JudikaturJustiz11Os13/19z

11Os13/19z – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Februar 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Februar 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der FOI Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Alexander H***** wegen der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. Oktober 2018, GZ 53 Hv 49/18i 37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die (verbleibende) Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alexander H***** der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall, 15 StGB (A./I./1./ und 2./), des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (A./II./) sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 18. und 19. März 2018 in Wien

A./ anderen fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz

I./ durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe

1./ abgenötigt, und zwar Edith R***** die Handtasche samt Mobiltelefon, Geldbörse, Schlüssel und rund 100 Euro Bargeld, indem er diese von hinten an sich zu reißen versuchte, sodass sie zu Boden stürzte, und anschließend unter Vorhalt eines Messers und mit den Worten „Lass die Tasche aus, sonst stich ich dich ab!“ die Handtasche an sich nahm;

2./ abzunötigen versucht, und zwar Dr. Beatrix T***** die Handtasche samt Inhalt nicht mehr feststellbaren Werts, indem er unter Vorhalt eines Messers, welches er hin und her bewegte, die Übergabe ihrer Tasche forderte, andernfalls er sie abstechen werde, wobei er nach einem Tritt ihrerseits von ihr abließ und flüchtete;

II./ mit Gewalt gegen eine Person wegzunehmen versucht, und zwar Rosa Rö***** die Handtasche samt Inhalt nicht mehr feststellbaren Werts, indem er diese von hinten an sich zu reißen versuchte, wobei Rö***** dadurch zu Boden stürzte und eine Prellung der Schulter erlitt;

B./ Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, nämlich durch die zu Punkt A./I./1./ angeführte Tat diverse Kundenkarten und eine Garagenzufahrtskarte mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich der Teilnahme an Kundenbindungsprogrammen und der Berechtigung zur Datenspeicherung sowie der Zufahrtsmöglichkeit in eine Garage, gebraucht werden, indem er diese einerseits wegwarf und andererseits bei sich behielt.

Rechtliche Beurteilung

Ausschließlich gegen den (mit dem Strafausspruch erfolgten) Ausspruch der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB richtet sich die auf § 281 Abs 1 „Z 2, 3 und 4“ und Z 11 (der Sache nach Z 11, teilweise iVm Z 2, 3 und 4) gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Der Beschwerde zuwider begründet die – entgegen dem Erklären des Beschwerdeführers, sich „gegen die Verlesung des Gutachtens“ auszusprechen und entgegen dessen Antrag, das „Gutachten zurückzuweisen“ (ON 36 S 13 und 25), erfolgte – Verlesung (ON 36 S 25) der schriftlich erstatteten psychiatrischen Expertise (ON 21), die der Sachverständige unmittelbar vor dem erkennenden Gericht vorgetragen und dabei seine schriftlichen Ausführungen aufrecht gehalten hatte (ON 36 S 13 ff), keine Nichtigkeit.

Die Kritik, die Fragestellung an den Sachverständigen betreffe eine – allein vom Gericht zu lösende – Rechtsfrage (ON 36 S 13), übersieht zunächst, dass der Sachverständige die (tatsächlichen) „Voraussetzungen“ von Zurechnungsunfähigkeit, einer höhergradigen Abartigkeit und Gefährlichkeit sowie des Vorliegens eines Rausches untersuchen sollte (ON 6: „Befund und Gutachten … zu erstatten, ob beim Beschuldigten in psychiatrischer Hinsicht zu den Tatzeitpunkten die Voraussetzungen des § 11 StGB bzw des § 21 Abs 1 oder 2 StGB oder des § 287 Abs 1 StGB vorlagen ...“; RIS Justiz RS0089683 [T2], RS0097779 [T2]). Im Übrigen würde aber selbst die Beantwortung (auch) einer Rechtsfrage durch den Sachverständigen weder eine Befangenheit des Experten noch eine Mangelhaftigkeit des Gutachtens nach sich ziehen ( Hinterhofer , WK StPO § 127 Rz 27; Höpfel in WK² StGB § 11 Rz 15), die (bei geeigneter Antragstellung) ein durch § 281 Abs 1 Z 4 StPO garantiertes Überprüfungsrecht eröffnen könnte (RIS Justiz RS0117263).

Dass es sich vorliegend um die Verlesung einer „nichtigen Erkundigung oder Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren“ (iSd § 281 Abs 1 Z 2 StPO) handelte (vgl RIS Justiz RS0099358; Ratz , WK StPO § 281 Rz 169, 173 ff), wird nur begründungslos und aktenfremd behauptet.

Der geltend gemachte Verstoß gegen die (aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO geschützte) Verfahrensbestimmung des § 252 Abs 1 StPO liegt ebenfalls nicht vor: Wenn sich nämlich – wie hier – ein Sachverständiger bei seiner Befragung in der Hauptverhandlung auf sein schriftlich erstattetes Gutachten beruft, ohne von diesem abzuweichen oder ergänzende Fragen der Verteidigung unbeantwortet zu lassen, fällt dieses nicht in den Schutzbereich des § 252 Abs 1 StPO, weil die (bloß zusätzliche) Verlesung der schriftlichen Expertise kein Unmittelbarkeitssurrogat darstellt und solcherart auch keiner Zustimmung iSd § 252 Abs 1 Z 4 StPO bedarf (RIS Justiz RS0110150 [T4]; Kirchbacher , WK StPO § 252 Rz 31; Ratz , WK StPO § 281 Rz 230).

Aus welchem Grund das Erstgericht mit der Unterbringungsanordnung „seine Strafbefugnis überschritten (alternativ gegen Bestimmungen über die Strafbemessung verstoßen)“ habe, legt die Beschwerde nicht dar. Vielmehr ist bei Zutreffen der entsprechenden Gefährlichkeitsprognose sowie der übrigen materiellen Voraussetzungen die Anordnung einer freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahme zwingend vorgeschrieben (arg: „…, so hat ihn das Gericht … einzuweisen“), die im Fall des § 21 Abs 2 StGB vor der Freiheitsstrafe – unter Anrechnung derselben – vollzogen wird (§ 24 Abs 1 erster und zweiter Satz StGB).

Inwiefern eine rechtmäßige Freiheitsentziehung auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise (Art 5 Abs 1 lit a und lit e MRK) das Grundrecht auf Freiheit verletzen sollte, entbehrt – auch unter Berufung auf die (einen Fall deutscher Sicherungsverwahrung behandelnde) Entscheidung Bergmann gegen Deutschland (EGMR vom 7. Jänner 2016 Bsw 23279/14) – einer inhaltlichen Erklärung. Mit der (bloß eigenen) Einschätzung, eine Anhaltung in Strafhaft könne denselben Effekt wie die Anstaltsunterbringung bewirken, spricht die Beschwerde keine Nichtigkeit der Anstaltsunterbringung an (vgl insofern: RIS Justiz RS0088382; Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 5) und entfernt sich auch vom Schutzbereich des angesprochenen Grundrechts (Grabenwarter/Pabel EMRK 6 § 21 Rz 2; Kier in WK 2 GRBG § 1 Rz 54).

Zum Antrag auf „Vorlage an den Verfassungsgerichtshof“ genügt der Hinweis, dass im Hinblick auf die mit 1. Jänner 2015 in Kraft getretene Gesetzeslage (BGBl I 2013/114 iVm BGBl I 2014/92) ein subjektives Recht auf Normenkontrolle durch die Strafgerichte nicht (mehr) besteht (RIS Justiz RS0130514; Ratz , WK StPO § 281 Rz 597 und § 285j Rz 4 bis 6), und der Oberste Gerichtshof auch im Lichte des Antragsvorbringens gegen die Verfassungskonformität des § 21 Abs 2 StGB keine (von Amts wegen wahrzunehmenden) Bedenken hegt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung – ebenso wie die „gegebenenfalls angemeldete“, im kollegialgerichtlichen Verfahren aber nicht zulässige (§§ 280, 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen Schuld (§ 296 Abs 2 StPO), bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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