB schuldig erkannt, weil er in der Zeit von Mai 1979 bis November 1980 in Gesellschaft des gesondert verfolgten Peter S*** fremde bewegliche Sachen, nämlich "diverses Werkzeug im einzelnen nicht näher festzustellender (gemeint: feststellbarer) Art" im Wert von insgesamt zumindest 35.000 S der Firma Z***, Werkzeughandel und Werkzeugverleih, mit dem Vorsatz weggenommen habe, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Dieses Urteil wird vom Angeklagten mit einer ausdrücklich auf die Z 4, 5, 8 und 9 lit a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde angefochten.

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu, soweit sie - teils formal verfehlt in den Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund der Z 4 - eine Überschreitung der Anklage im Sinn einer Nichtigkeit nach der Z 8 des § 281 Abs. 1 StPO geltend macht:

Das Erstgericht geht in tatsachenmäßiger Beziehung nicht nur davon aus, daß die den Gegenstand des Schuldspruchs bildenden Werkzeuge nicht (auch nicht der Art nach) individualisierbar seien, sondern auch davon, daß die Verantwortung des Angeklagten, er habe "das sichergestellte Werkzeug insgesamt ordnungsgemäß gekauft", nicht eindeutig widerlegt werden könne (Band II, S 297, 299, 307 f d.A). Demnach erfaßt der Schuldspruch nicht individualisierbare und nicht sichergestellte Diebstahlsobjekte. Bei den in der ursprünglichen - nur in der Hauptverhandlung vom 26. September 1983 um "einen weiteren Vibrationsschleifer und einen Handbandschleifer der Marke M***" ausgedehnten (Band II, S 112 d.A) - Anklage genannten Sachen (Punkt 1/ der Anklageschrift) - beginnend mit einem hydraulischen Rangierheber und endend mit einer Handkreissäge der Marke M*** mit Sägeblatt Seriennummer 22982 E (Band I, ON 51, S 468 bis 471 d.A = S 2 bis 7 der Anklageschrift) handelt es sich um jene Gegenstände, die den Sicherstellungsprotokollen Band I, S 291 bis 302 d.A zufolge teils beim Angeklagten, teils bei einem gewissen Johann Z*** und einem gewissen Josef Z*** beschlagnahmt wurden. Eine der beiden weiteren, nicht in diesen Protokollen vorkommenden Schleifspindeln, die auf S 7 der Anklageschrift (Band I, ON 51, S 471 d.A) angeführt sind, wurde offenbar bei Josef P*** sichergestellt (Band I, S 225, 261 bis 265, Band II, ON 80 d.A).

Gegenstand des Anklagevorwurfes gegen den Beschwerdeführer im zweiten Rechtsgang sind nach einem im ersten Rechtsgang in erster Instanz bereits rechtskräftig gewordenen Teilfreispruch (Band II, ON 76 d.A, Punkt C/) sowie nach Ausscheidung des Diebstahls je eines Rangierhebers und einer Handkreissäge (zufolge Anklageüberschreitung schon im ersten Rechtsgang) und Aufhebung auch des übrigen Schuldspruches des Beschwerdeführers im ersten Rechtsgang durch den Obersten Gerichtshof nunmehr (ON 76 Punkt A/, ON 82 d.A) folgende Tatobjekte:

a/ zwei hydraulische Rangierheber,

b/ ein Notstromaggregat der Marke MAC C***

c/ ein Handbandschleifer der Marke M***

d/ und e/drei Vibrationsschleifer

f/ zwei Handkreissägen der Marke M***

g/ eine Bezinkettensäge der Marke P***

h/ sechs Winkelschleifer

i/ eine Trennmaschine der Marke B***

j/ eine Trockenschleifspindel

k/ drei Schleifspindeln

l/ ein Bohrhammer der Marke M***

m/ zwei Maschinschraubstöcke

n/ drei große Schlagbohrhämmer der Marke B***

o/ ein Kompressor

p/ zwei Oberfräsen der Marke M***

q/ eine Stecknußkassette

r/ drei Schweißtrafos der Marke B***

s/ zwei Parallelschraubstöcke

t/ eine Autogenschweißkassette.

Von diesen Gegenständen gehören die unter a/ (Band I, S 297, Punkt 1, S 300 Punkt 14), b/ (Bd I, S 300, Punkt 9), f/ (Band I, S 296, 302), g/, i/, j/ (Band I, S 300, Punkt 13, 7, 10), l/ (Band I, S 292 Punkt 9), m/, o/ (Band I, S 300, Punkt 18, 19, l), q/ (S 293 Punkt 24 Ende), s/ (Band I, S 292, Punkt 16, S 300 Punkt 2) und t/ (Band I, S 300 Punkt 11) angeführten sowie vier der zu h/ genannten sechs Winkelschleifer (Band I, S 292, Punkt 7, 18, S 296, 300 Punkt 17), zwei der zu k/ erwähnten drei Schleifspindeln (Band I, S 300, Punkt 5, S 225, 261 bis 265 in Verbindung mit Band II, ON 80 d.A), eine der zu p/ bezeichneten zwei Oberfräsen (Band I, S 296) und zwei der zu r/ zitierten drei Schweißtrafos (Band I, S 296, 300 Punkt 8) ersichtlich zu den sichergestellten Sachen und zählen daher - der Urteilsbegründung zufolge - nicht zu den Tatobjekten des Schuldspruches.

Ob und welche der übrigen Sachen, nämlich ein Handbandschleifer der Marke M*** (c/ - vgl Band II, S 112 in Verbindung mit S 79 und Band I, S 157 d.A), drei Vibrationsschleifer (d/ und e/ - vgl S 7 der Anklageschrift sowie Band II, S 112 in Verbindung mit Band I, S 157 d.A), zwei der insgesamt sechs Winkelschleifer (h/ - vgl S 7 der Anklageschrift), eine der drei Schleifspindeln (k/ - vgl S 7 der Anklageschrift), drei große Schlagbohrhämmer (n/ - vgl S 7 der Anklageschrift), eine der Oberfräsen (p/ - vgl S 7 der Anklageschrift) und einer der drei Schweißtrafos (r/ - vgl S 7 der Anklageschrift in Verbindung mit Band I, S 269 d.A) beschlagnahmt wurden, läßt sich nach der Aktenlage nicht hinreichend beurteilen. Indes sind auch sie jedenfalls der Art nach individualisiert und können daher nicht zu den im Urteil als nicht individualisierbar bezeichneten Diebstahlsobjekten gehören.

Rechtliche Beurteilung

Daraus folgt, daß sich Anklage und Urteil in den Tatobjekten unterscheiden und deshalb der Schuldspruch die - seinen Inhalt nicht erfassende - Anklage überschreitet.

Am negativen Ergebnis der Identitätsprobe auch für allenfalls nicht sichergestellte Sachen vermag nichts zu ändern, daß in Anklage und Urteil die Person des Geschädigten (Bestohlenen) ident ist. Denn die Abweichungen von Urteil und Anklage betreffen nicht bloß Modalitäten und Begleitumstände eindeutig determinierter Tathandlungen, bei denen im Kern eine Kongruenz von Anklage- und Urteilssachverhalt erhalten bleibt, wie dies etwa der Fall wäre, wenn sich herausstellte, daß der Täter durch denselben Diebstahlsvorgang weitere Sachen erbeutete (vgl Bertel, StPO-Grundriß 2 , Rz 28). Hier legt die Anklage dem Beschwerdeführer eine Reihe zahlen- und datumsmäßig nicht näher spezifizierter diebischer Angriffe innerhalb eines langen Zeitraumes zur Last, wogegen das Ersturteil, wie erwähnt, unter den gleichen zeitlichen Modalitäten den Diebstahl nicht individualisierbarer Sachen, die bestimmten Tathandlungen nicht zugeordnet werden können, als erwiesen annimmt. Solcherart könnten also die dem Angeklagten einerseits von der Anklage und anderseits im Urteil angelasteten, unbeschadet des Zusammenrechnungsprinzips (§ 29 StGB) selbständigen Rechtsgutverletzungen ohne Verstoß gegen das Prinzip der materiellen Rechtskraft Gegenstand zweier getrennt laufender Anklagen oder Schuldsprüche sein, sodaß (vgl Mayerhofer-Rieder 2 , ENr 76 zu § 262 StPO) mit Sicherheit keine Identität der Fakten gegeben ist. Richtigerweise hätte das Erstgericht, als es - im Ergebnis - den Diebstahl der von der Anklage umfaßten Sachen nicht für erwiesen annahm, den Angeklagten gemäß dem § 259 Z 3 StPO von der (verbliebenen) Anklage freizusprechen gehabt (Mayerhofer-Rieder 2 , ENr 84 zu § 259; ENr 4 zu § 281 Z 9 lit a StPO ua). Aus den dargelegten Erwägungen war der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten - der Stellungnahme der Generalprokuratur folgend - stattzugeben, das angefochtene Urteil zur Gänze aufzuheben und gemäß dem § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst dahin zu erkennen, daß Erich W*** von der (verbliebenen) Anklage nach dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen wird.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Rechtssätze
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