JudikaturJustiz11Os130/21h

11Os130/21h – OGH Entscheidung

Entscheidung
01. März 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kostersitz als Schriftführer in der Strafsache gegen * W* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 8. Juli 2021, GZ 26 Hv 14/21k 42, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Der Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * W* des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie in F* gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Verfügungsberechtigte des Arbeitsmarktservice (AMS) F* und eines Krankenversicherungsträgers durch Täuschung über Tatsachen, nämlich „über ihren tatsächlichen Wohnsitz in Tschechien“, zur Gewährung und laufenden Auszahlung nachstehender Sozialleistungen, somit zu Handlungen verleitet, die diese Rechtsträger um einen 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, und zwar im Zuge ihrer Antragstellungen teils auf Arbeitslosengeld, teils auf Notstandshilfe

(1) am 24. Mai 2017 von zusammen 2.931,50 Euro an Arbeitslosengeld,

(2) am 20. November 2017 von zusammen 8.516,20 Euro an Arbeitslosengeld,

(3) am 7. Juni 2018 von zusammen 11.634,38 Euro an Notstandshilfe und 12.349,26 Euro an Krankengeld,

(4) am 27. September 2019 von zusammen 114,63 Euro an Notstandshilfe und 9.361,45 Euro an Krankengeld sowie

(5) am 31. Mai 2020 von zusammen 7.361,40 Euro an Notstandshilfe und 774,20 Euro an Krankengeld.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 [lit] a erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.

[4] Das auf Z 4 gestützte Vorbringen nimmt nicht auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag (oder dort erklärten Widerspruch) Bezug (siehe aber RIS Justiz RS0099112). Zudem bekämpft es (deutlich und bestimmt) nur den – allein mit Berufung anfechtbaren (RIS Justiz RS0098959) – Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche.

[5] Der Erledigung der Mängel- (Z 5) und der Tatsachenrüge (Z 5a) sei vorangestellt, dass die (täuschungsbedingte Gewährung und) Auszahlung von Sozialleistungen insoweit einen (nach § 146 StGB tatbestandsmäßigen) Schaden begründet, als die materiellen Leistungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind (vgl 11 Os 120/19k; 12 Os 113/21s mwN).

[6] Voraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ist (und war zum Zeitpunkt der jeweiligen Antragstellung) unter anderem, dass sich die betreffende Person „berechtigt im Bundesgebiet aufhält“ (§ 7 Abs 1 Z 1, Abs 2, Abs 3 Z 1 AlVG). Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht(e) – nach Maßgabe des § 16 Abs 1 lit g AlVG – „während des Aufenthaltes im Ausland“. Diese Bestimmungen (waren und) sind – nach Maßgabe des § 38 AlVG – auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden. Für die Krankenversicherung der Bezieher von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gelten – nach Maßgabe des § 40 Abs 1 AlVG – die diesbezüglichen Vorschriften des ASVG, somit auch dessen §§ 138 ff über den Bezug von Krankengeld (vgl § 41 Abs 1 AlVG; vgl insoweit auch § 89 Abs 1 Z 3 ASVG).

[7] Das Erstgericht hat dazu festgestellt, dass die Angeklagte zumindest seit Mai 2017 nicht mehr in F*, sondern in Tschechien lebte, sich dort aufhielt und eine Meldung des Auslandsaufenthalts sowohl bei der jeweiligen Antragstellung als auch in weiterer Folge während sämtlicher Bezugszeiten stets unterließ (US 3 ff).

[8] Dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter den Versicherungsdatenauszug ON 31 – einschließlich der sich daraus ergebenden Beschäftigungszeiten der Angeklagten – gar wohl berücksichtigt (US 3, 7).

[9] Die als übergangen (Z 5 zweiter Fall) reklamierten „Krankengeschichten und Operationsberichte“ (ON 39) wiederum stehen den bekämpften Feststellungen zum Aufenthalt der Angeklagten außerhalb des Bundesgebiets in den betreffenden Bezugszeiträumen (US 3, 7) – im für die Schuld- und für die Subsumtionsfrage bedeutsamen Umfang – nicht erörterungsbedürftig entgegen. Nur stundenweise Aufenthalte im Inland – wie sie dadurch zum weit überwiegenden Teil (in Gestalt von Arztbesuchen) dokumentiert sind (ON 39) – hätten nämlich zu keinem Aufleben des Leistungsanspruchs geführt (vgl VwGH 15. 11. 2000, 96/08/0194). Soweit die ins Treffen geführten Urkunden aber (ausnahmsweise) einen mehrtägigen (stationären) Aufenthalt im Inland belegen (vgl ON 39 S 9), würde eine Reduktion des Schadens um die für diesen Zeitraum ausbezahlten Beträge nichts am – hier auch für die Subsumtion nach § 148 zweiter Fall StGB maßgeblichen (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB) – Überschreiten der Qualifikationsgrenze des § 147 Abs 2 StGB (zu 3) ändern.

[10] Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit dem Hinweis auf den Versicherungsdatenauszug (ON 31), die Krankenunterlagen (ON 39) und die – vom Erstgericht berücksichtigte (US 7) – Verantwortung der Angeklagten, in den Zeiten der Beschäftigungslosigkeit teils in Tschechien und – von den Tatrichtern mit Blick auf weitere Beweisergebnisse jedoch ausdrücklich verworfen (US 6 ff) – teils in F* gewohnt zu haben (ON 41 S 8), keine erheblichen Bedenken gegen die Feststellungen zum Auslandsaufenthalt der Angeklagten in den hier maßgeblichen Zeiträumen des Bezugs von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Krankengeld (US 3 f) zu wecken.

[11] Die von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermissten Feststellungen, „ob sich die Angeklagte“ zum jeweiligen Zeitpunkt der Antragstellung (1 bis 5) „in Österreich aufhielt“, finden sich – vom Rechtsmittel prozessordnungswidrig (RIS Justiz RS0099810) missachtet – in US 7.

[12] Weshalb es für die rechtliche Annahme von Tatbildlichkeit nach § 146 StGB (mit Blick auf „§ 7 AlVG“ und „§ 16 AlVG“) – über die oben referierten hinaus – noch zusätzlicher Feststellungen dazu bedurft haben sollte, „ob die Angeklagte bei der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden ist“ und „ob die Angeklagte krankheitsbedingt der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehen konnte“, macht die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht klar (siehe aber RIS Justiz RS0116565).

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[14] Die Entscheidung über die Berufungen (zu jener der Angeklagten [ON 41 S 18] vgl RIS Justiz RS0099013 [T2] sowie RS0100304) kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[15] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.